These zu Laborunfall Hamburger Unipräsident verteidigt Vorgehen bei umstrittener Corona-Studie

Dieter Lenzen, Hamburger Unipräsident: »Unsere Pflicht, eine solche Hypothese anzuhören, abzuwägen und zu diskutieren«
Foto: Marcus Brandt/ dpaDer Hamburger Universitätspräsident Dieter Lenzen hat sich erstmals zu einer umstrittenen Corona-Studie aus seinem Haus geäußert, die bundesweit starken Widerspruch hervorgerufen hatte. Darin nennt der Physikprofessor Roland Wiesendanger eine Reihe angeblich »schwerwiegender Indizien« dafür, dass sich das Coronavirus durch einen Laborunfall im chinesischen Wuhan verbreitet habe. Tatsächlich bildet ein buntes Sammelsurium seriöser und unseriöser Quellen die Basis für seine Theorie, darunter auch YouTube-Videos und Verschwörungstheoretiker-Seiten (mehr dazu lesen Sie hier).
Lenzen sagte am Dienstagnachmittag in einer Videobotschaft an die Unibeschäftigten, es sei »unsere Pflicht, eine solche Hypothese anzuhören, abzuwägen und zu diskutieren«. Man müsse beunruhigt sein, wenn es denkbar wäre, dass ein Laborunfall Millionen Menschen das Leben koste. »Es ist unsere Aufgabe, in kommenden Diskussionen in der Wissenschaft, sicher auch in der Universität zu erörtern, ob diese Hypothese zutreffen könnte.« Es sei »besser eine unsichere Hypothese zur Diskussion zu bringen, als eine am Ende richtige verschwiegen zu haben«.
Zugleich räumte Lenzen Fehler im Umgang mit der Veröffentlichung ein. Vom Begriff der Studie rückte er ab. Wiesendangers »Thesenpapier« sei eine Analyse. Innerhalb der Uni war auf Kritik gestoßen, dass Wiesendangers Äußerungen per Pressemitteilung in den Rang wissenschaftlicher Forschungen erhoben wurden.
Das Dekanat der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften distanzierte sich öffentlich. Bei der Ausarbeitung handele es sich »nicht um eine wissenschaftliche Studie mit qualitätsgesicherten Inhalten und Standards«.
Laut dem Redetext, der dem SPIEGEL vorliegt, sagte Lenzen in seiner Videobotschaft, er habe mit dem Vorgehen niemanden provozieren wollen. »Wenn dieser Eindruck entstanden sein sollte, dann bitte ich um Nachsicht.« Um »Missverständnisse zu vermeiden«, wolle man künftig stärker zwischen Forschungsergebnissen und »wissenschaftspolitischen Thesen« trennen.
Man habe eine »Transferagentur« gegründet, um Forschungsergebnisse zu verbreiten. Für die »Bereitstellung von Thesen und Interventionen für die Gesellschaft« würden »andere Qualitätskriterien« gelten, »nämlich die des Diskurses«. Details nannte er dazu nicht. Ein Interview mit dem SPIEGEL lehnte Lenzen ab.
Die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) hatte sich zurückhaltend zu Wiesendangers Veröffentlichung geäußert. Wissenschaftsfreiheit sei zwar ein »unverrückbares Gut«. Zugleich gelte »für alle Form wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht« sei.
Fegebank betonte, die Weltgesundheitsorganisation habe erst vor Kurzem einen Bericht zum Ausbruchsgeschehen in Wuhan vorgelegt. Sie komme zu »anderen möglichen Szenarien« als Wiesendanger. »Es bedarf mehrerer Studien, um die Ursprünge der Pandemie zu ergründen.«