Pisa-Sonderauswertung Schülerinnen und Schüler haben keine Lust mehr zu lesen

Immer mehr Jugendliche lesen nur noch, wenn sie müssen, das zeigt eine Pisa-Sonderauswertung. Und: Digitale Medien können zur Gefahr für die Lesekompetenz werden.
Jugendliche beim Lesen (Symbol): Keine Lust mehr

Jugendliche beim Lesen (Symbol): Keine Lust mehr

Foto: Richard Bailey / Getty Images

Sich abends mit einer Taschenlampe ins Bett legen und bis in die Nacht hinein lesen, klingt gut. Das klingt nach Abenteuern, nach der unendlichen Geschichte, nach dem Glücksdrachen Fuchur. Doch diese Vorstellung des abendlichen Lesevergnügens gehört im Leben vieler Jugendlicher längst der Vergangenheit an. Wer bitte nimmt sich noch abends ein Buch mit ins Bett?

Aus einer Pisa-Sonderauswertung geht nun sogar Folgendes hervor: Immer weniger Schülerinnen und Schüler haben überhaupt noch Freude am Lesen. Nur in zwei anderen Ländern nimmt die Lesefreude ebenso ab wie in Deutschland: Finnland und Norwegen.

Immer mehr Jugendliche lesen demnach nur noch, wenn sie müssen, egal, ob die Texte gedruckt oder digital abrufbar sind. Dies gilt für Jungen und Mädchen gleichermaßen, und es spielt auch keine Rolle, welche weiterführende Schule sie besuchen. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die gern lesen, lesen verständlicherweise auch besser als alle anderen, denen Lesen keine Freude macht.

Pisa-Sonderauswertung: Lesen im 21. Jahrhundert

Die internationale Schulleistungsstudie Pisa im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erfasst die Kompetenzen von 15-jährigen Jugendlichen beim Lesen, in der Mathematik und den Naturwissenschaften. In der vorliegenden Sonderauswertung wurden die Lesekompetenzen 15-jähriger Schülerinnen und Schüler betrachtet.

Und diejenigen, die gedruckte Bücher lesen, lesen viel besser als diejenigen, die Bücher auf digitalen Geräten lesen.

Laut der Untersuchung überrascht vor allem ein Ergebnis: Wenn Schulkinder E-Books lesen, ist ihre Lesekompetenz auf ähnlichem Niveau wie das derjenigen, die selten oder nie Bücher lesen. Vor allem bei Schülerinnen und Schülern aus ungünstigen sozioökonomischen Verhältnissen sind gedruckte Bücher sinnvoller als schlecht konzipierte multimediale Bücher.

Weitere Ergebnisse im Überblick:

  • Rund ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler in Deutschland (21 Prozent) erreicht nicht das Mindestniveau in der Lesekompetenz, das wichtig für ein selbstbestimmtes Leben und für die Teilhabe an der Gesellschaft ist.

  • Nur etwa die Hälfte aller Schulkinder (49 Prozent) kann beurteilen, ob Informationen aus dem Internet vertrauenswürdig sind.

  • Nach wie vor können Mädchen viel besser lesen als Jungen. Sie verstehen und merken sich besser, was in Texten steht. Sie können Informationen besser zusammenfassen und besser beurteilen, wie glaubwürdig Quellen sind.

  • Sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler können weniger gut lesen als diejenigen, die aus sozial starken Familien kommen. Ihnen fällt es auch schwerer, zu erkennen, ob Informationen im Internet verzerrt sind. In Deutschland sind diese Unterschiede deutlich größer als im OECD-Durchschnitt.

  • Nutzen Schulkinder digitale Geräte in der Schule länger, verschlechtert sich deren Leseleistung, vor allem Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien sind davon betroffen. Nur, wenn Lehrkräfte digitale Medien und Geräte gezielt und auf sinnvolle Art und Weise für bestimmte Lernprozesse nutzen, kann dies die Lesekompetenz fördern.

  • Diejenigen, die gut lesen können, sind auch in der Lage, digitale Technologien optimal zu nutzen. Leistungsstarke Leser und Leserinnen nutzen digitale Geräte etwa, um Nachrichten zu lesen, sie lesen aber auch gern Bücher in Papierform.

Die Stiftung Lesen unterstreicht diese Ergebnisse: Demnach stehen Schülerinnen und Schüler vor großen Herausforderungen, wenn sie digital lesen wollen. Und dafür gibt es einen Grund: Es gibt immer mehr Informationsquellen im Internet. »Der Umgang mit digitalen Geräten und Quellen ist Gegenstand im Unterricht und wird auch eingeübt«, sagte die Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen, Simone Ehmig, der Nachrichtenagentur dpa. Jedoch könne jede Schülerin und jeder Schüler nur so gut mit diesen Angeboten umgehen, wie Basiskompetenzen und damit auch Lesekompetenz vorhanden seien.

Laut Ehmig zeigten Studien, dass bildungsbenachteiligte und leseferne Menschen generell überdurchschnittlich häufig Probleme dabei hätten, digital vermittelte Information zu finden, sie zu verstehen und einzuordnen. »Sie sind überfordert durch die Komplexität der Inhalte und die Länge der Texte.« Das betreffe alle Generationen.

Zwar hätten fast alle Jugendlichen Zugang zu digitalen Endgeräten und könnten damit umgehen. Wer aber nicht gut lesen könne, scheitere oft an Inhalten, die nicht in Videos oder Audios vermittelt werden. Zudem falle es Menschen mit schwach ausgeprägten Lesekompetenzen besonders schwer, die Relevanz, Seriosität und Glaubwürdigkeit einer »kaum durchschaubaren Zahl von Quellen« einzuschätzen.

Ehmig fordert, neben dem literarischen und philosophischen Kanon von Texten, im Unterricht auch Alltagstexte zu behandeln – etwa amtliche Meldungen, allgemeine Geschäftsbedingungen oder Lebensmittelhinweise.

Mit Material von dpa

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