Stark-Watzinger zu befristeten Verträgen in der Wissenschaft »Es gibt immer noch deutlichen Verbesserungsbedarf«

Studierende in Leipzig (Symbolbild): Hochkompetitive Auswahl
Foto: Heiko119 / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die Betroffenen berichteten von Unsicherheit und Abhängigkeit: Unter dem Hashtag #ichbinhanna haben wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im vergangenen Jahr die Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb kritisiert. Der Protest richtete sich auch gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das die Rahmenbedingungen für die Kettenbefristungen liefert, unter denen viele Betroffene leiden.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das umstrittene Gesetz evaluieren lassen, nachdem es 2016 reformiert worden war. Nun sind die Ergebnisse da.
Laut der Evaluation, die von der Interval GmbH in Kooperation mit dem HIS-Institut für Hochschulentwicklung durchgeführt wurde, haben sich die Vertragslaufzeiten durch die Reform verlängert – von 15 bis 17 Monaten im Jahr 2015 auf 21 bis 22 Monate im Jahr 2017. Allerdings fielen sie danach wieder etwas ab. Es gebe hier keine kontinuierliche Entwicklung, heißt es im Bericht, der dem SPIEGEL vorliegt.
Maßgeblich für den Anstieg sei die Zunahme dreijähriger Verträge. »Offensichtlich sind jedoch die Vertragslaufzeiten regelmäßig kürzer als die üblichen Promotions- oder Habilitationsdauern«, stellten die Studienautoren fest. Damit sei die Frage aufgeworfen, welcher Maßstab angelegt werde. Das Gesetz sieht nur vor, dass der Zeitraum »angemessen« sein muss.
Darüber hinaus gebe es immer etliche Verträge, die kürzer als ein Jahr liefen. Bei den Universitäten und HAW liege der Anteil bei einem Drittel, bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und den Universitätskliniken mindestens bei einem Viertel der befristeten Arbeitsverträge. Davon sei ein kleiner Teil der Beschäftigten überproportional häufig betroffen: Auf zehn Prozent entfallen demnach 47 Prozent der Kurzfristverträge.
»Es gibt immer noch deutlichen Verbesserungsbedarf«, sagte Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei der Vorstellung des Berichts am Freitag. Neben den Kurzverträgen stört sie sich daran, dass die Zahl der befristeten Stellen nach wie vor hoch sei. Laut Bericht sind 93 Prozent der nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befristet beschäftigt, bei den Promovierten und Habilitierten seien es 63 Prozent. Vor allem bei den promovierten Beschäftigten müsse dieser Anteil sinken, sagte Stark-Watzinger.

Ministerin Stark-Watzinger: »Die Hochschulen könnten auch langfristig einstellen«
Foto: Reiner Zensen / IMAGODabei sieht die Ministerin auch die Hochschulen in der Pflicht. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gebe den Wissenschaftsinstitutionen zwar die Möglichkeit zur Befristung, verpflichte sie aber keineswegs dazu. »Die Hochschulen könnten also auch langfristig einstellen.«
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, sagte nach der Vorstellung des Berichts, Wissenschaft und Politik seien über diesen arbeitsrechtlichen Rahmen hinaus gefordert, für attraktive Beschäftigungsbedingungen zu sorgen.
Diskurs geht über Rahmenbedingungen hinaus
Dass 74 Prozent der Promovierten mittelfristig eine Beschäftigung in der Wissenschaft anstrebten, spreche für die ungebrochene Attraktivität wissenschaftlichen Arbeitens, sagte Alt. Allerdings zeigte die Evaluation auch, dass diejenigen, die sich eine dauerhafte Anstellung in der Wissenschaft erhofften, vielfach eher kritisch auf den Qualifizierungsprozess schauen.
Alt machte dafür die Wettbewerbssituation verantwortlich: Zu einer nüchternen Analyse gehöre anzuerkennen, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft begrenzt und die Auswahlverfahren hochkompetitiv seien.
Das wiederum wies Lisa Janotta vom Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft zurück. Das Netzwerk hat mit Unterstützung von Ver.di eine eigene Evaluation des im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelten Sonderbefristungsrechts erstellt und ebenfalls am Freitag vorgestellt. Der enge Flaschenhals sei ein deutsches Spezifikum, sagte Janotta, der Wissenschaftsbetrieb in den USA oder auch Dänemark zeige, dass das besser gehe.
Gleichwohl forderten ihr Netzwerk und die Gewerkschaft ebenso wie der HRK-Präsident, die Arbeitsbedingungen über das Gesetz hinaus in den Blick zu nehmen. Die Evaluation im Auftrag des Ministeriums kann dazu nur im Ansatz beitragen. Der Auftrag sei gewesen, die Wirkung der Novelle zu untersuchen, sagte Studienautor Jörn Sommer bei der Vorstellung in Berlin. »Der aktuelle Fachdiskurs geht viel stärker darum, ob Befristungen überhaupt gut sind.«
Dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erneut reformiert wird, wurde bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Ziel sei es, in der ersten Hälfte der Legislaturperiode zu weiteren Schritten zu kommen, so die Ministerin. Für Ende Juni seien alle beteiligten Gruppen eingeladen, im Bundesforschungsministerium über die Ergebnisse der Evaluation zu diskutieren.