Pläne gegen den Lehrermangel »Noch mehr Arbeit für die, die noch stehen«

»Überarbeitung, Burn-out, Depressionen«: Lehrerin bei der Arbeit (Symbolbild)
Foto: Patrick Pleul / dpaWochenende ist Korrekturzeit, auch dieses Mal. Und in den Pausen in der Schule? Erledige ich weitere liegen gebliebene Tätigkeiten: Ich spreche mit einer Kollegin über die Schulentwicklung, mit einer anderen über die Probleme eines Schülers. Schließlich ein Gespräch mit einer Freundin. In jedem dieser Gespräche geht es an irgendeiner Stelle um den momentanen Lehreralltag, der geprägt ist von den Coronajahren – ein stetiges Balancieren auf der Belastungsgrenze. Viele haben sie längst überschritten: keine Schule ohne langfristige Ausfälle, wegen Überarbeitung, Burn-out, Depressionen.
Welche Maßnahme könnte vor diesem Hintergrund ergriffen werden, um den Lehrkräftemangel zu beheben? Richtig: noch mehr Arbeit für die, die noch stehen.
Das ist kein Scherz, sondern Teil jener Maßnahmen, die die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) als Maßnahmenpaket gegen den Lehrermangel vorgeschlagen hat. Es liest sich wie ein zu früh beendetes Brainstorming. Sicher, die Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben zu entlasten, damit sie ihrer Kerntätigkeit nachgehen können, ist sinnvoll. Wie man aber in kurzer Zeit dafür Fachkräfte finden soll, bleibt das Geheimnis der Kommission.
Diese Maßnahme ist auch kein Geschenk: Die weiteren Punkte der Empfehlung lesen sich wie eine große Verantwortungsumverteilungsmaßnahme. So sollen nicht nur die Schulklassen größer werden, die Lehrkräfte sollen auch Mehrarbeit leisten. Auch und gerade jene in Teilzeit.
Was sich als politisches Rechenspiel plausibel anhört, ist in Wirklichkeit eine zu kurz gedachte Symptombekämpfung, die auf einer Fehldeutung basiert: Dass viele Lehrkräfte in Teilzeit gehen, liegt ja daran, dass sie ansonsten weder guten Unterricht noch die dringend nötige intensive Betreuung der Schüler gewährleisten könnten. Dazu kommen über 70 Prozent weibliche Lehrkräfte, die immer noch das Gros der Care-Arbeit in den eigenen Familien leisten. Die vorgeschlagene Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung trifft damit auch die Familien.
Bob Blume, Lehrer
90 Prozent der Lehrkräfte sind schon jetzt stark beansprucht. Ein Drittel der Junglehrer verlässt nach weniger als fünf Jahren die Schulen. Da liest sich der offizielle Sprachgebrauch der Kultusministerkonferenz, den »Einsatz zu optimieren«, nahezu wie die Kirsche aus dieser unausgegorenen Maßnahmentorte – aber nur fast. Das eigentliche Highlight sind natürlich die Vorschläge, Yoga für Lehrkräfte anzubieten, als Ausgleich für die Mehrarbeit.
Im Ernst: Lehrerinnen und Lehrern, die längst am Limit sind, erst zusätzliche Arbeit aufzubürden und ihnen dann Resilienztraining anzubieten, das ist schon frech. Denn diese Trainings vermitteln unterschwellig, dass es der Einzelne schon irgendwie schaffen kann, dem systemischen Versagen mit dem Lotussitz zu begegnen. Aus dieser Idee sprechen pure Hilflosigkeit und sogar Fahrlässigkeit. Die Botschaft ist, dass die politisch zu verantwortende Misere individuell an der Front behoben werden muss.
Dabei sind Kollateralschäden zwangsläufig. Die Stimmung unter den Lehrkräften war auch zuvor oftmals schon auf dem Nullpunkt. Angesichts immer höherer Erwartungen auf der einen und zusätzlicher Arbeit ohne entsprechende Ressourcen auf der anderen Seite wird ein Gedanke nun immer attraktiver: das System zu verlassen. Oder sich zu verteidigen – mit mehr Teilzeit, Dienst nach Vorschrift, weniger Engagement. Aus Selbstschutz.
Bob Blume
In einem Gespräch mit einer Verantwortlichen auf Schulleitungsebene war die Einschätzung noch drastischer: Diese Maßnahmen werden Lehrkräfte in die Dienstunfähigkeit befördern.
Zynisch könnte man sagen: Es gibt auch Positives. Die Maßnahmen kosten keinen Cent. Und wer die Probleme kurzfristig so angeht, kann zugleich hoffen, dass der Langzeiteffekt dieser Scheinlösung erst dann einschlägt, wenn die Legislaturperiode auch diese Verantwortung umverteilt hat. Denn darum handelt es sich: Mehrarbeit für Lehrkräfte ist eine Lösungsimitation, mehr nicht. Denn sie zeigt nur, dass es keine Lösung für das Problem gibt, außer seine Folgen für weitere Jahre nach hinten zu verschieben.
Rette sich, wer kann.