
"Costa Concordia": Havarie vor Giglio
Schiffshavarie Was wurde aus der "Costa Concordia" und aus Kapitän Schettino?
Das Schiff lief voll Wasser, kippte langsam zur Seite, mitten in der Nacht. Menschen schrien vor Angst, fielen, rappelten sich auf, fielen erneut, liefen panisch irgendwo hin - auf der Suche nach Hilfe, nach Rettung. Verzweifelt sprangen manche über Bord, ohne Schwimmweste. Wie Francio, nur hundert Meter vom Ufer entfernt. Er erreichte es nicht und ertrank.
Williams und seine fünfjährige Tochter kämpften sich im Menschengewühl zu den Rettungsbooten durch. Sie waren besetzt, kein Platz frei. Besatzungsmitglieder schickten sie zur anderen Seite des havarierten Schiffs. Aber dort kamen sie nie an.
Sie wurden, wie viele Opfer jener Katastrophe, erst viel später gefunden. Der zuletzt gefundene Tote hieß Russel, ein junger indischer Kellner. Er wurde posthum zum Helden. Während sich hochrangige Besatzungsmitglieder in Sicherheit brachten, lief Russel hierhin und dorthin und half in Panik geratenen Passagieren, dem Inferno zu entkommen. Er selbst entkam nicht. Seine Leiche wurde erst zwei Jahre und zehn Monate nach dem Unglück gefunden. Von Arbeitern, die das Wrack auseinander schweißten, in einer Kabine auf Deck acht.

"Costa Concordia": Havarie vor Giglio
Mehr als 4200 Menschen waren an Bord, davon etwa tausend Crewmitglieder, als das Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia" am 13. Januar 2012 um 21.45 Uhr und 7 Sekunden - so der Voyage Data Recorder - auf einen Felsen vor der kleinen toskanischen Insel Giglio fuhr. Das Schiff hätte so nah am Ufer nie sein dürfen. Aber der Kapitän wollte einen Ex-Kollegen grüßen, mit einem "inchino", wie es in Italien heißt, einer "Verneigung": Man fährt nah an Land vorbei, lässt alle Lichter leuchten und das Typhon ertönen. Witzig, nett oder größenwahnsinnig? Das Manöver hatte Schettino schon mehrfach gewagt, diesmal ging es schief.
32 Menschen starben, etliche hundert - genaue Zahlen gibt es nicht - erlitten physische und psychische Schäden. Was wurde aus den Tätern, dem Tatort, dem Schiff und jenen, die dem Tod nur knapp entronnen sind?
Die Täter: "Kapitän Feigling" und seine Offiziere
Kapitän Francesco Schettino, heute 57 Jahre alt, wurde am 12. Mai 2017 in letzter Instanz vom höchsten Gericht Italiens zu 16 Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt. Schuldig der fahrlässig verursachten Havarie, der mehrfachen fahrlässigen Tötung und Körperverletzung, der Zurücklassung Hilfsbedürftiger in Tateinheit mit dem vorzeitigen Verlassen des Schiffes.
Um 1.46 Uhr, als der Hafenkommandant von Livorno mit ihm telefonierte, während die Evakuierung in Gange war und noch Stunden dauern sollte, hatte der Kapitän das sinkende Schiff bereits verlassen. "Gehen Sie zurück an Bord, verdammt nochmal", hatte ihn der Hafenkommandant angebrüllt und war zum Volkshelden geworden. Der flüchtige Kapitän dagegen wurde von italienischen Medien "Kapitän Feigling" getauft, als er später behauptete, er sei von Bord gefallen und zufällig in einem Rettungsboot gelandet.
Fünf weitere Verantwortliche - der Krisenmanager der Reederei Costa Crociere, der "Costa Concordia"-Hoteldirektor, zwei auf der Brücke diensthabende Offiziere und der Rudergänger - handelten mit der Justiz vergleichsweise milde Gefängnisstrafen zwischen anderthalb Jahren sowie zwei Jahren und 10 Monaten aus. Die sind inzwischen verbüßt, für sie ist das düstere Kapitel vorerst abgeschlossen. Anders als für die Angehörigen der Opfer und für viele Überlebende der Katastrophe.
Die Opfer: Panikattacken und psychische Langzeitschäden
Die fünf Bordrestaurants offerierten gerade "Italienische Genussmomente mit den Aromen dieser Welt" (so wirbt die Costa-Linie für ihre Bord-Küche), als Kapitän Schettinos "Verneigung" misslang und ein Fels unter Wasser das Kreuzfahrtschiff auf 70 Meter Länge aufschlitzte.
Zu den Gästen gehörte Andrea, 59 Jahre alt, Managerin aus Kanada. Nach dem "heftigen Rumms" seien Teller, Gläser, Flaschen durch den Speisesaal geflogen. Andrea schaffte es mit ihrem Mann an Deck, sie bekamen aber keinen Platz mehr im Rettungsboot. Das Ehepaar rettete sich schließlich schwimmend ans Ufer. Die beiden haben überlebt. Andrea hat auch Jahre später noch Albträume, Heulkrämpfe, Panikattacken.

"Costa Concordia": Chronologie einer Katastrophe
Sie ist nicht die einzige. "In den ersten Monaten nach dem Unglück musste ich ständig weinen", sagt die damals 55-jährige Eli, Ärztin aus der Schweiz. "Bei jedem größeren Unfall, von dem ich in den Medien erfahre, schießen mir die Bilder der Unglücksnacht wieder in den Kopf."
Anna, Britin, verwitwet, gelernte Köchin, war mit Tochter und zwei Enkeln an Bord. Und mit der Urne ihres verstorbenen Gatten. Die Asche sollte im Meer verstreut werden. Im Chaos der verloschenen Lichter, rennenden, schreienden, fallenden Menschen ging die Urne verloren. Auch Anna und ihre Familie verloren sich in der Panik, sie stürzte, irrte durch das überflutende Schiff - und überstand alles, wie durch ein Wunder. Aber nicht unbeschadet. Medizinische Gutachten bescheinigen ihr dauerhafte psychische Schäden.
Der junge Mark, Brite, Ballett-Tänzer, körperlich topfit, rettete sich schwimmend ans Ufer. Tanzen kann er nicht mehr, wird es vermutlich nie wieder können.
Das Wrack: Abgeschleppt und zerlegt
Zweieinhalb Jahre brauchten Spezialisten, um das Unglücksschiff für seine letzte Reise zu präparieren. Am Abend des 23. Juli 2014 nahmen zwei Hightech-Schlepper mit langsamen zwei Knoten Geschwindigkeit das, was vom stolzen, 57.000 PS-starken Kreuzfahrtschiff übriggeblieben war, in Schlepptau.
Nach vier Tagen erreichten sie den Liegeplatz an der Außenmole im 350 Kilometer entfernten Genua, wo mit dem Rückbau begonnen wurde. Von dort ging es am 1. September 2016 weiter in das Trockendock 4, wo der Restrumpf des 290 Meter langen Dampfers, dessen Bau einst 450 Millionen Euro gekostet hatte, verschrottet wurde. Die Vernichtung soll mehr als hundert Millionen Euro gekostet haben.
Der Unglücksort, die Helfer, die Touristen
"Da vorne", sagen die Einheimischen auf Giglio, kaum hundert Meter vor der Stelle, wo die "Costa Concordia" festgemacht war, "geht es ganz tief runter: da hätte man das Unglücksschiff einfach versenken sollen!" Aber die Obrigkeit zögerte. "Wir wollen, dass der Katastrophentourismus endlich aufhört", sagte der Bürgermeister der Insel, Sergio Ortelli.
Zweieinhalb Jahre hatten die Giglio-Besucher Zeit, das verwundete Boot, das neben der Hafeneinfahrt hilflos auf der Seite lag, millionenfach, von vorne, unten, hinten und oben, von Wasser wie von Land aus zu fotografieren und zu filmen. Seit das Motiv weg ist, fotografieren und filmen sie eben die Stellen, wo das Boot lag, wo die Schiffbrüchigen ankamen, untergebracht und versorgt wurden. Denn auch das gehört zur Geschichte der "Costa Concordia".
Der mutige Teil der Besatzung ist nicht weggelaufen, hat an Bord den Passagieren geholfen und gemeinsam mit den Einsatzkräften, die von Land kamen, etwa 150 Menschen aus dem Meer gerettet. Und die gut 1400 Einwohner von Giglio brachten spontan Bekleidung, Decken, Lebensmittel und nahmen mehrere tausend Menschen auf, "wie Verwandte"; vielen wurden Geldscheine für die Heimfahrt in die Hand gedrückt. Auch ihr Leben ist seit der Havarie ein anderes.
Außerdem in dieser Serie erschienen: Nokia, Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust, Talkshowmoderatorin Arabella Kiesbauer, Ehec, Steinkohlebergbau, Radstar Jan Ullrich, Ägyptens Ex-Diktator Hosni Mubarak, Aids, Deutschlandstipendium, Transrapid, Dioxin, Prokon, Chatportal Knuddels, "Costa Concordia" und viele mehr.
Im Überblick: Alle Folgen der Serie "Was wurde aus...?