Neue Studie Fehlendes Personal, alte Ausstattung – so schlecht steht es um deutsche Kitas

Kitakinder beim Mittagessen (Archivbild von 2016)
Foto: Jens Wolf/ dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die Wartelisten sind mitunter lang, viele Eltern mühen sich verzweifelt um einen Kitaplatz für ihr Kind, doch jede zweite Kita schöpft ihre Kapazitäten nicht voll aus, weil sie nicht genügend Erzieherinnen findet – zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Darin ist von »alarmierenden Befunden« die Rede.
Die Studie stützt sich auf die Einschätzung von knapp 1200 Befragten, überwiegend Kita-Leiterinnen, in den Einrichtungen des Verbands. Sie wurden von Anfang Juni bis Anfang August 2021 über ein Onlinetool befragt.
Hohe Unzufriedenheit der Fachkräfte
Viele Faktoren erschweren es demnach, den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden, und befördern eine hohe Unzufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte: Dazu zählen Arbeitsbelastung und Rahmenbedingungen in der Pandemie sowie vielerorts unzureichende Personalschlüssel und eine teilweise mangelhafte Ausstattung
Der Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt führt laut der Studie dazu, dass vor allem in Ländern wie Schleswig-Holstein, Berlin oder Baden-Württemberg Stellen nicht besetzt und dementsprechend nicht alle theoretisch belegbaren Plätze in den Einrichtungen genutzt werden können. Gleichzeitig sagen rund zwei Drittel der Befragten, dass das Platzangebot auf kommunaler Ebene nicht ausreichend sei. In Großstädten gehen davon sogar 80 Prozent aus.
Stellen ausschreiben, Bewerbungen sichten, Vorstellungsgespräche führen: Etliche Kita-Leitungen sind offenbar immer wieder damit beschäftigt, personelle Verstärkung für ihre Einrichtung zu finden. Die Fluktuation ist hoch. In mehr als 80 Prozent der Einrichtungen wurde mindestens eine Stelle im Jahr der Befragung neu besetzt, meist waren es mehrere Stellen.
Bundesweit mussten von 100 Stellen im Schnitt 15 neu besetzt werden. Dabei fanden die Befragten, dass geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten schwer zu finden seien. Knapp ein Drittel sagte, in den vergangenen zwölf Monaten sei bei ihnen höchstens eine geeignete Bewerbung angekommen – oder gar keine.
Die Kita-Leitungen erleben demnach auch Erzieherinnen und Erzieher mit abgeschlossener Ausbildung oft als wenig geeignet, sei es aufgrund mangelnder Berufserfahrung oder weil die Haltung zu Kindern ihrer Ansicht nicht stimmt. Eine Befragte drückte es laut der Studie so aus: »Die Erzieher:innen kommen nach der Ausbildung praxisunerfahren in einer Kita an und sind mit alltäglichen Bedürfnissen der Kinder und einem pädagogischen Alltag meist völlig überfordert.«
Großer Ärger über niedrigen Personalschlüssel
Der pädagogische Alltag fordert den Beschäftigten der Umfrage zufolge allerdings einiges ab. Insbesondere nach der Coronapandemie sei der Stresslevel gestiegen, die Arbeitsbelastung höher geworden. Viele Kita-Leitungen klagen, die Fülle an Aufgaben sei innerhalb der Arbeitszeit kaum zu schaffen. »In der Regel arbeite ich 45 Stunden und bin nicht fertig«, so beschreibt es eine Befragte. »Kinderschicksale werden drastischer, die Elternüberforderung problematischer.«
Dazu kommt, dass die Folgen der Coronakrise bei den Kindern deutlich spürbar sind, wie es in der Studie heißt. Umso mehr Zeit bräuchten die Erzieherinnen eigentlich, um sich einzelnen Kindern widmen zu können. Mehr als die Hälfte der Befragten findet jedoch, mit dem vorgegebenen Personalschlüssel in ihrer Einrichtung könnten sie den Bedürfnissen der Kinder nicht entsprechen. Insgesamt zeigt die Studie, dass die Ausstattung der Einrichtungen, personell wie sachlich, sehr unterschiedlich ist.
Vor allem Kita-Beschäftigte, die viele Kinder aus sozial schwierigen Milieus betreuen, geben an, sich nicht ausreichend um alle kümmern zu können. Gerade diese Kinder hätten die Förderung in der Kita eigentlich besonders nötig, auch weil sie den Angaben zufolge in der Pandemie seltener in der Notbetreuung gewesen seien als Kinder aus privilegierteren Verhältnissen.
Schon vor der Krise hatten Kinder aus armen Familien im Schnitt größere Entwicklungsdefizite und besonderen Unterstützungsbedarf. Eine gute Betreuung gilt als zentraler Faktor für mehr Chancengerechtigkeit. 72 Prozent der Beschäftigten, die in Kitas in sozial schwachen Milieus arbeiten, geben jedoch an, dem Unterstützungsbedarf der Kinder wegen des zu niedrigen Personalschlüssels überhaupt nicht oder eher nicht gerecht werden zu können.
Neben Personal fehlt es nach Einschätzung vieler Kita-Beschäftigter an Geld, und zwar für teils grundlegende Dinge. So sind die Kosten für eine »bildungsförderliche Raumgestaltung« in der Kita-Finanzierung nach Ansicht von rund zwei Drittel der Befragten nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Befragte fasst es so zusammen: »Unsere Kita steht seit 1980. In all diesen Jahren wurde keinerlei Sanierung durchgeführt. ... Wir leben eine Willkommenskultur und nehmen alle Familien ohne Bedenken bei uns auf. Aber durch unsere äußerliche Beschaffenheit (kaputte Fenster und Fassade, fehlender Sonnenschutz) werden Familien abgeschreckt, ihr Kind zu uns zu bringen.«
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, kritisiert: »Gerade dort, wo viele Kinder in Armut aufwachsen oder auf besondere Unterstützung angewiesen sind, klagen auch die Kitas über schlechtere Ausstattung.« Schneider nennt es »ein Armutszeugnis, wenn es uns in diesem reichen Land nicht gelingt, jedem Kind eine gesunde Mahlzeit, bestmögliche Förderung in der individuellen Entwicklung und eine möglichst unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen«.