

SPIEGEL-Bildungsnewsletter Wider das Bulimie-Lernen
Liebe Leserinnen, liebe Leser, guten Morgen,
die an Ostern aufgetürmten Schokovorräte haben Ihnen hoffentlich den Start in die neue Woche versüßt. Als Schülerin oder Lehrer brauchen Sie Süßes in den kommenden Wochen wahrscheinlich auch als Nervennahrung: Für die Abschlussklassen beginnt vielerorts die heiße Phase der Prüfungen.
Für die Lehrkräfte reiht sich Korrektur an Korrektur und Prüfung an Prüfung, bis schließlich die Zeugnisse anstehen, so twittert es ein Lehrer aus NRW . Er kritisiert: »Jetzt verfallen Schulen wieder in einen mehrmonatigen Schulentwicklungsdornröschenschlaf.«
Angesichts der »alltäglichen Herausforderungen bräuchte jede Schule jede Woche einen pädagogischen Tag«, schreibt er weiter – und fordert in Zeiten von Lehrermangel und sinkenden Leistungen der Schülerinnen und Schüler damit tatsächlich mehr Zeit für Grundsätzliches!
Die Zeit fürs Lernen sei »verlorene Zeit«, sagt Hendrik Haverkamp dem SPIEGEL. Mit anderen netzaffinen Lehrkräften hat er während Corona ein Institut für zeitgemäße Prüfungskultur gegründet, in dem sie Alternativen zum sogenannten Bulimie-Lernen entwickeln.
Ein Appell von knapp 20 Berliner Bildungsprofessorinnen und -professoren geht in eine ähnliche Richtung. Sie warnen nach dem Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission zum Versagen der Grundschule vor einem »konservativen Aufguss der veralteten Pauk-Schule« (»Debatte der Woche«).
Um die klassischen Auswirkungen des Lehrermangels geht es natürlich auch in diesem Newsletter (»Das ist los«), aber diese Herausforderungen endlich mal mit neuen Perspektiven zu verknüpfen, würde mir so manche Frustschokolade ersparen. Wie sehen Sie das? Schreiben Sie gern an bildung@spiegel.de .
Herzliche Grüße
Swantje Unterberg
für das Bildungsteam des SPIEGEL

Abiturprüfung (Symbolbild)
Foto: Federico Gambarini/ picture alliance / dpaDas ist los
1. Die Einserschwemme
Wie fair ist eine Bestenauswahl, wenn plötzlich alle zu den Besten gehören? Deutlich mehr Schülerinnen und Schüler als vor Corona schaffen ein Einserabitur, meine Kollegin Miriam Olbrisch hat sich angeschaut, welche Folgen das auf die Zulassungsvoraussetzungen an den Unis hat .
2. Drama um Hertener Schulleiterin
Wenn Sie beim Schlagwort »Zwangsversetzung« an die Abordnung von Lehrerinnen und Lehrer an andere Schulen wegen des Lehrermangels denken: Diesmal geht es nicht um das Dauerbrennerthema, versprochen. Die preisgekrönte Schulleiterin aus Herten wird vielmehr gegen ihren Willen versetzt, weil sie nicht mit dem Konzept des Offenen Ganztags einverstanden war – ihre Kinder sollten unter anderem im Keller betreut werden. Das ganze Drama, das Armin Himmelrath und Silke Fokken am Freitag und Samstag quasi in drei Akten aufgeschrieben haben, lesen Sie hier nach und hier und hier.
3. Alltäglicher Mangel
»Hier helfen, dort schlichten, da trösten«: Schulleiterin Ursula Köhler berichtet im NDR, dass die Aufgaben als Klassenlehrerin in ihrer Grundschule nicht allein zu bewältigen seien. Zu unterschiedlich die Kompetenzen und Fähigkeiten der Kinder, zu groß der Unterstützungsbedarf. Die Schule habe sich ein Netz aus Praktikantinnen, Eltern und Auszubildenden gebaut, mit dem sie das auffängt, was die Schulpolitik verbockt, heißt es in der sechsminütigen Fernsehreportage »Verwalteter Mangel: Alltag in einer Schule in Schleswig-Holstein« .
4. Und sonst noch?
Das Bildungsministerium hat vorigen Herbst zwei Millionen Euro versprochen, um eine »Nationale Strategie zur Ökonomischen Bildung« aufzulegen. Die »Zeit« hat sich angeschaut, was aus dem Versprechen bisher geworden ist .
Zahl der Woche
2028
Das ist die Zahl der Tage, die Britta Ernst in Brandenburg als Bildungsministerin im Amt war. Oder anders gesagt: 5 Jahre, 6 Monate und 21 Tage. Die SPD-Politikerin ist am Montag zurückgetreten. Zuletzt hatte es unter anderem harsche Kritik an ihren Maßnahmen gegen Lehrermangel gegeben. Mehr dazu lesen Sie hier .

Grundschule (Symbolbild)
Foto: Political-Moments / IMAGODebatte der Woche
Die Grundschulen verfehlen den Auftrag, allen Kindern Grundlagen in Deutsch und Mathematik zu vermitteln: Dieses Urteil der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) hat im Dezember Aufsehen erregt . Und nach dem katastrophalen Abschneiden der Kinder beim IQ-Bildungstrend noch einmal verdeutlicht , dass etwas passieren muss.
Doch gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen zieht nun eine Gruppe von Berliner Wissenschaftlern und Forscherinnen ins Feld: »Das SWK-Gutachten ist ein konservativer Aufguss der veralteten Pauk-Schule, der wenig ermutigend ist – weder für diejenigen, die in einem solchen System zukunftsfähig werden sollen, noch für solche, die sich als Lehrer in der Grundschule engagieren möchten«, schreiben die Verfasserinnen und Verfasser eines offenen Briefes in der »FAZ« . Und weiter: Bildung in Deutschland heiße: Daten zählen.
Damit wenden sie sich gegen die aktuelle Leistungsvermessung. Pisa, Vera und wie die Tests alle heißen, kämen seit mehr als 20 Jahren zu besorgniserregenden Befunden. Es sei an der Zeit zu fragen, »ob die Methoden des Messens, des Monitorings und der daraus gefolgerten Maßnahmen für Unterrichts- und Schulentwicklung nicht selbst einmal evaluiert werden sollten«.
Im offenen Brief selbst, den Sie hier nachlesen können , liest sich das leider etwas trocken und pointenlos. In der »FAZ« bringen die Professorinnen und Professoren ihr Anliegen aber auf den Punkt: »Lernen muss auch in seinem Prozess und seinen Erfahrungen, und nicht nur vom Ergebnis her einbezogen werden.«
Neues von SPIEGEL Ed
Mehr Medien- und Nachrichtenkompetenz für Schülerinnen und Schüler: Am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, berichten Journalistinnen und Journalisten, wie wir uns vor Manipulation schützen. Mit dabei sind Ann-Kathrin Müller und Maik Baumgärtner aus dem Berliner SPIEGEL-Büro. Die Tagung von »Journalismus macht Schule« findet in Hamburg statt, Sie können sich für einzelne Themenschwerpunkte aber auch für den Stream anmelden. Für weitere Infos und Anmeldung hier entlang .

Das war’s für dieses Mal. Haben Sie ein Thema auf dem Herzen, das wir uns einmal genauer anschauen sollten? Dann schreiben Sie gern an bildung@spiegel.de – das Team der »Kleinen Pause« dankt für Ihr Interesse!