Chefin der Gerichtsmedizin "Wir wollen die Würde der Toten wahren"
Kaprun - Sie sagt den Satz mit stoischer Ruhe: "Die Leichen der bisher geborgenen Opfer sind stark hitzeverändert, aber dennoch in einem Zustand, in dem eine DNA-Analyse gelingt." Edith Tutsch-Bauer hat in ihrer über 20-jährigen Laufbahn als Gerichtsmedizinerin mehr als 7000 Leichen obduziert, "aber diese Katastrophe hat ihre eigenen Anforderungen". Die Professorin ist Chefin des Gerichtsmedizinischen Instituts in Salzburg und leitet die Obduktion der Opfer der schrecklichen Brandkatastrophe vom Kitzsteinhorn. Insgesamt gilt es mindestens 156 Leichen zu identifizieren.
Worte wie "Bergesack" oder "Leichenöffnung" gehen ihr auch am dritten Tag ihres nervenzerreibenden Einsatzes scheinbar regungslos über die Lippen. Und doch zeigt die Medizinerin bei der Erläuterung ihrer schwierigen Arbeit in Kaprun Regung. "Bitte schreiben Sie nicht Leiche, schreiben Sie lieber Opfer", diktiert Tutsch-Bauer einem Journalisten in den Block, der sich besonders hartnäckig nach Details der bisherigen Obduktionen erkundigt. "Wir wollen die Würde der Toten wahren."
Doch schnell ist sie wieder mitten im Thema. Sie hoffe zwar, dass Besonderheiten der Opfer, wie etwa ein genagelter Bruch, die Obduktionsarbeit beschleunigen. Erschwert werde dies jedoch dadurch, dass es sich bei den meisten Toten um junge Menschen handelt, die noch kaum Operationen hinter sich haben. "Auch Menschen mit Herzschrittmachern dürften wohl nicht darunter sein."
Die Salzburger Institutsleiterin hat sich jedenfalls auf wochenlange Kleinarbeit eingestellt. Kripo-Beamte haben bei Angehörigen so genanntes "Vergleichsmaterial" gesammelt, das für die Erstellung einer DNS-Analyse erforderlich ist. "Das können die Bartstoppeln aus einem Rasierapparat sein, das können aber auch Schweißrückstände an einem T-Shirt oder Schmutz von einem Hemdkragen sein."
Dabei ist längst nicht klar, ob die in unmittelbarer Nähe des Brandherdes erst noch zu bergenden Opfer überhaupt in einem Zustand sind, der es ermöglicht, das "Vergleichsmaterial" anzuwenden. "Es müssen wenigstens noch körperliche Reste wie innere Organe vorhanden sein", erläutert die Professorin, die auch bei der Brandkatastrophe vor über einem Jahr im Tauerntunnel im Einsatz war.
Bis zu 20 Obduktionen wollen Tutsch-Bauer und ihr Team täglich schaffen. Sie sind freilich darauf angewiesen, die Leichen so schnell wie möglich nach Salzburg zu bekommen. Um die Bergung der Opfer auch gerichtsmedizinisch zu beschleunigen, sind Kollegen von Tutsch-Bauer beim Einsatz im Todesstollen dabei. Ihr Team wurde personell erheblich aufgestockt, sogar Mediziner aus München helfen mit.
Harte Wochen der Arbeit liegen vor den Salzburger Gerichtsmedizinern. Doch hofft die Chefin der Behörde, dass in einigen Wochen alle Angehörigen die sterblichen Überreste ihrer Lieben beerdigen können. "Das sind wir den Toten von Kaprun schuldig."
Paul Winterer, dpa