

SPIEGEL-Bildungsnewsletter Rechtsextreme Umtriebe an Schulen und die Ängste der Lehrkräfte

Liebe Leserinnen, liebe Leser, guten Morgen,
dass mitten in der laufenden Amtsperiode die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) ausgewechselt wird, passiert nicht allzu oft. Letzte Woche war’s aber doch so weit: Astrid-Sabine Busse (SPD) trat als Berliner Bildungssenatorin und damit auch als KMK-Chefin ab, Katharina Günther-Wünsch (CDU) übernahm beide Ämter. Im SPIEGEL-Interview knüpfte die Neue an ein Mantra ihrer Vorgängerin an. »Ihre Frage suggeriert, dass bis jetzt alles schlecht gewesen sei – das sehe ich nicht so«, sagte Günther-Wünsch im Gespräch mit den SPIEGEL-Journalistinnen. Das klingt nicht unbedingt nach Revolution, könnte man denken (»Das ist los«).
Ein Thema, mit dem sich die neue KMK-Präsidentin und ihre Kolleginnen und Kollegen auf jeden Fall beschäftigen müssen, kochte in den vergangenen Tagen unmittelbar vor der Berliner Haustür hoch: rechtsextreme Vorfälle an Schulen. An einer Einrichtung in Brandenburg ist es offenbar so schlimm, dass sich die Lehrkräfte nicht mehr zu helfen wissen und in einem Brandbrief nach Unterstützung rufen. Auch da muss ein Neuer als brandenburgischer Ressortchef das Thema schnell angehen: Steffen Freiberg (SPD), designierter Bildungsminister und Nachfolger der überraschend zurückgetretenen Britta Ernst (SPD) .
Aber auch im Westen war ziemlich viel los in den vergangenen zwei Wochen. Wenn Sie in Nordrhein-Westfalen arbeiten, gehören Sie möglicherweise zu den Lehrkräften, die am Dienstag vor 14 Tagen stundenlang in der Schule ausharrten und auf den Download der Abiklausuren warteten – um dann abends, irgendwann gegen 20.30 Uhr, zu erfahren: Das wird nichts mehr, die Prüfungen am nächsten Tag fallen aus. Wie es dazu kam, zeichnen wir noch mal nach – und kommentieren die Folgen (»Debatte der Woche«).
Da läuft ja einiges schief, denken Sie gerade? Dann sind Sie nicht allein: So sehen es auch viele Jugendliche. Einige von ihnen haben einen bemerkenswerten Dokumentarfilm gedreht – über die Mängel des Bildungssystems, aber auch über ihre Visionen vom Lernen. »Bildungsgang « heißt der Film, am 11. Mai kommt er in die Kinos. Ich konnte ihn am vergangenen Freitag vorab schon sehen – und finde ihn wirklich empfehlenswert .
Wie immer freuen wir uns über Lob. Kritik und Themenanregungen zur »Kleinen Pause« – gern per E-Mail an bildung@spiegel.de . Bleiben Sie gesund!
Für das Bildungsteam des SPIEGEL
Armin Himmelrath

CDU an der Macht: Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner ernennt Katharina Günther-Wünsch zur Senatorin für Bildung, Jugend und Familie
Foto: Annette Riedl / dpaDas ist los
1. Die Neue hat »richtig Bock«
Als meine Kolleginnen Susmita Arp und Miriam Olbrisch mit Katharina Günther-Wünsch sprachen, der neuen Bildungssenatorin in Berlin, klang manches vertraut: Bisher sei »nicht alles schlecht« gewesen, sagte die Senatorin mit Blick auf die Schulpolitik in der Hauptstadt. Aber dann packte sie doch ein paar frische Ideen aus, etwa beim Thema Lehrkräftemangel: »In der Senatsverwaltung arbeiten zahlreiche Lehrkräfte. Diese vielen Abordnungen aus dem Unterricht müssen nicht sein«, sagte Günther-Wünsch und legte nach: »Gleiches gilt für den Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung. Wenn eine Seminarleitung statt einer Schulklasse mit 30 Kindern nur fünf Referendarinnen und Referendare betreut, dann läuft etwas schief.« Es könnte sich einiges ändern, zumindest für einen Teil der Lehrerinnen und Lehrer in Berlin. Das ganze Interview lesen Sie hier .
Dass sich etwas ändern muss, zeigt der Blick nach Ludwigshafen: Da gibt es eine Grundschule, in der in diesem Schuljahr wohl 40 Kinder nicht die erste Klasse schaffen werden. Meine Kollegin Swantje Unterberg befragte Rektorin Barbara Mächtle: »Viele Kinder wissen noch nicht mal, was ein Mäppchen ist«, sagte Mächtle .
2. Die Lehrkräfte haben richtig Angst
Den Schilderungen zufolge werden Hakenkreuze auf Schulmobiliar geschmiert und demokratiefeindliche Parolen auf den Fluren gerufen: An einer Schule in Burg im Landkreis Spree-Neiße ist der Rechtsextremismus so alltäglich geworden, dass die Lehrkräfte in einem offenen Brief nach Hilfe rufen. Mittlerweile ermittelt die Polizei. Der designierte Bildungsminister Steffen Freiberg zeigt sich alarmiert: »Das Erste, was jetzt passieren muss, ist, denjenigen, die für Freiheit, Demokratie und Toleranz einstehen, dort den Rücken zu stärken und konkrete Hilfe zu leisten, so gut es geht«, sagte Freiberg. Klar ist aber auch: Schule allein kann dieses Problem nicht lösen, die Zivilgesellschaft muss mehr tun als nur daneben stehen und sich gruseln.

Westend61 / IMAGO
3. Das ist so richtig ungerecht…
…sagt Mark Rackles mit Blick auf die Arbeitszeiten der Lehrerinnen und Lehrer. Der Mann muss es wissen, er war mal Bildungs-Staatssekretär in Berlin. Das Thema Lehrerarbeitszeit sei bisher »erstaunlich unterbelichtet«, sagt Rackles. Deshalb hat er sich die entsprechenden Vorschriften in den Bundesländern für die Telekom-Stiftung mal genauer angeschaut.
Erstaunliches Ergebnis: Die Arbeitszeit von Deutschlands Lehrerinnen und Lehrern ist nach einem Modell aus dem vorletzten Jahrhundert (!) geregelt. Und das hat massive Nachteile – interessanterweise auch für die Schüler. Rackles kommt jedenfalls zu einem vernichtenden Fazit: Das bei uns übliche Lehrerarbeitszeitmodell »ist ungerecht, unflexibel, ineffizient und fördert ungesehene Mehrarbeit und Belastung«. Das sitzt.
4. Und sonst?
Dürfen wir noch kurz das Stichwort »Digitalisierung« aufrufen? Viele von Ihnen wenden sich jetzt vielleicht mit Grausen ab – klar, es gibt ja auch wirklich ausreichend Beispiele dafür, dass die Schulen in Deutschland damit nicht unbedingt an der Weltspitze mitspielen. Das hat sich auch bis zum EU-Rechnungshof herumgesprochen: Der hat nämlich die Verwendung von europäischen Fördermitteln zur Digitalisierung der Schulen untersucht. Kein ganz kleiner Posten, der da geprüft wurde: Rund 1,2 Milliarden Euro erhält Deutschland von der EU, um die Schulen digital fit zu machen. Doch so richtig scheint das nicht zu klappen, das Geld versickert irgendwo im System, kritisieren die Prüfer.

Silas Stein / dpa
Zahl der Woche
Sind 700.000.000 Euro (in Worten: siebenhundert Millionen) im Bildungssystem falsch verplant? Davon geht jedenfalls der Bundesrechnungshof aus, der sich in einem neuen Bericht ausgesprochen kritisch zur Finanzierung des Ganztagsausbaus äußert: Demnach haben die Länder 700 Millionen Euro zu viel eingeplant, weil voraussichtlich 185.000 Plätze weniger als gedacht in Anspruch genommen werden.
Klar, das sind Prognosen – aber der Rechnungshof übt auch grundsätzliche Kritik. Und da sind die Summen noch höher: Das Familienministerium »unterstützt die Länder beim Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder mit bis zu 3,5 Milliarden Euro am Bedarf vorbei«, schreiben die Prüfer. Das liege unter anderem an der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel: »Dieser richtet sich nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahl der Länder, nicht jedoch nach deren Bedarf an Betreuungsplätzen.« Wenn Sie selbst nachlesen möchten: Die Zahlen finden Sie auf Seite 72 des Berichts .
Debatte der Woche
Wohl alle, die sich auch nur halbwegs für das Schulsystem interessieren, haben in den vergangenen zwei Wochen mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit, ungläubigem Staunen, Entsetzen und vielleicht auch Fatalismus nach Nordrhein-Westfalen geschaut: Da wurde der Auftakt zur Klausurphase im Abitur ziemlich versemmelt, weil beim Download der Aufgaben der Server zusammenbrach.
Das Ergebnis kennen Sie: Rund 30.000 Schülerinnen und Schüler mussten ihre naturwissenschaftlichen Klausuren zwei Tage später schreiben. Hier lesen Sie noch einmal die wichtigsten Stimmen zum #AbiFail – und hier die Einzelheiten zu einer weiteren NRW-Datenpanne an den Schulen, bei der persönliche Daten von Lehrerinnen und Lehrern frei zugänglich im Netz verfügbar waren.
Das Problem liegt tiefer als beim Verweis auf technische Unzulänglichkeiten beim Dienstleister, ist meine Kollegin Miriam Olbrisch überzeugt. Sie kommentiert:
Während der Coronapandemie haben Deutschlands Schulen einen beinahe kometenhaften – und längst überfälligen – Digitalisierungsschub erlebt. Ein großer Teil der Lehrkräfte stellte Aufgaben auf Lernplattformen, viele hielten Unterricht via Videokonferenz ab, Lehrkräfte bekamen Dienst-Tablets und -Laptops. Die Gelder, die Bund, Länder und Europäische Union über den Digitalpakt Schule bereitgestellt hatten, wurden endlich in nennenswertem Umfang abgerufen. Auch, wenn nicht immer alles ruckelfrei lief.
Die Serverpanne beim NRW-Abi zeigt nun noch einmal deutlich, dass in Sachen Digitalisierung an Deutschlands Schulen und in der dazugehörigen Verwaltung noch längst nicht alles gut ist. Wir können das Thema – trotz Pandemieschub – noch nicht als erledigt abhaken. Im Gegenteil: An einigen Schulen entwickelt sich das digitale Arbeiten anscheinend sogar zurück. In einer Umfrage im Auftrag der Telekom-Stiftung unter mehr als tausend Schülerinnen und Schülern sagte rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen, dass der Unterricht an ihrer Schule im Hinblick auf den Einsatz digitaler Medien »genauso wie vor Corona« stattfinde. Weitere 44 Prozent gaben an, dass es nur »noch einige digitale Angebote« an ihrer Schule gebe – so als wäre die Digitalisierung nur ein Pandemie-Accessoire gewesen wie Masken und Coronatests.
»Mit einem Fax wäre das nicht passiert«, unkten Twitternutzer, als das NRW-Schulministerium die Verschiebung der Abiturprüfung verkündete. Andere fragten, warum die Verantwortlichen die Aufgaben nicht wie früher mit der Post verschickt hatten. Den Digitalisierungsschub aus der Pandemie versanden zu lassen und in den alten, analogen Arbeitsweisen zu verhaften, wäre fatal. Die Serverpanne in NRW lässt sich als Weckruf verstehen. Es gilt, digitale Abläufe besser zu machen. Es gibt noch viel zu tun.
SPIEGEL Ed
Zum Schluss noch ein paar handfeste Hinweise: Wir bieten in Kooperation mit der Schwarzkopf-Stiftung eine Reihe medienpädagogischer Schul-Workshops an, bei denen es um die Entwicklung von Medien- und Nachrichtenkompetenz geht.
Möchten Sie in Ihrer Klasse mit Journalistinnen und Journalisten des SPIEGEL über den Redaktionsalltag, über Fake News und Medienkompetenz diskutieren? Dann melden Sie Ihre Schulklasse gern zu einem der Workshops an – digital oder analog. Die Kurse für Schülerinnen und Schüler ab etwa 14 Jahren folgen dem Peer-Education-Ansatz und werden von jungen Trainerinnen und Trainern geleitet.

Kursformat »Gute Nachrichten!«: Der Workshop gibt Jugendlichen eine Einführung in Journalismus und Nachrichten. Er beleuchtet das eigene Medienverhalten der Schülerinnen und Schüler und ermutigt sie zu einer offenen Diskussion über die Rolle und Verantwortung von Medien in einer Demokratie. Mehr Informationen und Anmeldung hier .
Digitale Medien: Fake News & Hate Speech: Der digitale Workshop vermittelt jungen Menschen in unterschiedlichen Formaten digitale Medienkompetenzen. Sie setzen sich interaktiv mit Fake News und Hate Speech auseinander und erlernen Strategien für eine achtsame und demokratische Nutzung digitaler Medien. Mehr Informationen und Anmeldung hier .
Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am morgigen 3. Mai gibt es außerdem ein umfangreiches Programm der Initiative »Journalismus macht Schule« . Dort engagieren sich auch SPIEGEL-Journalistinnen und Journalisten – vielleicht ist in dem Angebot auch etwas für Ihren Unterricht dabei.
Am 14. Juni 2023 veranstaltet Weitklick, ein Netzwerk für digitale Medien- und Meinungsbildung, in Berlin eine Fachtagung , die in einigen Bundesländern als Fortbildung anerkannt ist: »Stark gegen Desinformation und Hate Speech – Medienbildung in Schule und Elternarbeit«. Die Veranstaltung findet im Museum für Kommunikation Berlin statt, ist kostenfrei und offen für alle Interessierten. Der SPIEGEL ist im Weitklick-Beirat vertreten.
Mit diesen Hinweisen verabschieden wir uns bis zur nächsten »Kleinen Pause«. Bis dahin sind Sie gefragt: Haben Sie ein Thema auf dem Herzen, das wir uns einmal genauer anschauen sollten? Dann schreiben Sie uns gern an bildung@spiegel.de – das Team der »Kleinen Pause« dankt für Ihr Interesse!