Umfrage bestätigt Klischeedenken Viele Eltern haben stereotype Berufsvorstellungen für Söhne und Töchter

Die Tochter macht Soziales, der Sohn wird Informatiker, selbst wenn er eine Fünf in Mathe hat. Eine Umfrage kurz vor dem Girls’ and Boys’ Day zeigt: Eltern haben deutliche Rollenklischees im Kopf.
Gefestigte Rollenbilder: Männer arbeiten in Autowerkstätten, Frauen in der Kita

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Cavan Images / IMAGO / Westend61 / Getty Images

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Alle Jahre wieder kämpft Deutschland mit einem Aktionstag gegen Rollenklischees: Am Girls’ and Boys’ Day sollen sich Mädchen und Jungen einen Eindruck vom Erwerbsleben verschaffen, und zwar möglichst – so die Idee – in Berufen, in denen ihr Geschlecht jeweils unterrepräsentiert ist. Jungen tun sich also bestenfalls in Seniorenheimen, Kitas und Jugendämtern um. Mädchen strömen in Autowerkstätten, IT-Büros oder auf Baustellen.

Vor mehr als 20 Jahren gab es den ersten Tag dieser Art, damals nur für Mädchen. Am kommenden Donnerstag, den 27. April, ist es wieder so weit.

Generell ist dabei fraglich, ob sich nicht Rollenklischees in Kinderköpfen eher festigen, wenn stetig betont wird, was angeblich typische Frauen- und Männerberufe sind – auch wenn dies so nicht gewollt ist. Zudem legt nun eine Umfrage nahe , dass so ein Aktionstag wenig bringt, wenn Eltern nicht anfangen, sich an den übrigen 364 Tagen des Jahres selbstkritisch zu hinterfragen.

Eltern hätten oft stereotype Vorstellungen für ihre Kinder bei technischen und kreativen Berufen. Das ist Ergebnis einer Umfrage unter knapp 1600 Müttern und Vätern im Auftrag des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V., das den Girls’ and Boys’ Day organisiert. Die Studie ist nicht-repräsentativ mit Blick auf die Bevölkerung, liefert aber interessante Hinweise zu elterlichen Vorstellungen.

Mütter und Väter sind demnach »intensiv in den Prozess der beruflichen Orientierung ihrer Kinder involviert« und dabei oft selbst stark von Rollenklischees geprägt: Kreativ-künstlerische und sozial-erzieherische Berufe könnten sie sich öfter für ihre Töchter vorstellen, technische und IT-Berufe öfter für ihre Söhne. Eine Ausnahme bildeten Naturwissenschaften. Diese seien für Töchter und Söhne aus Elternsicht annähernd gleich gut geeignet.

Selbst bei gleichen Schulleistungen sehen Eltern ihre Söhne viel eher in technischen Berufen sowie im IT- und Informatik-Bereich als ihre Töchter. Sogar wenn der Sohnemann nur eine Vier oder gar eine Fünf in Mathematik hat, können sich mehr als die Hälfte der Eltern gut oder sehr gut einen technischen Beruf für ihn vorstellen. Bei den Töchtern ist es nicht mal ein Drittel.

Andersherum sieht selbst bei einer Eins oder Zwei in Informatik nur rund die Hälfte der Eltern ihre Tochter im IT- und Informatik-Bereich. Bei Söhnen mit dieser Leistung sind es gut acht von zehn. In künstlerischen Berufen wiederum können sich Eltern ihre Söhne viel weniger vorstellen als ihre Töchter – selbst bei gleichen schulischen Noten.

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Die meisten Eltern orientieren sich stark an den Schulnoten ihrer Kinder, wenn sie deren Fähigkeiten bewerten. Auch hier glauben allerdings viele – abhängig von Rollenklischees –, ihr Kind sei zu gut bewertet worden, seine eigentlichen Fähigkeiten seien schlechter als die Schulnote.

Obwohl die schulischen Leistungen von Töchtern und Söhnen in Mathematik und Informatik im Schnitt gleich seien, sprächen Eltern ihren Söhnen tendenziell die höheren Kompetenzen zu, heißt es in der Studie.

Beim Fach Kunst wiederum zeige sich in umgekehrter Hinsicht eine »geschlechterstereotype Zuschreibung«: Während Eltern von Töchtern durchschnittlich mit der Schulnote übereinstimmten, bewerteten sie die Fähigkeiten ihrer Söhne in Kunst deutlich kritischer.

So wurde die Eltern-Umfrage erstellt

Die Elternbefragung ist nach Angaben des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. ein Forschungsvorhaben in Kooperation mit dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Münster. Es handelt sich demnach um eine standardisierte Onlinebefragung von Eltern.

Die Rekrutierung der Eltern sei im Zuge der Anmeldungen zu den Aktionstagen Girls’Day und Boys’Day 2022 sowie über Schneeballverfahren und eine Verbreitung des Umfrage-Links über Netzwerke des Kompetenzzentrums und des Bundeselternrats erfolgt. Befragungszeitraum: 28. März bis 13. Mai 2022; Anzahl erfolgreicher Interviews unter Eltern mit Kindern zwischen 10 und 20 Jahren: 1.599.

»Teilweise reproduzieren Eltern in ihren Wahrnehmungen der Fähigkeiten ihrer Kinder gesellschaftlich dominante Stereotype«, schreiben die Studienautoren. Sie bestärkten damit möglicherweise bei geschlechtsstereotypen Berufswünschen.

Das Fazit von Tabea Schroer, Leiterin der Bundeskoordinierungsstellen Girls’Day und Boys’Day, lautet mit Blick auf den kommenden Donnerstag deshalb: »Eltern sind bei der Berufswahl ihrer Kinder oft die ersten Ansprechpartner. Wenn wir es gemeinsam schaffen, mit stereotypen Rollenvorstellungen zu brechen, haben wir schon viel gewonnen.«

Bewusst einen Beruf aufzwängen wollen die allermeisten Mütter und Väter ihren Kindern offenbar nicht: Für die große Mehrheit ist der Umfrage zufolge – mit großem Abstand – an erster Stelle wichtig, dass ihre Kinder einen Beruf finden, in dem sie sich selbst verwirklichen können und der ihnen Spaß macht.

Wohl auch deshalb bestärken Eltern der Umfrage zufolge ihre Kinder zum größten Teil in deren Berufswünschen. Ein Teufelskreis: Die Wunschberufe von Mädchen und Jungen seien häufig geschlechtsstereotyp, schreiben die Autoren. Mädchen neigten zu sozialen und kreativen Berufen, Jungen zur Technik.

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