Brexit privat – so geht es einem britisch-deutschen Paar jetzt

Dieser Beitrag wurde am 31.01.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Emily, 32, eine Lehrerin aus Worthing, West Sussex, und Samuel, 26, ein Masterstudent aus Karlsruhe, lernen sich 2017 in Calais, Frankreich, kennen. Die beiden wohnen in einem Hostel und arbeiten als freiwillige Helfer in Unterkünften für Geflüchtete.
Sie mag seinen Sarkasmus, er mag es, mit ihr zu lachen. Nach ihrer Abreise schreiben sie über WhatsApp und besuchen sich später jeden Monat für ein Wochenende. Seit zweieinhalb Jahren sind Emily und Samuel jetzt ein Paar.
Es ist der Beginn einer Beziehung, die klassisch ist für diese Generation, die aufgewachsen ist mit einem sich immer mehr vereinenden Europa, einem Europa, das Schlagbäume abbaut und Zölle lockert. Und es ist der Beginn einer Beziehung, die darunter leidet, dass sich das jetzt ändert. Wegen des Brexit ist Emily früher nach Deutschland gezogen, als sie eigentlich wollte.
Sie beschreibt den Austritt als eine dunkle Wolke, die über den beiden hängt. Er kann oft nur mit dem Kopf schütteln, wenn es um den Brexit geht.
Wenn internationale Verträge gekündigt oder geschlossen werden, geht es oft um das große Ganze: Stabilität, Frieden, Freihandel. Doch das große Ganze ist auch im Kleinen spürbar und internationale Verträge wirken sich auf Paare, Beziehungen und Pläne aus.
Wie gehen Emily und Samuel mit dem Brexit um? Welche Folgen hat er für das Paar?
bento: Sprecht ihr viel über den Brexit?
Emily: Wir haben gar keine andere Wahl, denn der Brexit beeinflusst unser Leben stark. Wir sind ziemlich derselben Meinung. Wir finden beide, dass der Austritt eine total dumme Idee ist und ein riesiges Ärgernis.
Unsere Gespräche bestehen meistens daraus, dass Samuel darüber lacht, wie albern britische Politiker im House of Commons klingen. Oder daraus, wie ich versuche, den Brexit zu erklären. Wenn ich das überhaupt kann! Oder wir rollen einfach beide mit den Augen, wenn wir die Entwicklungen mitverfolgen. Wir haben viel über den Brexit gesprochen. Aber wir haben auch mal versucht, damit aufzuhören, weil es mich psychisch wirklich mitgenommen hat.
bento: Inwiefern haben dich Gespräche über den Brexit mitgenommen?
Emily: Jedes Mal, wenn ein neues Austrittsdatum näher rückte, fühlte ich mich total gestresst und habe mich verkrochen. Immer, wenn es wieder nach einem No-Deal-Brexit aussah, hatte ich keine Ahnung, was das für meinen Aufenthaltsstatus in Deutschland bedeuten könnte. Außerdem machte ich mir Sorgen um meine Familie in Großbritannien. Meine Mutter und meine Schwester benötigen beide Medikamente und es gab Warnungen, dass es zu Lieferengpässen kommen kann.
Emily
bento: Samuel, wie geht es dir, wenn ihr über den Brexit sprecht?
Samuel: Es ist nervig und frustrierend. Um ehrlich zu sein, verstehe ich noch immer nicht, wieso es passiert. Wir beide reden mittlerweile nicht mehr so viel darüber, aber hier in Deutschland verstehen viele Menschen den Brexit nicht und stellen darum oft Fragen.
bento: Wie geht man als Betroffene mit solchen Fragen um?
Emily: Ich unterrichte Englisch und meine erwachsenen Schülerinnen und Schüler wollen oft darüber sprechen. Ich verbiete es nicht per se, aber oft haben sie einfach viele Fragen und ich habe keine Antworten! Ich sage dann immer, dass wir heute mal nicht darüber reden. Das ist schon zu einem Witz in meinen Gruppen geworden.
bento: Wie hat der Brexit eure Beziehung beeinflusst?
Emily: Samuel wurde ein Job angeboten, für den er sieben Monate lang in anderen Ländern der EU arbeiten sollte. Er hat das Angebot abgelehnt, weil wir nicht wussten, wie es mit mir weitergeht. Wir wussten nicht, ob ich mitkommen und dort arbeiten könnte, all die »No Deal«-Ankündigungen wirkten auf uns so chaotisch. Es fühlt sich an, als würde meine Situation ihn Chancen kosten.
bento: Samuel, was denkst du darüber?
Samuel: Ich habe mich nicht nur wegen des Brexits gegen den Job entschieden. Ich möchte meine Karriere in Deutschland beginnen. Aber ich möchte definitiv zukünftig auch im Ausland arbeiten. Allerdings bin ich mir nicht mehr so sicher, wie leicht wir das umsetzen können. Das Ganze ist einfach nur traurig.
bento: Wo habt ihr die Auswirkungen des Brexits auf euch am stärksten gespürt?
Emily: Der Brexit war ein Grund dafür, dass ich nach Deutschland gezogen bin. Die Idee kam von mir.
Emily
Wäre der Brexit nicht, wären wir sehr viel flexibler gewesen, was den Umzug angeht. Wir haben dann entschieden, den Umzug vor dem Brexit-Datum im Januar 2019 zu machen. Dabei hätten wir theoretisch auch die Möglichkeit gehabt, nach England zu gehen. Mein Freund spricht fließend Englisch, und ich besaß eine Wohnung in Großbritannien. Doch während der Weltmeisterschaft 2018 kam es in einigen Pubs zu Übergriffen gegen Ausländer, und ich habe mir Sorgen gemacht. Außerdem entschied ich, dass ich eine Veränderung in meinem Job wollte. Wir haben darüber gesprochen und gemeinsam entschieden. Jetzt wollen wir uns hier in Deutschland etwas aufbauen.
Samuel: Wir sind schneller zusammengezogen, als wir es ohne den Brexit getan hätten. Aber es hat gut funktioniert und ist schön. Trotzdem war es in unserer Beziehung ein Stressfaktor. Lange wussten wir nicht, was der Brexit bedeuten wird. Wir wussten nicht, ob wir heiraten müssen, oder ob Emily eine Vollzeitstelle braucht, oder ob sie ein bestimmtes Gehalt verdienen muss. Oder ob sie vielleicht sehr gutes Deutsch in sehr kurzer Zeit sprechen können muss, um hier zu bleiben.
Samuel
bento: Wie fühlt es sich an, dass Großbritannien bald nicht mehr Teil der EU ist?
Emily: Für mich fühlt es sich so an, als würde ich einen Teil von mir selbst verlieren. Ich denke nicht, dass die EU perfekt ist, aber ich glaube, wir könnten mehr erreichen, wenn wir Teil von ihr bleiben und an Entscheidungen mitwirken würden.
bento: Wie werdet ihr den 31. Januar verbringen?
Emily und Samuel: Wir haben nichts vor. Es wird ein ganz normaler Freitag. Wir werden vor Mitternacht, EU-Zeit, schlafen gehen und versuchen, das Ganze ignorieren.
*Auf Emilys und Samuels Wunsch hin, haben wir ihre Namen geändert. Die echten Namen sind der Redaktion bekannt.