Kampf gegen anti-asiatischen Rassismus: "Wir alle haben es satt, dass Leute über uns reden und nicht mit uns"

bento stellt drei Menschen vor, die sich in Projekten und Vereinen gegen Alltagsrassismus engagieren.
Foto: privat / Thuy-Tien Nguyen

Dieser Beitrag wurde am 22.05.2020 auf bento.de veröffentlicht.

Für asiatisch aussehende Menschen, die in Deutschland leben, gehören Kommentare wie "Ching Chang Chong" oder beliebige Zurufe von fremden Personen auf der Straße wie "konnichiwa" oder "ni hao" zum Alltag – leider. Seit das Coronavirus Anfang des Jahres auch Deutschland erreicht hat, tritt anti-asiatischer Rassismus noch offener zutage – in Form von Beleidigungen , Drohungen und körperlichen Angriffen. Die Amadeo Antonio Stiftung dokumentiert hierzu auf ihrer Plattform Belltower.News in den sozialen Netzwerken und in Medien bekanntgewordene Vorfälle.

Aber anders als bei der deutsch-türkischen Community, die sich in Verbänden, Vereinen und Gemeinden selbst organisiert und ihre Interessen dadurch stärker im öffentlichen Diskurs vertritt, waren beispielsweise vietnamesische Verbände und Stimmen in Deutschland bislang kaum hör- oder sichtbar.

Daran ändert sich gerade etwas: Immer mehr junge Menschen mit asiatischem Background vernetzen sich, werden auf Twitter, Instagram und Facebook laut. Podcasts wie Rice and Shine , Diaspor.Asia  und Bin ich Süßsauer?  wollen Bewusstsein für migrantische Perspektiven schaffen. Akteurinnen wie Nhi Le, Liya Yu  und Victoria Kure-Wu kritisieren öffentlich rassistische Vorfälle, lassen sich nichts mehr gefallen, auch keine schlechten Witze von Prominenten, wie etwa von Franziska van Almsick oder Jan Böhmermann . Es entstehen neue Projekte wie das digitale Netzwerk "IchbinkeinVirus " oder die medienkritische Website Corona-Rassismus  vom Verein "Korientation".  

Aber was führte dazu, dass sich das Bewusstsein gerade ändert? Was genau wollen junge Menschen mit diesen Projekten erreichen? Welche Rolle spielen ihre persönlichen Erfahrungen? Wir haben mit drei von ihnen über diese Fragen gesprochen. 

Thuy-Tien Nguyen, 25, aus Köln, ist für das Medienkritik-Projekt "Corona-Rassismus in den Medien" bei "Korientation e.V." zuständig

Thuy-Tien arbeitet freiberuflich als Bewegungspädagogin und studiert auf Lehramt. Bei "Korientation" dokumentiert sie problematische Medienberichte. Der Verein ist eine migrantische Selbstorganisation und ein Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven. 

Foto: privat / Thuy-Tien Nguyen

"Seit genau einem Jahr bin ich auf Twitter aktiv. Anfang Februar 2020 schrieb ich zum ersten Mal über meine Erfahrungen. An einem Bahnhof wurde ich von einer Männergruppe rassistisch beschimpft. Der Bahnhof war damals voller Menschen und niemand ist eingeschritten oder hat im Nachhinein gefragt, wie es mir geht. In dieser Situation habe ich mich total allein gelassen und machtlos gefühlt. Nach dem Tweet hat mich eine deutsch-asiatische Person angeschrieben, die ich gar nicht kannte. Sie schrieb: 'Die Verletzung ist nicht mehr unsichtbar, du erzählst sie uns. Das ist nicht Machtlosigkeit, sondern Empowerment.' 

Das hat mir viel Kraft gegeben. Ich habe viele Leute über Twitter, Instagram und der Gruppe "DAMN" (Deutsche Asiat*innen Make Noise! ) kennengelernt, denen es genauso geht. Anti-asiatischer Rassismus war schon immer da, aber seit der Pandemie gibt es nach meiner Wahrnehmung ein stärkeres Bewusstsein dafür unter jungen Menschen asiatischer Herkunft. Das hat auch etwas mit der problematischen Medienberichterstattung zu tun. Wenn Corona-Meldungen immer wieder mit asiatisch-gelesenen Menschen bebildert werden, obwohl es um diese Personen im Artikel gar nicht geht, macht es uns zur Zielscheibe. 

Wenn ich Redaktionen anschreibe, kommt oft entweder eine Abwehrhaltung oder gar keine Reaktion. Wir alle haben es einfach satt, dass Leute über uns reden und nicht mit uns. Und dass sie immer noch so viele Klischees im Kopf haben. Asiatische Frauen oder Mädchen werden häufig sexualisiert und fetischisiert . Jetzt kommt hinzu, dass asiatisch gelesene Menschen für das Virus und für die Pandemie verantwortlich gemacht werden. Manchmal denke ich mir, dass ich gern mein Leben vor der Pandemie zurück möchte, wo ich 'nur' Alltagsrassismus erfahren habe. Aber andererseits hat mich das erst zu meiner aktivistischen Arbeit geführt.“

Thi Minh Huyen Nguyen, 27, aus Berlin, ist Teil des Teams "IchbinkeinVirus"

Foto: privat / Thi Minh Huyen Nguyen

Huyen ist Studentin und freie Autorin. Sie ist Teil des sechsköpfigen Teams von "IchbinkeinVirus", einem Netzwerk gegen Rassismus. Das Projekt soll Erfahrungsberichte sichtbar machen und den Austausch zwischen Betroffenen, Aktivistinnen und Beratungsstellen ermöglichen. Die Idee wurde beim Hackathon #wirvsvirus der Bundesregierung im März von der Initiatorin Victoria Kure-Wu eingereicht. Es war das einzige von mehr als 1500 Projekten, das Rassismus in Zeiten von Corona behandelt hat. 

"Ich habe mich vor Corona auch schon engagiert. Der tägliche Aktivismus ist in diesen Zeiten aber dringlicher geworden. Als ich jünger war, habe ich vieles einfach unter den Tisch gekehrt. Also im Sinne von: Ich wollte nicht aufmucken, ich wollte mich lieber unsichtbar machen. Jetzt verändert sich das. Seit ich mich mit Freundinnen und Freunden austausche, die auch eine Migrationsgeschichte haben, entdecke ich mich in ihren Erzählungen wieder. Ich denke viel an meine Kindheit zurück und reflektiere Diskriminierungen, die ich erfahren habe.

Wenn wir anfangen, uns politisch zu engagieren und uns dem Status Quo widersetzen, erkennen wir, dass unsere eigene Stimme wichtig ist. Dass wir auch etwas verändern können. Ein Beispiel ist meine Kollegin Victoria: Sie wollte es nicht auf sich sitzen lassen, dass ihre Mutter in Bielefeld mehrere Anfeindungen erlebt hatte. Ihre Mutter selbst konnte das nicht in der Öffentlichkeit platzieren. Victoria beschloss kurzerhand, "IchbinkeinVirus" zu gründen. 

Ich habe fünf Jahre lang in New York gelebt. Dort gibt es im Hinblick auf Rassismus ein anderes Bewusstsein. Es ist normal, dass deine Vorgesetzte Afro-Amerikanerin ist, dass es in Unternehmen Initiativen zu Diversität und Inklusion gibt. In Deutschland habe ich das Gefühl, man darf es noch nicht mal benennen. Es ist schon frustrierend: Wenn wir Ungerechtigkeiten aufzeigen, zum Beispiel, dass die Jury des Hackathons nur aus weißen Personen besteht, gehen die meisten Personen in eine Abwehrhaltung, statt einfach zuzuhören.

Ich wünsche mir, dass anti-asiatischer Rassismus ernst genommen wird, und Gelder in Projekte fließen, die das thematisieren. Dass sich weiße deutsche Menschen ihrer Verantwortung stärker bewusst werden und mitkämpfen.

Cuso*, 26, wohnt in Köln und ist ein Teil von Diaspor.Asia – einem Podcast über asiatische Perspektiven in Deutschland

Cuso studiert Soziologie und arbeitet als Trainer für politische Bildungsarbeit in den Feldern Anti-Rassismus und Selbststärkung von Black and People of Colour aus queerer Perspektive. Zusammen mit Xinan produziert Cuso den Podcast Diaspor.Asia . Damit wollen sie Teil einer neuen Medienlandschaft sein, die asiatischen Identitäten eine Stimme gibt.

Foto: privat / Cuso von Dispor.asia

"Viele Migrantinnen und Migranten der ersten Generation, wie meine Mutter, haben viele Geschichten der Ausgrenzung und des Schmerzes erlebt. Meine Mutter weiß, wie es ist, ausgelacht zu werden, nicht richtig Deutsch zu sprechen, bei Behördengängen ständig Hilfe zu brauchen und keine zu bekommen. Trotzdem sagt sie, dass in Deutschland alles gut ist. Das ist, glaube ich, ein Schutzmechanismus. Sie verdrängt die negativen Erfahrungen. Aber jetzt, wo asiatisch gelesene Menschen angefeindet werden und man ums körperliche Wohlbefinden fürchten muss, kommt man nicht drum herum, das zu thematisieren. Das Bild bröckelt – alte Wunden werden sichtbar.

Ich sehe einige Menschen asiatisch-deutscher Herkunft, die zum ersten Mal in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, auch in einer politischen Rolle. Junge Menschen kommen zusammen, tauschen sich aus. Sie bilden Gruppen, Medienkollektive. Nach dem Anschlag von Hanau haben sich viele Migrantifa-Gruppen organisiert. Das Selbstbewusstsein ist auch ein anderes: Junge Menschen arbeiten mit Selbstbezeichnungen wie "asiatisch-deutsch" oder "People of Colour" und bewegen sich damit auf den Brücken, die Generationen vor ihnen gebaut haben. Sie tauschen sich auf Social Media aus, diskutieren öffentlich über Diversität in Filmen oder in Medien, sprechen in Podcasts und auf YouTube über ihre Erfahrungen. Anti-asiatischer Rassismus hat gerade Konjunktur und ich weiß nicht, wie viel aus einer Hochphase überbleibt. Denn es wird nicht weggehen, sondern nur aus der Öffentlichkeit verschwindenJetzt ist es Zeit, Lärm zu machen, präsenter zu werden. Jetzt ist es Zeit, diese Stimmen sichtbar zu machen und anderen Menschen zuzuhören."

*Auf Wunsch von Cuso haben wir auf die Nennung des Nachnamen verzichtet. Dieser ist der Redaktion bekannt.

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