Corona-Wirrwarr an Schulen Waschbecken gibt es keine, Stoßlüften unmöglich
Markus Kröger / Schulsozialarbeiter
"Ihr wisst ja, zwei gehen jetzt erstmal Hände waschen. Ihr bleibt hier stehen. Abstand halten bitte! Und die nächsten zwei."
Die Corona-Pandemie ist im Schulalltag allgegenwärtig: Masken, Abstand, Hygienemaßnahmen - ohne diese Regeln funktioniert der Unterricht zurzeit nicht.
Roswita Weber / Schulleiterin
"Wir können hier das Fenster zwar öffnen, aber wir haben keinen Durchzug in diese Richtung. Dadurch ist das Stoßlüften, was sein sollte für mehrere Minuten, in diesem Raum effektiv nicht möglich."
Stephan Wassmuth / Bundeselternrat
"So wie es im Moment läuft, dass jeder seine eigene Sache macht und die Schulleitungen alleine dastehen und auch die Lehrkräfte alleine dastehen, das ist keine Lösung, die für uns tragbar ist."
Anja Bensinger-Stolze / GEW Hamburg
"Die Schulöffentlichkeit muss informiert sein, sonst werden die Bedenken und die Angst eher größer werden."
Corona hat Spuren hinterlassen auf dem Schulhof der Theodor-Heuss-Realschule in Dortmund: Von oben sieht man Markierungen, die den Schülerinnen und Schülern zeigen sollen, wo sie sich vor Schulbeginn coronakonform in Gruppen aufstellen sollen, damit sich die Klassen nicht mischen. Für Schulleiterin Roswita Weber bedeutet die Pandemie eine ständige Krisenintervention.
Roswita Weber / Schulleiterin
"Jetzt muss ich beachten, wie ich die Kranken eingeben: Mit Attest, ohne Attest, Corona krank mit Attest. Ich muss sagen, als Schulleitung dreht sich zurzeit 60 Prozent meiner Arbeit um Corona. Wie ich die Maßnahmen umsetzen und wie ich diskutiere, welche Ordnungsmaßnahmen ich wann ansetze. Und 40 Prozent bleibt für den normalen Schulleiteralltag. Und das frustriert. Man wird der Arbeit nicht mehr gerecht, man arbeitet nur noch unter Hochdruck, nur noch unter Hochleistung. Pausen sind kaum noch vorhanden und man merkt trotzdem, dass man nicht gerecht wird der Situation. Das Gemeinschaftsleben, das gesellschaftliche Leben, das, was eigentlich unser Beruf auch ausmacht, findet gar nicht mehr statt."
Beispiel Hausaufgabenbetreuung: Hier bekommt jedes Kind seinen zugewiesenen Platz, den es nun über Wochen behält. Getauscht werden darf nicht.
Markus Kröger / Schulsozialarbeiter
"Die Schüler kommen aus dem Unterricht und sagen, och, jetzt möchte ich mal neben meinen Freund sitzen, zum Beispiel. Und dann sagen wir nein, das geht nicht. Heutzutage geht das nicht. Sondern wir haben eine Ordnung festgelegt am Anfang, und die müsst ihr einhalten und mal eben woanders sitzen geht nicht. Und gerade bei der Hausaufgaben Situation: Dann kann der eine besser Mathe als der andere. Und von der Logik her würde man sagen, dann gehe ich mal zu dem, der das kann, und der kann mir das erklären. Das geht heutzutage nicht."
Und auch die Mittagspause in der kleinen Schulmensa läuft anders ab: Hier funktioniert alles nur mit einem ausgetüftelten Schicht-Betrieb, um Kontakte unter den Klassenjahrgängen zu vermeiden.
Markus Kröger / Schulsozialarbeiter
"Das war immer wuselig, das war immer eng, das war aber irgendwie auch wie eine kleine Familie. Und das ist jetzt alles anders. Ich muss jetzt quasi Beziehungsarbeit leisten zu Schülern, die Abstand haben. Das ist eigentlich ein Widerspruch. Die Kinder sollen sich kennenlernen, dürfen aber nicht zu nahe rücken. Und das ist richtig, richtig schwierig. Wie soll ich kennenlernen auf Abstand? "
Bundesweit mussten im neuen Schuljahr bereits etliche Schulen vorübergehend komplett schließen. Oder einzelne Jahrgänge oder Klassen wurden in Quarantäne geschickt. Wie viele Schulen bundesweit betroffen sind, erfassen die Behörden statistisch nicht. Ein weiteres Problem: Die oft in die Jahre gekommenen Schulgebäude erschweren eine Umsetzung der geforderten Hygienemaßnahmen.
Stephan Wassmuth / Bundeselternrat
"Und der Sanierungsstau ist ja auch nichts Neues, was jetzt ganz überraschend gekommen ist. Wenn man sich die Zahlen anguckt: 1970 hatten wir 43 Milliarden D-Mark Sanierungsstau in den Schulen. Wir haben im Jahr 2020 einen Sanierungsstau von 48 Milliarden Euro. Also seit über 50 Jahren schieben wir diesen Sanierungsstau vor uns her. Und es ist natürlich auch wirklich unbefriedigend, auch für die Lehrkräfte, die den Unterricht gemeinsam vorbereiten sollen. Da sind teilweise keine Arbeitsräume, wo man das machen kann. Da ist keine EDV-Ausstattung, da kommen wir ja vielleicht auch noch. Die ist nicht vorhanden. Das sind keine neuen Probleme. Das sind jahrzehntealte Probleme, die wir vor uns herschieben und die uns jetzt natürlich ganz kalt erwischt haben. "
Der Computerraum der Theodor-Heuss-Schule ist auf dem neuesten Stand der Technik, allerdings: Es fehlt ein Waschbecken, das vorgeschrieben Händewaschen im Klassenzimmer ist damit nicht möglich.
Und: Die empfindlichen Computertastaturen müssen nach Gebrauch mit speziellen Desinfektionstüchern gereinigt werden, - das verursacht Extrakosten.
Roswita Weber / Schulleitung
"Die versprochenen Masken für die Schüler sind nicht angekommen. Die Gebäudesanierungen sind nicht angekommen. Die Endgeräte, die versprochen wurden für die Schüler, sind vielleicht im Januar, Februar da. Ich habe in der ganzen Schule keine WLAN. Wenn ich jetzt die Endgeräte habe, komme ich trotzdem nicht weiter. Lehrer sind nicht fortgebildet worden. Lehrer haben keine Geräte, und da habe ich nicht die Möglichkeit in der Corona-Zeit vernünftig meinen Pflichten nachzukommen. Die Eltern haben den Eindruck, dass alles gut läuft, dass alles strukturiert ist, dass die Möglichkeiten da sind, dass die Gelder da sind. Aber es kommt bei uns an den Schulen nicht an."
Einen zentralen Masterplan für Schulen gibt es derzeit nicht. 16 Kultusminister, 16 Hygienekonzepte – mal müssen Masken nur auf den Fluren getragen werden, mal auch im Unterricht, in manchen Bundesländern gar nicht. Hamburg war eines der ersten Bundesländer, die nach den Sommerferien die Schulen für den regulären Betrieb wieder geöffnet haben. Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft meldeten sich in den vergangenen Wochen viele verunsicherte Lehrer.
Anja Bensinger-Stolze / GEW Hamburg
"Hier schreibt jemand: Die Verdachtsfälle häuften sich in der letzten Woche und Kinder in zweistelliger Zahl wurden täglich nach Hause geschickt mit Erkältungssymptomen. Von diesen ist nicht bekannt, ob überhaupt welche getestet wurden und welche davon Corona positiv waren. Denn es besteht dazu auch keine Pflicht."
"Ich erhoffe mir von euch Unterstützung beim Rechtsschutz. Zum Beispiel, falls sich ein Kollege bei uns seine Gesundheit ruiniert und sich in der Schule infiziert."
"Meine Verwunderung über dieses Vorgehen kann ich kaum in Worte fassen. Das Motto schien und scheint zu sein, der Start muss erst einmal gelingen. Die paar Einzelfälle kriegen wir schon in den Griff."
"Seit dem Montag ist auch ein Oberstufenschüler betroffen, der im Krankenhaus liegt und mit schwerem Verlauf beatmet werden muss. Es ist bedrückend für alle, wenn ein Schüler um sein Leben kämpft. Tagelang. Der Ausgang ist noch unklar. "
In einem Punkt sind sich Eltern- und Lehrerverbände einig: Dass in Deutschland, so wie im März, erneut alle Schulen geschlossen werden, muss möglichst vermieden werden.
Anja Schulze-Bensinger / GEW Hamburg
"Das ist natürlich schwierig, wenn auch die Kollegen nicht informiert werden. Was ist eigentlich da vorgefallen? Wie ist der Stand? Wie wird jetzt vorgegangen? Da wird nicht offen und transparent informiert. Das ist schwierig. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass das auch von der Behördenseite nicht unbedingt gewollt ist. Man möchte gerne diese Sachen unter dem Tisch behalten. Man möchte das nicht so an die Öffentlichkeit geben. Es zeigt sich, dass Kinder eben auch das Virus haben und auch ansteckend sein können. Da nützt es auch nichts, wenn man von der Behörde hört, naja, aber die sind nicht so ansteckend, und untereinander stecken sie sich nicht so an, aber natürlich die Beschäftigten, die Lehrkräfte, die sind natürlich gefährdet, und von daher war das am Anfang schon belastend ist es auch bis jetzt. Es ist ein permanentes Unwohlsein, weil man nicht weiß, was kommt da auf einen zu."
Die Theodor-Heuss-Realschule in Dortmund hatte vor zwei Wochen einen positiven Corona-Fall. Schulleiterin Roswita Weber musste nur die Sitznachbarn der infizierten Schülerin in Quarantäne nach Hause schicken, weil die Schule sich freiwillig dazu verpflichtet hat, dass alle im Unterricht einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Roswita Weber / Schulleiterin
"Ich finde, dass uns andere Länder längst überholt haben, wenn man sieht, wie in Norwegen, Finnland gearbeitet wird. Wieso ist das hier nicht möglich? Wieso zählt die Gesundheit so wenig? Wieso zählt Bildung so wenig? Und das ist das, was einen frustriert."
Wie ein pandemiegerechter Unterricht mit dem wissenschaftlich dringend empfohlenen Dauerlüften in der kalten Jahreszeit funktionieren soll, darauf gibt es im Moment noch keine Antwort. Es bleibt kompliziert, auch in diesem Schuljahr.