Covid-19 in Italien Das erstarrte Land

27. Februar 2020: "Zu Beginn der Coronakrise in Italien war ich nach Mailand gekommen und wollte sehen, wie sich das Leben im bekannten Ausgehviertel Navigli verändert hatte. Die Straßen und Kanäle dort waren bereits fast komplett leer, so wie diese Straßenbahn in der Nähe des Mailänder Domplatzes auf dem Weg dorthin. Mailand ist meine Stadt, und ich war überrascht, wie verlassen sie wirkte. Das hat mich erschrocken. Noch dachte ich, es könnte sich um eine normale Grippewelle handeln."

28. Februar 2020: "Mit der U-Bahn fuhren noch relativ viele Menschen in Mailand, nur etwa ein Prozent trug eine Atemmaske: Touristen und die, die sich weniger über die aktuelle Lage informiert und größere Angst hatten. Die Maskenträger wollten sich häufig nicht fotografieren lassen, und viele Menschen wirkten noch ungläubig angesichts der drohenden Gefahr."

5. März 2020: "Die Aula Magna mit dem berühmten Gemälde des Futuristen Mario Sironi ist der größte Hörsaal der La-Sapienza-Universität von Rom, an diesem Tag war er menschenleer. Der Pressedienst der Uni hat mich und zwei weitere Fotografen durch die Gebäude geleitet, da sie eigentlich niemand mehr betreten durfte. Nur einen Tag zuvor war ich bereits auf dem Campus, und er war noch voller Studenten, die draußen auf der Wiese saßen oder Ball spielten. Es war ein seltsames Gefühl, diesen lebendigen Ort plötzlich so verwaist vorzufinden. Nach der Schließung sämtlicher Bildungseinrichtungen des Landes werden die Vorlesungen nun teilweise online über Videokonferenzen abgehalten."

6. März 2020: "Dieses Foto steht sinnbildlich für die kritische Situation der Alten im Land: Eine greise Frau mit Atemmaske im Rollstuhl wird durch die Straßen meines Viertels Trastevere in Rom geschoben. Beide Frauen wirkten sehr freudlos auf mich. Direkt nebenan wurde ein Treffpunkt für alte Menschen geschlossen, eine wichtige Anlaufstelle im Alltag. Nun wissen sie nicht mehr, wohin sie sich wenden können. Seit zwei Wochen versuche ich bereits, alte Menschen zu fotografieren. Aber es scheint, sie würden nicht mehr existieren. Sie haben sich alle zu Hause eingeschlossen und haben Angst, mich hineinzulassen. Es ist sehr traurig."

9. März 2020: "Für einen weiteren Auftrag zum Thema Coronavirus wurde ich nach Venedig geschickt. Morgens gegen acht Uhr ist der berühmte Markusplatz normalerweise schon so voll, dass man kaum zwischen den Menschen hindurchgelangt. So leer habe ich die Lagunenstadt aber noch nie erlebt, das Zentrum glich einer Geisterstadt, wie ausgestorben. Venedig lebt vor allem vom Tourismus, und es waren nur ein paar letzte Touristen bei der Abreise, die ich in den Gassen getroffen habe."

10. März 2020: "Dieser Sarg wurde direkt aus dem Krankenhaus rechts zum Begräbnisboot transportiert, das ihn zu Venedigs Friedhofsinsel San Michele gefahren hat. Neben Hochzeiten und zahlreichen anderen kirchlichen Zeremonien wurden auch Begräbnisse landesweit untersagt. Nur die engsten Verwandten dürfen noch dabei sein. Aber es ist sehr bedrückend, dass die Angehörigen sich nicht mehr bei einer Trauerfeier verabschieden können."

10. März 2020: "An Venedigs Hauptbahnhof Santa Lucia kontrollierten Polizeibeamte Fahrgäste, die die Stadt verlassen wollten. Touristen müssen dazu nichts vorweisen, Italiener brauchen eine Selbstauskunft. Die Polizei war ungewohnt kooperativ und angenehm im Umgang mit mir, wahrscheinlich sind auch die Beamten sehr angespannt. Eine Frau, die ich in derselben Situation beim Ausfüllen der Selbstauskunft fotografierte, hat mir untersagt, ihr Foto zu publizieren. Mir ist es noch nie passiert, dass so viele Menschen nicht fotografiert werden möchten. Sie fühlen sich verwundbar und glauben teilweise, dass die Bilder mit Atemmasken für ein schlechtes Image von Italien sorgen."

10. März 2020: "Zurück in Rom habe ich diese rührende Szene beobachtet: Ein junger Mann umarmte seine Freundin, bevor sie vom komplett leeren Hauptbahnhof Termini abgefahren ist. Es war der letzte Tag, an dem man noch frei durch Italien reisen konnte. Wer eine Fernbeziehung führt, kann sich nun auf unbekannte Zeit nicht mehr treffen. Nur im Notfall, zu bestimmten Arbeitszwecken oder aus medizinischen Gründen dürfen sich Italiener noch hinausbewegen."

11. März 2020: "Am nächsten Tag habe ich in Rom zufällig diesen seltsamen Moment beobachtet: Aus Angst, er könne sich anstecken, überreichte der Assistent eines Hausarztes einer Patientin ein Medikamente-Rezept aus sicherer Distanz durch ein Fenster. Die Arztpraxen funktionieren noch normal. Verkäufer von Lebensmitteln und Medikamenten müssen allerdings Gummihandschuhe und Atemschutzmasken tragen. Mittlerweile tragen auch etwa 30 Prozent der Menschen auf der Straße eine Maske."

11. März 2020: "Diese Frau wirkte panisch auf mich, sehr angespannt. Ihr Einkaufswagen war zum Großteil voller Desinfektionsmittel und Putzutensilien. Viele Menschen machen diese Hamsterkäufe. Man muss draußen in der Schlange warten und einen Meter Abstand zu den anderen Personen einhalten. Sie lassen nur maximal zwei Personen gleichzeitig hinein, die dann etwa 45 Minuten einkaufen. So dauert es teilweise einen ganzen Vormittag, bis man seine Einkäufe erledigt hat. Ich war schon einige Tage nicht mehr im Supermarkt, und allmählich gehen mir zu Hause die Vorräte aus."

11. März 2020: "Polizisten kontrollierten an einer Straßensperre in Rom, ob die vorbeifahrenden Autofahrer die Quarantäne respektieren und einen akzeptablen Grund haben, das Haus zu verlassen. Die Straßensperren sind auf jedem zentralen Platz, an jeder zentralen Straße eingerichtet. Es ist so gut wie unmöglich, daran vorbeizugelangen."

11. März 2020: "Mein guter Freund, der Radfahrer Fabio Martinelli, trainierte auf seinem Balkon mit einem Hometrainer, um das Haus nicht verlassen zu müssen. Auch Sporteinrichtungen und Wellnesscenter wurden alle geschlossen. Fabio hat Angst, das Haus zu verlassen, und er wollte, dass ich mindestens zwei Meter Abstand von ihm halte. Ich hoffe sehr, dass wir die Situation schnell in den Griff bekommen. Für mich als Fotograf ist das zwar interessant. Aber die Gesellschaft ist betäubt, wie erstarrt. Es gibt kaum noch menschlichen Kontakt, die öffentlichen Orte sind ausgestorben. Es ist schrecklich, ich halte das nicht mehr lange aus."