USA in der Coronakrise: Der unerschütterliche Glaube an den Erfolg

Dieser Beitrag wurde am 07.04.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Akram Salam spricht fünf Sprachen, sein Lachen ist laut und herzlich, zweimal in der Woche lernt er Salsa und Flamenco tanzen – und in Zeiten wie dieser wirkt er wie ein bedingungsloser Optimist.
Denn Akram, 26, hat nicht vor, seine Zukunftspläne von der Coronakrise durcheinander wirbeln zu lassen. Das könnte er sich auch kaum leisten. Akram glaubt an seinen Erfolg, er will sich und seine Familie finanzieren, will aufsteigen – wie so viele Amerikaner. Und wie so viele glaubt auch er daran, dass er es schaffen wird, wenn er nur hart genug dafür arbeitet. Warum sollte er auch nicht? Akram ist schließlich auf einem guten Weg.
Die USA sind eine hoch individualisierte Gesellschaft. Das heißt auch: Erfolge und Misserfolge gehen immer auf das Konto des Einzelnen. Umstände wie Glück oder Pech sind kein Teil des kollektiven Narrativs.
Und bisher hatte Akram viel Erfolg: Seine Kindheit und Jugend verbrachte er zum Teil in einem sehr armen Viertel in Philadelphia, zum Teil im Libanon. Heute ist er Doktorand an der Emory Universität in Georgia, promoviert in Pharmazie. Sein Gehalt ernährt schon heute seine Familie, das sind neben ihm selbst seine Mutter und seine Schwester. Wenn er den Doktortitel hat, möchte er weiter forschen – oder als Unternehmensberater arbeiten.
Corona ist für ärmere Familien besonders gefährlich
Es ist allein Akrams Gehalt, dass es ihm, seiner Mutter und seiner Schwester vor Kurzem ermöglicht hat, von einer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung in ein kleines Reihenhaus zu ziehen. Ein Reihenhaus mit zwei Zimmern. In Clarkston, bei Atlanta, Georgia. Ein eigenes Schlafzimmer hat er darin nicht, doch es sei eine große Wohnung, sagt er.
»In Clarkston wohnen so ziemlich alle Geflüchteten Georgias«, sagt Akram und lacht. Er habe seinen Wohnort wegen der günstigen Miete ausgesucht. »Es ist kein Viertel, mit dem man angibt«, sagt er. »Ich habe mal einem Mädchen erzählt, dass ich hier wohne. Sie sagte, dass sie dort einen Freiwilligendienst gemacht habe – und hat mich gefragt, wieso ich da lebe.«
In Clarkston hatten im Jahr 2018 etwa zehn Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner keine Krankenversicherung, das Durchschnittseinkommen ist gering (US Census ). Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie ist zu erwarten, dass sich die Lage besonders in Städten wie Clarkston zuspitzt.
In den USA steigt nicht nur die Zahl der Corona-Infektionen rasant, inzwischen auf rund 331.000 Fälle an (CDC , Stand: 6. April) – die Anzahl der Anträge auf Arbeitslosengeld ist auf dem höchsten Stand seit Erfassung der Zahlen (tagesschau ).

Akram hat im Vergleich zu vielen anderen in seiner Umgebung Glück: Seinen Job kann er auch von zu Hause machen. Er sagt, das Team habe sehr schnell umgeschaltet und jetzt die Computer- der Laborarbeit vorgezogen. »An irgendeinem Punkt gibt es natürlich nichts mehr, worüber wir schreiben können, aber erst mal kann das noch einige Wochen so gehen.«
Akrams Schwester weiß hingegen nicht, wie es mit ihrem Studium zur Krankenpflegerin weitergeht, aktuell nimmt sie an einigen Onlinekursen teil. Seine Mutter erhält Essensmarken. Damit können Bürgerinnen und Bürger Lebensmittel für rund 200 US-Dollar im Monat kaufen (New York Times ). »Das hilft echt«, versichert Akram. Dennoch ist die ganze Familie abhängig von seinem Gehalt. Besonders, weil auch die Krankenversicherung daran hängt – wie bei der Hälfte aller US-Amerikaner. (SPIEGEL)
Akram selbst ist über seine Universität krankenversichert. Sollte diese ein Semester aussetzen, würde er den Schutz verlieren. Für seine Mutter bezahlt Akram monatlich eine private Krankenversicherung. Diese private Versicherung ist günstiger als die preiswertesten staatlichen Angebote und bietet ein Netzwerk aus Ärzten, die besucht werden können. Den Beitrag zu zahlen würde ohne seinen Job schwierig. Wenn sich dann Krankenhauskosten wegen einer Corona-Infektion ansammeln würden, fiele die Familie zurück in die Armut, aus der Akram versucht, sie zu befreien.
Ohne Job keine Krankenversicherung
Es ist dieser Seiltanz, den derzeit viele arme Amerikaner vor sich haben: Der Krankheit ausweichen, wo sie nur können, nicht nur, weil sie gefährlich ist – sondern weil sie manche auch in den Ruin treiben kann. Wer kann, hält sich deshalb an die Regeln, beobachtet auch Akram.
»Es gibt Menschen, die schreiben unter niedliche Videos, dass sie ihren Glauben an die Menschheit wiedergefunden haben. Mir geht es so, wenn ich meine Nachbarschaft sehe. Alle weichen einander aus, nehmen Rücksicht.«
Obwohl es für alle ein Prozess war, da anzukommen – auch für Akram. In der ersten Zeit des Homeoffices ging er noch möglichst oft in Cafés oder arbeitete bei einem Freund im Wohnheim. Zu Hause fehlt die Privatsphäre, die Wände sind dünn, Akram schläft und arbeitet im Wohnzimmer. Es fiel ihm schwer, zu Hause zu bleiben.
Laut OECD hat ein US-Amerikaner im Schnitt 2,4 Zimmer für sich allein, mehr, als Akrams ganze Familie teilt. Das Konzept Homeoffice stellt viele vor unterschiedliche Herausforderungen – aber die ärmeren Bevölkerungsschichten trifft es auch hier überproportional.
Schnell verließ Akram das kleine Zuhause trotzdem seltener. »Ich möchte nicht in einen Kreislauf geraten, in dem ich das Risiko unterschätze. Man geht einmal raus und es passiert nichts, da denkt man schnell, man könne es immer wieder so machen.« Schon bevor im gesamten Bundesstaat eine Ausgangssperre verhängt wurde, ging Akram nur noch nach draußen, wenn er musste – um Essen zu kaufen, oder für Arzttermine.
Die ersten Folgen der Überlastung des Gesundheitssystems durch Corona hat er dabei schon gesehen, als seine Mutter wegen einer Hautkrankheit in eine Klinik musste. »Das Beunruhigende ist, dass sie sich fast geweigert haben, meine Mutter zu untersuchen. Wenn die letzte Person am Telefon nicht entschieden hätte, dass ihr Fall wichtig genug ist, hätte sie keinen Arzt sehen können.«
Doch weiter will er sich keine Gedanken darüber machen. Akram hält sich von den Nachrichten und der großen Frage, ob das Gesundheitssystem in seiner Nähe dem Druck Stand halten wird, aktuell lieber fern. Er hat schließlich einen Plan für sein Leben. An dem hält er fest.
»Ich werde mich auf mehr Stellen bewerben. Auch auf solche, die ich sonst vielleicht nicht unbedingt in Betracht gezogen hätte«, sagt er über seine Zukunft nach dem Abschluss. Und dann, dann hätte er gern eine eigene Wohnung. In die er auch mal Freunde einladen kann, Partys feiern. Das einzige, das er wegen der Coronakrise wirklich vermisse, seien seine Tanzstunden. »Das ist ein Teil von mir, den ich sehr vermisse, der jetzt zu Hause sitzt und nicht tanzt.«
Dass die Coronakrise ihm seine Zukunft nehmen könnte, darüber denkt er lieber nicht nach. Er ist schließlich auf einem guten Weg.