Nach Bertelsmann-Studie Ministerium hält Prognose zu fehlenden Kitaplätzen für »methodisch schwierig«

Fast 400.000 Kitaplätze fehlen laut Bertelsmann-Berechnungen im kommenden Jahr. Die Zahlen sorgen für massive Kritik an der Politik. Das Bundesfamilienministerium hingegen hinterfragt die ganze Studie.
Kita-Studie: Bundesfamilienministerium stellt Methodik infrage (Symbolbild)

Kita-Studie: Bundesfamilienministerium stellt Methodik infrage (Symbolbild)

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Lutz Wallroth / imago images / Shotshop

Das Bundesfamilienministerium stellt die aktuellen Berechnungen der Bertelsmann Stiftung zu fehlenden Kitaplätzen infrage. Zwar gebe es bei Kitaplätzen in Deutschland unterm Strich eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage, sagte eine Sprecherin auf dpa-Anfrage, allerdings sei eine »direkte Ableitung einer Zahl von fehlenden Plätzen wie hier vorgenommen« als »methodisch schwierig« zu werten.

Die Bertelsmann Stiftung hatte am Donnerstag eine Prognose veröffentlicht, wonach im kommenden Jahr, gemessen an der Nachfrage der Eltern, rund 384.000 Kitaplätze fehlen würden; der größte Teil davon im Westen Deutschlands. Es fehlten außerdem 309.000 Fachkräfte, um sowohl den Bedarf zu decken als auch den Personalschlüssel bundesweit zu verbessern, hieß es.

Methodisch waren die Fachleute nach eigenen Angaben so vorgegangen: Um die Zahl der fehlenden Kitaplätze in allen Bundesländern zu ermitteln, wurden amtliche Statistiken von Bund und Ländern ausgewertet. Daraus ermittelten die Fachleute die Betreuungsquoten im Jahr 2021, also wie viele Familien ihre Kinder in Kitas gaben. Diese Quote wurden dann mit dem Anteil der Eltern abgeglichen, die 2021 in der Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) angaben, einen Kitaplatz zu benötigen, also Betreuungsbedarf äußerten.

Zweifel an Vergleichbarkeit der Daten

Das Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) wandte nun laut dpa ein, dass die Betreuungsquote – also der Anteil der in Kitas oder in der Kindertagespflege betreuten Kinder an der Gesamtzahl der Kinder – auf der Grundlage »einer Vollerhebung« berechnet worden sei. Dagegen fuße die Berechnung des Betreuungsbedarfs auf einer »repräsentativen Stichprobenbefragung«.

Aus Sicht der Sprecherin relativiert sich damit die Aussagekraft der Prognose. Ein Teil der Eltern, die einen Betreuungswunsch äußerten, nutze aus unterschiedlichen Gründen einen angebotenen Platz nicht oder bemühe sich nicht aktiv darum, sagte die Sprecherin. Sich ändernde Bedürfnisse der Eltern und der demografische Wandel würden zudem Platz-Prognosen für das Jahr 2023 schwierig machen.

Das Ministerium selbst beziehe sich bei seinen Zahlen in der Regel auf Berechnungen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik. Demnach könnten in den Kitas bis 2030 bis zu 72.000 Fachkräfte fehlen – ohne verbesserten Personalschlüssel. Die Bertelsmann Stiftung geht für das kommende Jahr ohne verbesserten Personalschlüssel von 98.521 fehlenden Fachkräften aus.

Ministerium verweist auf Länder und Kommunen

Das Familienministerium räumte ein, es seien weitere Anstrengungen nötig, um die Betreuung zu verbessern. Ministerin Paus hatte erst kürzlich auf ein neues Kita-Gesetz verwiesen, mit dem der Bund die Länder beim Kita-Ausbau in den kommenden zwei Jahren mit vier Milliarden Euro unterstützen will. Die Sprecherin teilte nun mit, es sei aber die Aufgabe der Kommunen, Angebote zu schaffen und zu finanzieren – sowohl in Kitas als auch bei Tagesmüttern und ‑vätern.

»Der Bund hat keine Möglichkeit, ihnen Weisungen zu erteilen oder in sonstiger Weise auf ihre Entscheidungen Einfluss zu nehmen«, hieß es. Für die Finanzierung der Kitas seien zudem die Länder zuständig.

Die Bertelsmann Studie hatte die Veröffentlichung der Zahlen mit harscher Kritik verknüpft. »Das ist ein absolutes Versagen der Politik«, sagte Studienautorin und Expertin für frühkindliche Bildung, Kathrin Bock-Famulla, zum Gesamtbefund. Es würden ohne realistische Planung Ansprüche geschaffen. Das gelte auch für den Plan der Bundesregierung, für alle Kinder im Grundschulalter ab 2026 einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung zu schaffen.

Das Deutsche Kinderhilfswerk warnte mit Blick auf die Situation in den Kitas, Deutschland steuere »sehenden Auges auf eine bildungspolitische Katastrophe« zu. Die vorgelegten Zahlen seien keine Überraschung, sondern »ein weiteres Alarmsignal«.

Schon mehrfach hätten Kita-Fachkräfte Alarm geschlagen, da sie das Kindeswohl kaum gewährleisten können, betonte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. »Das darf nicht weiter mehr oder weniger achselzuckend hingenommen werden.« Gute Kita-Angebote für alle zu schaffen und zu erhalten sei eine Daueraufgabe, die Länder und Kommunen nicht allein stemmen könnten.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte eine »finanzpolitische Offensive«. Es seien Milliardeninvestitionen notwendig, um die dramatische Lage zu verbessern. Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit, mahnte, es sei »skandalös, dass es keinen Fahrplan gibt, um sowohl bundesweit den Rechtsanspruch als auch die wissenschaftlich fundierten Qualitätsstandards zu sichern«.

fok/dpa
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