

SPIEGEL-Bildungsnewsletter Kannst du das lesen?

Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich wünsche Ihnen einen möglichst guten Morgen!
Hand aufs Herz: Lesen Sie gerne? So richtig mit Freude, Bücherstapeln auf dem Nachttisch und hingebungsvollem Herumstöbern in Buchläden und Bibliotheken?
Die Mehrheit der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland würde diese Frage mit »Nein« beantworten – das ist eine so zentrale wie bedauernswerte Erkenntnis aus der neuen internationalen Lese-Studie Iglu, die heute vorgestellt wird (»Das ist los«). Anscheinend gelingt es Eltern und Lehrkräften derzeit nicht gut, bei Kindern die Freude am Lesen zu wecken.
Dementsprechend sind die Ergebnisse der Studie: Deutschlands Grundschulkinder lesen im internationalen Vergleich bestenfalls mittelmäßig gut – und sie haben sich im Vergleich zur vorhergehenden Untersuchung im Jahr 2016 zudem deutlich verschlechtert.
Für mich zeichnet sich hier ein klassisches Henne-Ei-Problem ab: Lesen die Kinder so schlecht, weil es ihnen keinen Spaß macht? Oder macht es ihnen keinen Spaß, weil ihnen die Grundfertigkeiten fehlen? Ich bin gespannt, wie Sie, die Leserinnen und Leser dieses Newsletters, darüber denken – schließlich sind die meisten von Ihnen als Lehrkräfte und Eltern jeden Tag damit konfrontiert. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an bildung@spiegel.de .
Vielleicht haben Sie auch eine Meinung zu einem der anderen Themen in diesen Newsletter – zu den Abiturpannen in Nordrhein-Westfalen und anderswo, zum Startchancen-Programm (»Das ist los«) oder zu der neu aufflammenden Debatte über das G9 (»Debatte der Woche«)? Auch hierzu dürfen Sie uns gerne schreiben.
In diesem Sinne: Wir wünschen Ihnen möglichst viel Freude bei der Lektüre!
Herzliche Grüße
Miriam Olbrisch
für das Bildungsteam des SPIEGEL
Das ist los

Lesen macht vielen Kindern in Deutschland keine Freude
Foto: Patrick Pleul/ dpa1. Schlechtes Zeugnis für Deutschlands Grundschulkinder
Platz 26 von 57 – hinter Ländern wie Bulgarien, Tschechien und Russland. Deutschlands Viertklässlerinnen und Viertklässler haben in der internationalen Lese-Studie Iglu wenig erfreuliche Ergebnisse erzielt. Und das liegt – Achtung, Spoiler! – nicht nur an der Coronapandemie. Eine Analyse der Untersuchung lesen Sie hier .
Nele McElvany, Schulentwicklungsforscherin von der TU Dortmund, zeigt sich im Interview mit meinem Kollegen Armin Himmelrath sehr beunruhigt über die neuesten Iglu-Ergebnisse. Besonders große Sorgen bereitet ihr, dass mehr als ein Viertel der Kinder am Ende der vierten Klasse nicht ausreichend lesen können, um auf einer weiterführenden Schule erfolgreich zu lernen.
2. Wann starten die Startchancen?

Bettina Stark-Watzinger
Foto: ANNEGRET HILSE / REUTERSDas so genannte Startchancen-Programm, das Kindern in sozial schwierigen Lagen bessere Bildungsmöglichkeiten bescheren soll, ist das Lieblingsprojekt von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Bisher gab es aber vor allem Streit: Wie viel Geld sollen die Schulen bekommen? Welchen Anteil zahlt der Bund, welchen die Länder? Nun hat die FDP-Politikerin erstmals einen konkreten Plan vorgelegt. Eine Analyse lesen Sie hier.
Der Bildungsforscher Ludger Wößmann unterstreicht im Interview mit meiner Kollegin Silke Fokken, wie wichtig es ist, diese Kinder zu unterstützen – aber dass ein Startchancen-Programm allein längst nicht ausreicht.
3. ABI-AC – Pannen können wir

Abi-Prüfung (Symbolbild)
Foto:Silas Stein / dpa
Falls noch jemand ein passendes, wortwitzverseuchtes Abi-Motto für den Pannenjahrgang 2023 sucht: Wir hätten da mal was vorbereitet, siehe oben. Nordrhein-Westfalen machte den Anfang: Wegen eines überlasteten Servers konnten die Abiturprüfungen in einigen Fächern nicht rechtzeitig heruntergeladen werden – das Schulministerium verschob die Prüfungen um zwei Tage.
Nächster Aufschlag: Sachsen-Anhalt. Dort waren Prüfungsaufgaben im Fach Geschichte vorab durchgesickert und in Chatgruppen verbreitet worden. Wie die »Mitteldeutsche Zeitung« berichtet , ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.
Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums in Neustraubing (Landkreis Regensburg) müssen einen Teil ihrer Englischprüfung wiederholen. Ihrer Lehrkraft waren auf einer Zugfahrt die ausgefüllten Klausurbögen gestohlen worden.
4. Und sonst noch?

Schüler im Unterricht (Symbolbild)
Foto: Britta Pedersen / picture alliance/dpaIn Nordrhein-Westfalen ermittelt der Staatsschutz gegen drei Schüler eines Gymnasiums aus Willich, wie Welle Niederrhein und der WDR berichten. Die Jugendlichen sollen am Geburtstag Adolf Hitlers, dem 20. April, den Hitlergruß gezeigt und Geburtstagslieder gesungen haben. Der Schulleiter habe selbst die Polizei eingeschaltet. Wie Lehrkräfte reagieren können (und sollten), wenn sie in ihrem Klassenzimmer rechtsextreme Tendenzen beobachten, hat der Konfliktberater Markus Klein meiner Kollegin Kristin Haug erzählt .
Die »FAZ« nimmt die Debatte über eine Noten-Inflation beim Abitur zum Anlass, um einmal ganz grundsätzlich über den Sinn von Zensuren nachzudenken. Daraus ist ein lesenswerter Text entstanden .
An Schulen in Brandenburg wird es erst einmal keine kostenlosen Binden und Tampons geben. Die rot-schwarz-grüne Koalition im Potsdamer Landtag hat einen entsprechenden Antrag abgelehnt, meldet der RBB . Begründung: Solche Angebote seien Aufgaben der Schulträger, in der Regel sind das die Kommunen.
Vertretungsstellen für Lehrkräfte können oftmals nicht schnell genug besetzt werden – weil die Bewerberinnen und Bewerber zu lange auf ihr polizeiliches Führungszeugnis warten müssen, schreibt die »Rheinische Post« – und schildert das Beispiel eines Gymnasiums in Viersen am Niederrhein, das wegen des fehlenden Dokumentes sechs Wochen auf einen Englischlehrer warten musste.
Zahl der Woche
15
Lernwochen Vorsprung haben Jungen gegenüber Mädchen in einer durchschnittlichen vierten Klasse in Deutschland im Fach Mathematik. Das geht aus dem Nationalen MINT-Nachwuchsbarometer 2023 hervor, das vom Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel erstellt wurde. Eine andere alarmierende Botschaft des Reports: Der Anteil leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler hat sich im Vergleich zu 2011 nahezu verdoppelt.
Debatte der Woche

Abi-Prüfung (Symbolbild)
Foto: Jörg Halisch / imago images/Jörg HalischG8 oder G9: Reform der Reform?
In Hamburg möchte eine Initiative die Diskussion um das achtjährige Gymnasium (G8) neu aufrollen. Die Hansestadt ist eines der letzten alten Bundesländer, das an der verkürzten Gymnasialzeit festhält. Sie war dort 2010 eingeführt worden. Sammar Rath und Iris Wenderholm haben die Online-Petition »G9 – Mehr Zeit zum Lernen. Bildungsgerechtigkeit in Hamburg« zusammen mit Gunnar Matschernus und anderen Eltern gestartet. Kristin Haug hat mit ihnen gesprochen.
Für mehr Hintergrund: Warum sich zahlreiche westdeutsche Länder überhaupt dazu entschieden, auf das achtjährige Gymnasium umzustellen, und warum viele einige Jahre später die Reform der Reform vollzogen, können Sie in dieser SPIEGEL-Rekonstruktion von 2018 nachlesen.
SPIEGEL: Warum möchten Sie, dass Hamburgs Gymnasien zum G9 zurückkehren?
Sammar Rath: Wir haben in den vergangenen Monaten mit vielen Lehrkräften und Eltern aus ganz Hamburg gesprochen und bei ihnen eine große Unruhe gespürt. Es gibt Lernlücken durch Corona, und die Kultusministerkonferenz hat neue Bildungspläne vorgestellt, die nun eingeführt werden sollen. In nur zwei Jahren Oberstufe können die neuen Lerninhalte aber nicht so vermittelt werden, dass dabei auch alle nötigen Kompetenzen berücksichtigt werden.
Iris Wenderholm: Wir haben lange genug Erfahrungen mit G8 gesammelt. Jetzt ist der richtige Moment, um sich neu zu orientieren. Es geht ja nicht nur darum, die Kinder mit Fachwissen zu überfrachten, wie es vielleicht noch vor einigen Jahren üblich war. Die Anforderungen sind heute deutlich gestiegen: Schülerinnen und Schüler müssen inzwischen analysieren, bewerten und einschätzen können, hinzu kommen Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung und die Herausforderungen, die die Entwicklung von künstlicher Intelligenz mit sich bringt. In acht Jahren auf dem Gymnasium bleibt dafür viel zu wenig Zeit.
SPIEGEL: Vor neun Jahren ist schon einmal eine G9-Initiative gescheitert.
Rath: Damals war die Umstellung auf G8 noch nicht so lange her, Lehrkräfte und Schulleitungen waren erschöpft, es sollte erst einmal Ruhe hereinkommen. Nun haben wir eine neue Situation mit anderen Herausforderungen. Natürlich haben wir einen Lehrkräftemangel, und wir brauchen mehr Räume. Durch die neuen Bildungspläne nach den Vorgaben der Kultusministerkonferenz ist Schule jetzt sowieso in Bewegung. Andere Bundesländer haben ja ähnliche Probleme und haben sich trotzdem entschieden, zu G9 zurückzukehren. Wir haben den Vorteil, von den anderen Ländern zu lernen.
SPIEGEL: Wo soll Hamburg so schnell weitere Räume und Lehrkräfte herbekommen?
Wenderholm: Unsere Petition ist der erste Schritt, um ein Meinungsbild einzufangen. Unser Ziel ist es, eine Volksinitiative zu starten. Das muss man durchrechnen. Aber das sind ja dann Haushaltsfragen, die die Politik beantworten muss. Wir können nur Sprachrohr sein und die Sorgen von Schülern, Eltern und Lehrkräften an die Politik weitertragen.
Wie denken Sie darüber? Teilen Sie diese Meinung? Wir freuen uns über Zuschriften an bildung@spiegel.de .
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DER SPIEGEL für den Unterricht
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