Offener Brief an Bundesbildungsministerin Geschasste Institutsdirektorin fordert schärfere Kontrolle der Max-Planck-Gesellschaft

Im Zwist mit der Max-Planck-Gesellschaft legt die ehemalige Direktorin Nicole Boivin öffentlich nach: In einem Brief an das Bildungsministerium verlangt die Archäologin mehr staatliche Kontrolle.
Nicole Boivin im September 2016 in Jena

Nicole Boivin im September 2016 in Jena

Foto: Sven Döring / laif

Im Streit mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber äußert sich die renommierte Archäologin Nicole Boivin jetzt per offenem Brief – und fordert eine schärfere Kontrolle der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Boivin kritisiert in einem Schreiben an Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mangelnde Aufsicht durch Bund und Länder: »Es scheint keine wirksame Aufsicht über die Verfahren der Gesellschaft oder die Einhaltung der Vorschriften zu geben.«

Die MPG ist eine der bedeutendsten Forschungseinrichtungen der Welt, wird öffentlich finanziert und verfügt über ein Budget von knapp zwei Milliarden Euro im Jahr.  Boivin musste im Frühjahr nach einem langen, auch gerichtlich ausgetragenen Zwist ihren Posten als Direktorin des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena räumen. Die MPG warf ihr vor, Mitarbeitende gemobbt und Studierende schlecht betreut zu haben. Zudem soll sie das Forschungsprojekt einer Kollegin auf »unethische Weise« an sich gezogen haben. Boivin verwahrt sich gegen sämtliche Vorwürfe.

Nachdem die MPG bereits Ende des Jahres bekräftigt hatte, dass Boivin ihren Posten als Direktorin verlieren würde, wandten sich 145 Frauen in Führungspositionen in einem offenen Brief an die Max-Planck-Gesellschaft und kritisierten, dass Frauen meist kritischer bewertet würden als Männer.  

Untersuchung über zwei Jahre

In ihrem aktuellen Brief  wirft Boivin der MPG vor, fehlerhaft zu reagieren, wenn jemand des wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Fehlverhaltens beschuldigt werde; der Umgang mit Vorwürfen werde begleitet von Interessenkonflikten, Befangenheit und juristischen Mängeln. Boivin selbst habe sich über zwei Kollegen beschwert, zwei Wochen später sei dann gegen sie ermittelt worden.

»Im Laufe der zweijährigen Untersuchung erhielt ich keine Informationen über mein angebliches Fehlverhalten«, schreibt Boivin. »Meine angebliche Schuld wurde auf der Grundlage anonymer Anschuldigungen festgestellt, auf die ich nicht mit angemessenen Antworten, Beweisen oder Zeugenaussagen reagieren konnte.« Der Präsident der MPG, Martin Stratmann, habe sich indes nie ernsthaft mit ihrer Beschwerde über die zwei Kollegen auseinandergesetzt, schreibt Boivin.

Die MPG widerspricht dieser Darstellung. Nicole Boivin habe mehrmals die Möglichkeit gehabt, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen, heißt es. Zudem sei ihre Beschwerde ebenfalls gründlich geprüft worden.

Die Archäologin wirft der MPG vor, etablierte Beschwerdeverfahren nicht anzuwenden. Ihr Fall verdeutliche die Fallstricke, die entstünden, wenn eine mächtige Organisation sich selbst überwachen soll, schreibt sie. Die Wissenschaftlerin fordert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf, eine Aufsicht über Forschungsorganisationen in Deutschland einzuführen. Sie sollten sich nationalen Standards verpflichten, um mit Vorwürfen des Fehlverhaltens umzugehen. Weibliche Führungskräfte sollten unvoreingenommen bewertet werden. Und: Ein neues Aufsichtsgremium solle darauf achten, dass die Standards eingehalten werden.

Die MPG sagt dazu, dass das zentrale Beschlussorgan der Forschungsorganisation der Senat sei. Er entscheide »insbesondere auch bei der Berufung und Abberufung von Institutsleitern«. Er setze sich zusammen aus Mitgliedern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, also vor allem »externen Mitgliedern«. Zudem habe der Bundesrechnungshof zusammen mit dem Bayerischen Rechnungshof im vergangenen Jahr die Governance- und Compliance-Mechanismen in der MPG überprüft.

Aus dem Bildungsministerium heißt es nur knapp zu dem offenen Brief: »Das BMBF führt über die Max-Planck-Gesellschaft keine Rechts- oder Fachaufsicht. Die Max-Planck-Gesellschaft ist eine wissenschaftlich selbstverwaltete Forschungsorganisation.« Für die Verfahren und die Compliance-Regeln der Max-Planck-Gesellschaft und auch den Rauswurf aus einer Institutsleitung sei nicht das Ministerium verantwortlich, sondern die Organisation selbst.

kha
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