Paritätischer Wohlfahrtsverband Fast jeder dritte Student lebt in Armut

Ein Großteil der Studierenden verfügt über ein Einkommen, das unter der statistischen Armutsgrenze liegt. Sozialexperten fordern daher deutliche Nachbesserungen bei der geplanten Bafög-Reform.
Studierende im Hörsaal (2019): Wer allein lebt, ist besonders armutsgefährdet

Studierende im Hörsaal (2019): Wer allein lebt, ist besonders armutsgefährdet

Foto: Rolf Vennenbernd / picture alliance / dpa

Fast jeder dritte Student und jede dritte Studentin in Deutschland sind rechnerisch von Armut betroffen. Bei allein lebenden Studierenden seien es sogar 79 Prozent – vor allem wegen der höheren Wohnkosten. Das geht aus Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbands hervor, die nun veröffentlicht wurden.

Der Verband fordert daher eine deutlich stärkere Bafög-Erhöhung, als sie derzeit von der Bundesregierung geplant wird. In der vergangenen Woche hatte die Koalition eine Reform in den Bundestag eingebracht, nach der der Bafög-Höchstsatz ab Herbst von derzeit 861 Euro auf dann 931 Euro steigen soll.

Derzeit betrage das mittlere Einkommen armer Studierender 802 Euro. Damit liegen sie 463 Euro unterhalb der Armutsschwelle. Überproportional von Armut betroffen seien dabei nicht nur zu 80 Prozent Einpersonenhaushalte, sondern auch zu 45 Prozent Studierende mit Bafög-Bezug.

»Altbackene Klischees sind absolut überholt«

»Die altbackenen Klischees des fröhlichen Studentenlebens bei wenig Geld, aber viel Freizeit, sind absolut überholt und haben mit der Lebenswirklichkeit und dem Studiendruck heutzutage nichts mehr zu tun«, teilte Ulrich Schneider mit, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Die Analyse stützt sich auf Daten des sozioökonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2020 sowie Erhebungen des Deutschen Studentenwerks zur wirtschaftlichen und sozialen Lage Studierender in Deutschland. Armut wird in Deutschland über das Haushaltseinkommen und die daraus folgenden Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe definiert. Als arm oder armutsgefährdet gelten demnach Menschen, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen müssen – auch dann, wenn die Betroffenen selbst sich möglicherweise nicht als arm beschreiben würden.

Geplante Erhöhung gleicht Inflation nicht aus

Mit der geplanten Anhebung der Bafög-Sätze um fünf Prozent werde keine strukturelle Verbesserung erreicht, hieß es vom Paritätischen mit Blick auf die finanzielle Situation der Studierenden. Angesichts der aktuellen Inflationsrate reiche die geplante Anpassung nicht einmal aus, um die Kaufkraft zu erhalten. »Notwendig ist daher eine angemessene Anhebung der Bafög-Bedarfssätze und deren automatische und regelmäßige Fortschreibung«, forderte der Verband.

Vorgesehen ist von der Ampelkoalition neben einer Anhebung der Fördersätze um fünf Prozent auch eine Erhöhung der Elternfreibeträge, um den Kreis der Bafög-Berechtigten zu vergrößern. Studierendenvertreter und Sozialverbände drängen vor dem Bundestagsbeschluss noch auf Änderungen wie eine deutlichere Erhöhung der Sätze.

»Spätestens seit der Coronapandemie ist deutlich, dass strukturelle Armut unter Studierenden ein real existierendes Problem darstellt«, sagt Lone Grotheer vom »freien zusammenschluss von student*innenschaften«. Die geplante Erhöhung sei daher »viel zu wenig«. Eine Einschätzung, der sich auch Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, anschloss. Armut unter Studierenden sei leider ein bekanntes Phänomen, sagte Anbuhl. Die Forderung nach einer deutlich höheren Steigerung der Bafög-Sätze sei daher völlig berechtigt.

him/dpa/AFP
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