Christian Ulmen "Ich bin eher der Typ für schmalen Cord"
SPIEGEL ONLINE: Herr Ulmen, in "Dr. Psycho" spielen sie einen Seelenklempner, der Menschen in Minutenschnelle analysiert. Was würde ein Psychologe nach kurzem Kennenlernen über Sie sagen?
Christian Ulmen: Das würde mich auch interessieren. Obwohl nein, eigentlich nicht. Ich habe vielmehr Angst, dass er vielleicht Türen aufmachen würde, die lieber sehr, sehr fest verschlossen bleiben sollten.
SPIEGEL ONLINE: Dabei könnte man bei Ihrem familiären Hintergrund vermuten, man dürfe alle Türen getrost aufreißen: glückliche Kindheit, Vater Stadtplaner, Mutter Friseurin, Schwester Lehrerin ...
Ulmen: Erst einmal muss die Öffentlichkeit erfahren: Meine Mutter schämt sich immer, wenn sie als Friseurin bezeichnet wird. Sie hat den Beruf zwar als junges Mädchen erlernt, aber nie ausgeübt. Ich weiß nicht, was an diesem Beruf peinlich sein soll, aber sie mag das nicht hören, wohl weil es letztlich nicht stimmt.
SPIEGEL ONLINE: Dann freut sie sich sicher, wenn wir das noch mal explizit anführen.
Ulmen: Ja, genau. Jetzt spricht mich hoffentlich keiner mehr darauf an. Zurück zu Ihrer Frage: gückliche Kindheit. Ja. Das merkte ich vor allem, als ich nach dem Abitur nach London ging. Ich konnte nichts! Ich war aus lauter harmonieorientierter Fürsorge zur kompletten Unselbständigkeit erzogen worden. Ich wusste nicht einmal, dass man weiße Wäsche nicht mit bunter zusammen waschen darf.
SPIEGEL ONLINE: Sie sollen als Heranwachsender TV-Formaten wie "Heißer Stuhl" mit Ulrich Meyer hörig gewesen sein. Wie kam das bei Ihren Eltern an?
Ulmen: Nicht so toll. Aber das war meine pubertäre Rebellion: Statt Irokesenschnitt habe ich "Heißer Stuhl" geguckt. Meine Eltern fanden die Sendung zu reißerisch und private TV-Sender prinzipiell doof. Aber ich hab das Ulrich Meyer total abgekauft und wollte Familienstreitigkeiten auf genau diese Weise regeln.
SPIEGEL ONLINE: Irgendwie überrascht es nicht, dass Sie als neurosenbehaftet gelten.
Ulmen: Och, derzeit geht's. Ich habe Lampenfieber. Fast egal, in welcher Show ich zu Gast bin, ich bin so nervös, dass ich am liebsten wieder gehen würde. Mein persönliches Horrorszenario sind diese mehrstündigen Talkshows in den Dritten, an denen acht andere Leute teilnehmen. Plötzlich wird man dann zur Rentenreform gefragt, obwohl man wahrscheinlich gerade eingenickt ist. Da kommen die präpubertären Urängste wieder hoch, die ich als Kind hatte, wenn ich nach der Skifreizeit vor allen 50 Teilnehmern sagen musste, was ich an der Skireise am Tollsten fand, obwohl ich den Ausflug gehasst habe.
SPIEGEL ONLINE: Seit 2003 arbeiten Sie als Schauspieler, haben aber nie Unterricht genommen. Gibt's da Häme von Kollegen?
Ulmen: Bisher kenne ich das nur aus Interviewfragen. Klar hatte ich Angst davor. Nach "Herr Lehmann" habe ich mich auch nur als "Herr Lehmann"-Darsteller bezeichnet, weil ich noch nie etwas anderes gespielt hatte. Aber wo kommt eigentlich dieser Druck her, dass man eine Ausbildung zum Schauspieler haben muss? Mariah Carey sagt doch auch nicht zu den Sportfreunden Stiller: Hey, Ihr habt noch nie Gesangsunterricht gehabt, hört auf mit dem Band-Dasein. Film und Fernsehen ist bisweilen auch Pop auf 'ne Art, und im Pop reichen manchmal drei Akkorde.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sich denn auf die Theaterbühne trauen?
Ulmen: Nein. Theater würde ich erst mal nicht spielen, eben weil das eine völlig andere Form der Schauspielerei ist.
SPIEGEL ONLINE: "Jeder Mensch hat Arschloch-Gedanken", das ist so ein Spruch von Ihnen. Was denn für welche?
Ulmen: Das habe ich mit Drehbuchautor Ralf Husmann gemein. Wenn man am Flughafen die Sicherheitskontrollen passieren muss und vor einer dicken Frau mit vier Mänteln steht, aus denen sie sich umständlich schälen muss, denkt man doch automatisch: Oh Mann, du dicke Eule, das kann ja jetzt dauern! Ich denke, jeder Mensch hat solche Gedanken, jeden Tag, mehrmals. Höflichkeit ist nur ein Filter dafür.
SPIEGEL ONLINE: Bei "Mein neuer Freund" haben Sie den Filter weggelassen und bescherten Kandidaten für viel Geld viele Alpträume. Die Sendung wurde mangels Quote nach der ersten Folge ins Nachtprogramm verbannt. Gibt es ein Wiedersehen?
Ulmen: Ja, über die Figuren Uwe Wöllner, Alexander von Eich und Knut Hansen drehen wir gerade Dokus, eine Verquickung von Realität und Fiktion. Wir drehen ohne versteckte Kamera. Die Leute, denen wir begegnen, denken, diese Gestalten gibt es wirklich. Im August verrate ich mehr dazu.
SPIEGEL ONLINE: Woher rührt Ihre Leidenschaft für ulkige Cordsakkos?
Ulmen: Ich habe ein einziges Cordsakko - und das ist wirklich sehr modisch. Schmaler Cord! Ich bin eher der Typ für schmalen Cord. Das trug ich schon früher gern.
SPIEGEL ONLINE: Sakkoträger tragen Sakkos, um zu kaschieren. Sie auch?
Ulmen: Was soll man denn kaschieren? Ah, den Bauch? Ja. Das stimmt. Ich habe schon immer gern Sakkos getragen. Eben aus diesem Grund. Aber ich muss bis September für einen Kinofilm abnehmen. Ich jogge deshalb täglich vor dem Fernseher. Und dann trage ich auch keine Sakkos mehr.
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie beim Dreh der zweiten Staffel von "Dr. Psycho" wieder eine Fleischwurst in der Hosentasche?
Ulmen: Gott sei Dank wurde der Hundedarsteller ausgetauscht! Der Neue steht auf Trockenfutter, das kann man besser in der Hose aufbewahren. Der Hund in der ersten Staffel, der konnte gar nichts. Der war alt, konnte nicht im Ansatz spielen, passte aber optisch perfekt ins Rollenprofil. Da vertun sich Produzenten ja gern mal. Hier war das aber gewollt.
SPIEGEL ONLINE: Apropos ...
Ulmen: ... schlecht schauspielern?
SPIEGEL ONLINE: Nein, apropos Produzent: Ralf Husmann, Drehbuchautor und Produzent von "Dr. Psycho", sagt, er habe Ihnen die Serie auf den "untrainierten Leib" geschnitten. Hat Max Munzl also mehr mit Christian Ulmen gemein als man annimmt?
Ulmen: Also erst einmal ist das eine unverschämte Formulierung, faktisch aber richtig! Er hat das Drehbuch geschrieben, nachdem wir uns bei Brainpool mal auf dem Flur begegnet sind und uns einig waren, dass wir mal was miteinander machen wollen. Grundsätzlich hoffe ich aber, dass Max Munzl und ich nicht so viel gemeinsam haben.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Ulmen: Ich bin in echt etwas lockerer. Hoffe ich. Und ich bin natürlich in echt wesentlich schlanker. Aber ich habe aufgehört, mich zu reflektieren. Das macht man mit 16, wenn man gekifft hat und sich danach alles um einen selbst dreht. Später sollte man es lassen.
Das Interview führte Julia Jüttner