Corona in Hamburg "Bei uns wurde ein Ausbruch vertuscht"

Asklepios Klinikum Harburg: Infizierten sich Patienten im Krankenhaus mit Covid-19?
Foto: imago images/ teutopressDas Asklepios Klinikum Harburg, ein 868-Betten-Krankenhaus im Süden Hamburgs, kämpft seit Wochen mit einem Corona-Ausbruch. Drei Patienten, darunter eine Frau Jahrgang 1970, sind gestorben, ein weiterer ist erkrankt. Alle waren Patienten des Krankenhauses und haben sich womöglich erst dort mit dem Virus infiziert. Fünf Klinikmitarbeiter wurden positiv auf Covid-19 getestet, 48 Ärzte und Pfleger mussten in Quarantäne. Zwei Stationen sind geschlossen.
Das Virus kam wahrscheinlich mit zwei betagten Patienten aus einem Pflegeheim in Hamburg-Wilhelmsburg in das Allgemeine Krankenhaus. Der Fall zeigt exemplarisch, wie gefährlich es für einen Klinikbetrieb sein kann, wenn Seniorenheime nicht sorgfältig jeden Verdacht auf Corona bei einer Überstellung von Patienten melden.
Warum wurde der Verdacht nicht der Klinik mitgeteilt?
Bislang haben alle Beteiligten über den Vorfall geschwiegen. Der SPIEGEL hat versucht, den Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren und mit Klinikmitarbeitern, dem Pflegeheim sowie Behörden gesprochen. Danach stellt sich die Situation wie folgt dar:
Am 1. und 2. April trafen zwei Bewohner des Pflegeheims "Am Inselpark" aus Hamburg-Wilhelmsburg in dem Asklepios-Krankenhaus ein, sie hatten urologische Beschwerden. Dass die beiden Männer aber möglicherweise auch mit dem Coronavirus infiziert waren, teilte das Seniorenzentrum des Betreibers KerVita der Klinik nicht mit. Denn bereits am 31. März war in dem Heim ein erster Bewohner positiv auf Covid-19 getestet worden. Einer der beiden eingelieferten Senioren war noch am Morgen des 2. April kurz vor seinem Transport nach Harburg auf Covid-19 getestet worden. Am selben Tag meldete auch das zuständige Gesundheitsamt einen Corona-Ausbruch in dem Heim an das Robert Koch-Institut in Berlin.
Die Klinikärzte erfuhren von alledem nichts. Ohne die beiden Senioren zu testen, legten sie den einen auf die Urologie, den anderen auf die Thoraxchirurgie. Gut eine Woche später mussten beide Stationen schließen: wegen Corona.
Die Hamburger Gesundheitssenatorin erfuhr erst am 27. April von dem Fall – offenbar durch Recherchen des SPIEGEL. Nach einem Bericht über einen Covid-19-Ausbruch am Universitätsklinikum Hamburg (UKE) hatten sich zwei Mitarbeiterinnen aus der Asklepios Klinik Harburg beim Nachrichtenmagazin gemeldet. "Auch bei uns wurde ein nosokomialer Ausbruch vertuscht", sagt eine der beiden. Nosokomial bedeutet laut Robert Koch-Institut: Ein meldepflichtiger Ausbruch, bei dem infizierte Patienten oder medizinische Mitarbeiter nicht infizierte Patienten oder Mitarbeiter in einem Krankenhaus anstecken.
"Bei uns liegen viele Krebskranke"
Beide Frauen, die den SPIEGEL kontaktierten und den Vorfall unabhängig voneinander schilderten, gehören zum medizinischen Personal. Sie möchten anonym bleiben, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchten, ihre Identitäten sind dem SPIEGEL aber bekannt. Eine davon behandelte selbst einen der infizierten Senioren, ohne Schutzkleidung. Besonders empört sie, wie fahrlässig mit dem Leben fragiler Patienten umgegangen wurde. "Bei uns liegen viele Krebskranke."
Wie sicher sind Patientinnen und Patienten in Hamburgs Krankenhäusern vor Corona, wenn die Gesundheitsbehörde erst durch Medienanfragen von solchen Ausbrüchen erfährt?
Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) lässt dazu auf die "Sicherstellungsverantwortung" der Krankenhäuser nach dem Infektionsschutzgesetz verweisen. Was den Fall Harburg angeht, schreibt ihr Sprecher auf SPIEGEL-Anfrage: "Eine formale Meldepflicht der Gesundheitsämter gegenüber der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz besteht nicht." Die infizierten Patienten im Harburger Klinikum hätten sich "nach aktueller Kenntnislage nicht im Krankenhaus selbst" angesteckt.
"Nicht nachweisbar"
Der Klinikbetreiber scheint da weniger sicher: "Ob sich ein Patient im Klinikum Harburg infiziert hat, ist aufgrund der langen Inkubationszeit nicht nachweisbar", teilt ein Asklepios-Sprecher mit. Fakt ist: Am 7. und am 8. April, nachdem bekannt wurde, dass die ehemaligen Heimbewohner Corona-positiv waren, wurden alle Kontaktpersonen auf den betroffenen Stationen durchgetestet. Bei insgesamt vier Patienten lag ein positives Testergebnis vor. Drei davon sind laut SPIEGEL-Informationen inzwischen verstorben.
Wie lange sich die vier positiv getesteten Patienten in der Klinik aufhielten, teilt Asklepios nicht mit – angeblich aus Datenschutzgründen. Sie seien aber symptomfrei aufgenommen worden; erst "eine spätere Testung im Zusammenhang mit den beiden Patienten aus dem KerVita-Pflegeheim ergab den Nachweis einer Infektion mit Sars-CoV-2", bestätigt der Sprecher.
Sechs Ärzte und 42 Pflegekräfte in Quarantäne
Die beiden Klinikmitarbeiterinnen, die sich beim SPIEGEL meldeten, sind überzeugt davon, dass sich die Patienten erst auf ihren Stationen angesteckt haben – so wie mehrere ihrer Kolleginnen und Kollegen. Letzteres räumt auch Asklepios ein: Fünf Angestellte auf den betroffenen Stationen wurden positiv auf das Virus getestet, darunter der Arzt, der den Patienten auf der Urologie operierte. Sie würden sich immer noch zu Hause erholen. Insgesamt wurden sechs Ärzte und 42 Pflegekräfte in Quarantäne geschickt. Die beiden Stationen sind seit dem 9. April geschlossen.
Der Heimträger KerVita streitet jegliche Verantwortung ab, "die von dem Asklepios Klinikum Harburg dargestellten Infektionswege stellen eine nicht belegte Behauptung dar". Eine Mitarbeiterin habe die Rettungssanitäter, die den kurz zuvor getesteten Bewohner abholten, über die Gefährdungslage in Kenntnis gesetzt. Eine Information an die Klinik erging demnach nicht. Die Sanitäter hätten den Bewohner "in voller Schutzkleidung" ins Krankenhaus gebracht. Der Asklepios-Sprecher dementiert dies: "In unseren Protokollen ist das nicht vermerkt." Auch eine Klinikmitarbeiterin verneint, dass die Krankenfahrer am 2. April in Schutzanzügen kamen. Im Nachhinein habe sie sich Sorgen um deren Gesundheit gemacht.
Hiobsbotschaft aus dem Heim
Das Testergebnis des Heimbewohners lag am 3. April vor. An diesem Tag meldete das durchführende Labor den positiven Befund dem Gesundheitsamt, so berichtet es Asklepios im Nachgang. Doch erst am Montag, 6. April, rief jemand aus dem Heim in der Klinik an und überbrachte die Hiobsbotschaft. Das positive Testergebnis, verteidigt sich Betreiber KerVita, habe dort nicht früher vorgelegen. Warum auch das Gesundheitsamt die Kontaktpersonen des Infizierten im Krankenhaus nicht früher informierte, lässt die Behörde offen. So hatte der Heimbewohner bereits vier volle Tage auf der Urologie verbracht, bis dort bekannt wurde, dass er positiv auf Corona getestet wurde.
Im selben Zeitraum befanden sich laut Asklepios elf Patienten mit der Diagnose Krebs auf der Station. Dass sich keiner von ihnen infiziert haben soll, dürfte Glück im Unglück sein. Der Patient aus dem Heim lag laut der Klinik wegen des Verdachts auf einen multiresistenten Keim isoliert in einem Einzelzimmer. Ein Mund-Nasen-Schutz war bei seiner Versorgung aber nicht erforderlich. "Der Patient war sehr aufwendig in der Pflege, weshalb es viele enge Mitarbeiterkontakte gab", schreibt der Sprecher.
Rechtliche Schritte gegen das "Am Inselpark"-Heim hat Asklepios laut eigenen Angaben bislang nicht unternommen. Mittlerweile sind dort 60 Corona-Fälle aufgetreten, wie viele Bewohner verstorben sind, teilen weder KerVita noch das Gesundheitsamt auf Anfrage mit. Einer der beiden Heimbewohner, die möglicherweise das Virus in die Klink schleppten, soll inzwischen gestorben sein, der andere konnte entlassen werden.
Mittlerweile wurden Maßnahmen ergriffen, die verhindern sollen, dass sich ein Fall wie in Harburg wiederholt. Seit dem 20. April sind Hamburger Seniorenunterkünfte verpflichtet, vor dem Transport eines Bewohners in ein Krankenhaus diesem zu melden, wenn zuvor bei ihnen gehäuft nachgewiesene Covid-19-Fälle aufgetreten sind. Die Krankenhäuser der Hansestadt wiederum müssen seit vergangener Woche jeden Patienten bei der Aufnahme auf das neuartige Virus testen.
Eine der SPIEGEL-Informantinnen bezweifelt, dass damit alles geregelt ist. "Der Profit geht Klinikkonzernen immer vor dem Wohl ihrer Mitarbeiter", sagt sie. "Pflegeheime wie das von KerVita werden schon deshalb nicht angezeigt, weil sie einen steten Nachschub an Patienten liefern."