Silke Fokken

Ideen gegen die Schulmisere Können Kinder Glück lernen?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ein Newsletter zum Thema Schule kommt für Sie womöglich zur absolut unpassenden Zeit: Es sind Ferien, zumindest in den allermeisten Bundesländern. Und wer gerade keine Ferien hat, darf sich zumindest auf ein paar freie Tage über Ostern freuen – und die Schule (hoffentlich) einfach mal Schule sein lassen.

Aber vielleicht ist dies auch genau der richtige Zeitpunkt, um (bestenfalls) tiefenentspannt, mit ein paar Schokoeiern neben sich, Kraft und neue Motivation zu schöpfen: mit positiven Berichten über Ideen und Projekte, die den drängenden Problemen im Bildungssystem etwas entgegensetzen wollen.

Ein Lehrer aus Berlin-Neukölln erklärt, was sich allein dadurch verbessern kann, dass wir auf bestimmte Bildungsbürger-Begriffe verzichten. Die Sechstklässlerin Marie aus Dresden beschreibt, warum ihr eine Schule guttut, die auf die übliche Stundentafel verzichtet. Und ein ehemaliger Schulleiter aus Heidelberg berichtet, wie die Schule Kindern zu Glück verhelfen kann.

Foto:

Armin Weigel / dpa

Sie merken, ich bemühe mich um »konstruktiven Journalismus«: Probleme benennen und mögliche Lösungen aufzeigen. Manche Lösungen sind allerdings stark umstritten, etwa die Beschränkung von Teilzeitstellen in Baden-Württemberg gegen Unterrichtsausfall. Ich selbst war vom Jogginghosen-Streit in Wermelskirchen zugegebenermaßen leicht genervt, habe aber gelernt, dass selbst diese Kontroverse positive Aspekte haben kann.

Die schlechten Nachrichten sind in diesem Newsletter jedenfalls, mit Blick auf Ferien und Feiertage, sparsam dosiert. Sollten Sie selbst konkrete Beispiele kennen, wie sich der Schulalltag verbessern lässt, schreiben Sie gern an bildung@spiegel.de . Wir freuen uns.

Herzlich, Silke Fokken

Für das Bildungsteam des SPIEGEL

Das ist los – Ideen für

...mehr Spaß an der Schule

1. In der 1. Klasse habe sie oft Angst vor der Schule gehabt, erzählt die Sechstklässlerin Marie in dem Kindermagazin »Dein SPIEGEL«. Inzwischen besucht sie die Universitätsschule Dresden. »Das ist eine Schule, an der ausprobiert wird, wie sich der Unterricht in Zukunft verändern könnte«, erklärt sie. Die Schule verzichtet auf klassische Fächer wie Deutsch und Geschichte, und Noten gibt es auch nicht. Wie Marie diese Art von Unterricht erlebt, lesen Sie hier .

…weniger Unterrichtsausfall

2. Etliche Bundesländer sind sehr darum bemüht, den Lehrkräftemangel zu lindern; allerdings mit teils stark umstrittenen Ansätzen. In Berlin dürfen Schulen ihre Stellen nur zu 96,3 Prozent besetzen. Ist diese Quote bereits erfüllt, muss eine Schule notfalls etwa die Bewerbung eines dringend benötigten Mathelehrers ablehnen.

Der Gedanke dahinter: Im besten Fall bewirbt sich der Lehrer an einer Schule, die noch stärker unter Personalnot leidet. Warum die Idee der Berliner Schulsenatorin aus Sicht von Schulleitungen nicht aufgeht und was sie stattdessen vorschlagen, haben wir hier  für Sie aufgeschrieben.

In Sachsen und Baden-Württemberg wagen sich die Kultusministerien an eine »heilige Kuh«: die Beschränkung der Teilzeitregeln für Lehrkräfte. Im Südwesten sollen Lehrkräfte bald nur noch begründet weniger als 75 Prozent arbeiten dürfen. Ausnahmen sind demzufolge Elternzeit, familiäre Gründe und Pflegezeit. Der Hintergrund: Im Schuljahr 2021/2022 arbeiteten in Baden-Württemberg mehr als die Hälfte der Lehrkräfte nicht voll. In Zahlen: 56.000 Lehrkräfte waren in Teilzeit, 14.000 davon aus »sonstigen Gründen«. Um diese Beschäftigten geht es nun.

Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) folgt Empfehlungen der Ständigen wissenschaftlichen Kommission für die Kultusministerkonferenz, wonach bei der Begrenzung von Teilzeitstellen »die größte Beschäftigungsreserve« liege. Allerdings musste die SWK ihre Zahlen zur Teilzeitquote inzwischen relativieren, wie meine Kollegin Miriam Olbrisch recherchiert hat – und Lehrerverbände halten die Maßnahme für kontraproduktiv, freundlich formuliert. Die Sorge: Der Lehrermangel wird sich dadurch noch verschärfen.

...mehr Chancengerechtigkeit

3. Für Tobias Nolte, Lehrer aus Berlin-Neukölln, fängt Chancengerechtigkeit schon damit an, dass wir auf Begriffe wie »Brennpunktschule« verzichten und von »Schulen in normaler Lage« sprechen. Brennpunktschule sei eine Zuschreibung, die aus einem bildungsbürgerlichen Verständnis bestimmter Normen resultiere, schreibt Nolte in einem Gastbeitrag für den SPIEGEL.  »Für unsere Schüler:innen aber ist ihre Schule die Norm.«

Nolte fordert von der Politik andere Arbeitsbedingungen, um den Kindern gerecht werden zu können: »Wir benötigen mehr Zeit für Beziehungsarbeit, die bisher immer on top zur vergüteten Unterrichtsverpflichtung erfolgt und die wohl entscheidend ist für erfolgreiches Arbeiten in normaler Lage. Wir müssen weg von einer Arbeitszeitberechnung, die nur unsere Unterrichtsstunden honoriert.« Noltes Beitrag finden Sie hier .

Eine Privatschule in Berlin nimmt gezielt Kinder aus sozial benachteiligten Familien auf und versucht zumindest einige Forderungen des Neuköllner Lehrers umzusetzen. Wie das praktisch aussieht und wie sich die Schule finanziert, hat die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« recherchiert. 

...mehr Gelegenheit zur Rebellion

4. Eine Schule im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen sprach ein Jogginghosen-Verbot aus. Schülerinnen und Schüler, die im entsprechenden Schlabberlook zum Unterricht kamen, schickte sie nach Hause. Als das bekannt wurde, folgte Protest. Zu Unrecht, heißt es bei ZEIT ONLINE . Mit dem Verbot hätten Jugendliche immerhin noch etwas, gegen das sie aufbegehren könnten.

Und sonst noch?

In Berlin ist ein Vater vor Gericht mit einem Eilantrag gescheitert, mit dem er genderneutrale Sprache an den Gymnasien seiner beiden Kinder verbieten lassen wollte. Seinen Kindern sei es grundsätzlich zuzumuten, mit den Auffassungen und Wertvorstellungen einer pluralistischen Gesellschaft konfrontiert zu werden – auch wenn diese möglicherweise im Widerspruch zu eigenen Überzeugungen stünden, hielt das Gericht dem Kläger entgegen.

Mein Kollege Guido Mingels hat mit dem Berliner Vater gesprochen und die Hintergründe zu dem Fall recherchiert. Seinen lesenswerten Text finden Sie hier .

Gut zu wissen

SPIEGEL-Backstage: Lehrernotstand, Erzieherchaos – wie sehr leiden unsere Kinder?

Foto:

Babette Brandenburg / Jessica Meyer

Mein Kollege Armin Himmelrath und ich haben vielen Leserinnen und Lesern bei einem Backstage-Gespräch von unserem Arbeitsalltag und den Beobachtungen zur Schulmisere berichtet. Zur Videoaufzeichnung bitte hier  entlang.

Für uns war im Nachhinein spannend, den Livechat des Publikums zu lesen. Darunter waren viele Anregungen, was sich im Bildungssystem ändern müsste und einige streitbare Fragen. Hier eine sehr kleine Auswahl:

  • »Im Moment gibt es offizielle und inoffizielle Schulrankings in den Bundesländern (Vergleichsarbeiten, Abschlüsse, Schulinspektionen, der »Ruf« einer Schule.) Sie sind ein Auswahlkriterium für Eltern. Tatsächlich müssten solche Daten dazu führen, dass die Gründe bei »schlechten« Schulen sofort untersucht werden und die Schulen Hilfen bekommen: mehr Personal: bessere Ausstattung, evtl. Austausch der Schulleitung oder einzelner Lehrkräfte.«

  • »Dringend erforderlich wäre ein PFLICHT-Vorschuljahr. Das traut sich die Politik leider nicht.«

  • »Ist es nicht an der Zeit, den Föderalismus im Bildungssystem zu begraben und die Kompetenzen zu bündeln, statt 16 Ministerien zu unterhalten? Wäre es nicht an der Zeit, dass man diese Gelder in Bildung investiert und nicht in Verwaltung?«

Einige Leserinnen und Leser wollten wissen, wie und wo sie sich selbst engagieren könnten, um der Bildungsmisere entgegenzuwirken: Beim Bundesverband Mentor können Sie Leselernhelfer werden, bei der Initiative Seniorpartner in School (SiS) Konfliktmanager.

Allein die Hamburger Freiwilligenbörse listet unter dem Stichwort Schule rund hundert Angebote auf, für Kitas sind es mehr als 50. Solche Agenturen gibt es in vielen Städten. Vielleicht finden Sie das Passende für sich?

Debatte der Woche

Warum Schulen »Glück« brauchen

Seit Herbst steht »Glück« an 15 Braunschweiger Grundschulen auf dem Stundenplan, wie die »Süddeutsche Zeitung« berichtet.  Bundesweit wird das Fach schon seit einigen Jahren an mehr als hundert Schulen unterrichtet. Als treibende Kraft dafür gilt der ehemalige Schulleiter Ernst Fritz-Schubert, 74, der »Glück« 2007 an seiner Schule in Heidelberg einführte und mehrere Bücher über Glücksunterricht verfasst hat.

SPIEGEL: Herr Fritz-Schubert, können Kinder Glück lernen?

Ernst Fritz-Schubert: Es gibt keine Garantie dafür, Glück zu finden, glücklich im Leben zu werden. Mir geht es darum, dass Kinder die Voraussetzungen dafür erwerben, sich wohlzufühlen, also empfänglich für Glück zu werden – und auch stabil mit den Herausforderungen und Widrigkeiten des Lebens umzugehen.

SPIEGEL: Und das klappt mit Glücksunterricht?

Fritz-Schubert: Ja, das ist die Idee dieses Fachs. Ich habe immer wieder verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler erlebt, denen die Schule mit disziplinarischen Maßnahmen begegnet. Ich finde es besser, präventiv zu arbeiten und Kindern zu helfen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, Orientierung zu finden und sich in der Gemeinschaft wohlzufühlen. Sie müssen so viel Freude in sich haben, dass sie all dies gerne angehen, statt sich für jede Dummheit zu begeistern. Dafür ist etwa wichtig, dass Kinder im Wortsinn Selbstbewusstsein erfahren: Wer bin ich? Was brauche ich wirklich? Was sind meine Stärken und Schwächen? Was will ich?

SPIEGEL: Und das lässt sich einmal pro Woche in 45 Minuten im Klassenraum lernen?

Fritz-Schubert: Nein, wenn man etwas für sein Wohlbefinden tun will, legt man nicht einfach den Schalter um. Kinder müssen sich darauf einlassen. Dafür ist eine kontinuierliche Arbeit nötig, am besten als Bestandteil jedes Fachs, aber so funktioniert Schule leider nicht. Deshalb sollte »Glück« im Stundenplan verankert sein; im Idealfall über mehrere Schuljahre mit mindestens einer Doppelstunde pro Woche.

SPIEGEL: In der Bildungsszene wird gerade diskutiert, ob nicht Deutsch und Mathematik anlässlich der Leistungseinbrüche von Viertklässlern beim IQB-Bildungstrend höchste Priorität haben sollten.

Ernst Fritz-Schubert: Ich antworte mit einer Geschichte: Ein Spaziergänger trifft eine Gruppe von Baumfällern, die sägen und sägen, aber der Baum fällt nicht um. Der Spaziergänger sagt: Sieht aus, als sei euer Sägeblatt stumpf. Sagen die Baumfäller: Jaja, aber wir haben keine Zeit, ein neues einzuspannen. Damit will ich sagen: Wenn Kinder eine starke Persönlichkeit haben, lassen sie sich viel eher fürs Lernen begeistern, auch für Deutsch oder Mathematik, als wenn sie sich nichts zutrauen oder die Schule als überflüssig empfinden. Das ist ein wechselseitiger Prozess.

Das war’s für dieses Mal. Vielen Dank für Ihr Interesse. Schicken Sie Ideen und Feedback gerne an bildung@spiegel.de – und vor allem: Genießen Sie (soweit möglich) die freien Tage!

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