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BESTATTUNGSKULTUR Das Friedhofssterben

Gestorben wird in Deutschland öffentlicher denn je, in vielen Büchern wird der Tod thematisiert, Robert Enke wurde im Stadion betrauert. Doch die meisten Deutschen lassen sich anonym beerdigen, der Umgang mit der Trauer hat sich grundlegend verändert. Von Ullrich Fichtner
aus DER SPIEGEL 53/2009

Am Thema Weltraumbestattung war René Andree früh dran, er hätte bei »Celestis« in Amerika exklusiv seine Rakete buchen können, ein Jahr im Voraus und für 300 000 Euro Vorkasse, darin hätte er ein halbes Dutzend Urnen und ein paar Portionen Totenasche in die Sterne schießen können, fünf Gramm à 12 500 Euro, aber am Ende hat es sich nicht gerechnet. Der Weltraum, sagt Andree, »wird vom Kunden noch nicht wirklich gewollt«.

Es sind die trüben November-Wochen um den Volkstrauertag, Andree kocht Kaffee in seinem Bestatterladen in Berlin-Spandau, Seegefelder Straße. Hier draußen an ihrem westlichen Rand sieht die Stadt aus, als wäre die Zeit in den sechziger Jahren stehengeblieben, nur der kik-Textildiscount gegenüber stört das alte Bild. Andree, ein junger, kahlköpfiger Berliner mit guten Manieren, selbst Sohn eines Bestatters, erwartet Kundschaft. Er wird gleich einen Toten übergeben, oder wie soll man dazu sagen; es geht um die Asche einer Leiche, gepresst zu einem Diamanten.

Um ihn abzuholen, ist Bettina Gosalci von weit her aus dem Münsterland angereist, eine Frau Ende vierzig, die im Singsang ihrer Heimat spricht, und sie redet viel an diesem Morgen. Sie ist so aufgeregt, dass man zu hören meint, wie ihre Nerven flattern. Es geht um ihren Sohn. Er starb im November vor zwei Jahren, Benni, 19 Jahre alt, schwerstbehindert, ein Spastiker, gelähmt an Armen und Beinen, der sich drei Jahre vor seinem Tod auch noch so am Essen verschluckte, dass er einen Lungenriss erlitt und bis zum Ende rund um die Uhr an ein Beatmungsgerät angeschlossen bleiben musste.

Bettina Gosalci hat ihn selbst gepflegt, zu Hause, Tag und Nacht. Sie empfand es, sagt sie, als Glück. Sie wusch den Jungen, der ihr drittes, jüngstes Kind war, fütterte ihn, windelte ihn, sie wendete seinen lahmen Körper alle 45 Minuten, auf dass er sich nicht wundliege, drei volle Jahre lang.

Einmal, als Mutter und Sohn gemeinsam vor dem Fernseher saßen, wurde ein Bericht darüber gezeigt, dass aus Totenasche heutzutage Diamanten werden können. Benni sagte, in seiner Kindersprache, aber unmissverständlich, dass er das schön fände, dass er das haben wolle, werden wolle: ein Diamant.

Der Tod kam, der Sohn starb friedlich, und die Mutter hatte seinen Wunsch nicht vergessen, aber sie hatte das Geld nicht und vielleicht auch noch nicht die Phantasie für den Diamanten. Benni wurde bestattet, wie es Sitte ist seit ewigen Zeiten, in einem Sarg, in der Erde, auf einem Friedhof, und immerhin war der Sarg buntbemalt und das Grab bald geschmückt mit Schmetterlingen, für die sich der Junge immer begeisterte. Aber sein letzter kindlicher Wille war unerfüllt, und er ließ die Mutter nicht los.

Sie tat sich wieder mit einem Mann zusammen, der Verständnis hatte und das nötige Geld, und er war bereit zu helfen. Die Leiche des Sohnes wurde mit Billigung des Pfarrers exhumiert, und Bennis sterbliche Überreste wurden im Krematorium verbrannt, nachträglich sozusagen, denn es brauchte ja die Asche für den Stein. Dann kam Bestatter Andree aus Berlin zum Zug, er organisierte alles, er führte den Papierkrieg, er kannte Wege und Adressen. Die Asche wurde nach Russland verschickt, in spezialisierten Fabriken dort gefiltert, von anorganischen Stoffen gereinigt und bei hoher Temperatur unter hohem Druck fünf Tage lang gepresst. Das Ergebnis der Arbeit liegt jetzt in einer Schatulle vor Bettina Gosalci.

Sie erzählt ihre Geschichte wie eine Frau, die alles hinter sich hat, auch das Schlimmste. Sie lebt mit chronischem Rheuma seit Jahren, sie hört schwer, sie sieht schlecht, und ihr Blutdruck spielt ständig verrückt. Jetzt, wo es wieder um Benni geht, fühlt sie sich einer Ohnmacht nahe.

Sie misst am Tisch beim Bestatter, im Schatten des Regals mit den Urnen, den Blutdruck mit einer kleinen, zischenden Maschine. 188 zu 116, das ist viel, »aber das geht ja noch«, sagt sie. Dann endlich nimmt sie die Schachtel, den Diamanten, den Sohn, schaut den Edelstein angestrengt an, aber ihr schwirrt so der Kopf, dass sie nicht viel sieht. Benni, oder das, was von ihm übrig ist, oder das, was aus ihm geworden ist, kommt fürs Erste in die Handtasche. Bettina Gosalci schreibt Textnachrichten in ihr Telefon, an ihre Kinder: »Alles ist gut. Benni ist bei mir.«

6230 Euro werden für die Verwandlung zu bezahlen sein. Bestellt war ein 0,5-Karäter, herausgekommen ist ein Stein von 0,62 Karat. »Vom Gewicht her«, sagt Bestatter Andree, »müsste er eigentlich 8600 Euro kosten, aber da sind wir jetzt mal nicht so.« Er ist der Typ serviceorientierter Dienstleister, den Diamanten hat er schon 50-mal gemacht, sagt er, das Geschäftsfeld sei stark im Kommen. »Hell und offen«, hat er sich seinen Laden gewünscht, als er ihn 2002 eröffnete, da war er gerade 22 und dachte sich den Namen »Christ-All« für die Firma aus. Er mag Wortspiele, sagt er, und der Name sei »überhaupt das Beste«. Sein Slogan lautet: »Im Trauerfall ... Christ-All«.

Es ist ein hartes, heikles Geschäft. Allein in Berlin streiten sich mehr als 400 Betriebe um Marktanteile. Um zu überleben, braucht eine kleine Firma wie die von Andree fünf, sechs ordentliche Beerdigungen pro Monat. Konkurrenten, die auf billig machen, müssen mindestens zehn Leichen unter die Erde bringen, um auf ihren Schnitt zu kommen.

Das eigentliche Problem aber, mit dem die Branche kämpft und mit dem die ganze Gesellschaft seit Jahren ringt, ist weniger ein ökonomisches. Es geht um viel, viel mehr: Seit kurzem, spätestens seit der Jahrtausendwende, verändert sich der Umgang mit den letzten Dingen grundlegend, es wandelt sich der Blick auf das Sterben, auf den Tod, auf das Trauern und darauf, ob und wie sich die Nachwelt ihrer Toten noch erinnern will.

Auf ein und demselben Friedhof lassen sich heute Menschen namenlos unter der grünen Wiese bestatten, während ein, zwei Grabfelder weiter große Familienmausoleen neu entstehen, prachtvoll wie zu Kaisers Zeiten. Aids-Kranke gründen Vereine, um Gemeinschaftsgräber zu finanzieren, es werden Grabfelder nur für Frauen ausgewiesen, oder nur für die Mitglieder einer Kirchengemeinde, oder nur für totgeborene Föten »unter 500 Gramm«, oder nur für Atheisten, für Buddhisten, für Muslime, oder nur für HSV-Fans, wie auf dem Hauptfriedhof in Hamburg-Altona.

Ständig eröffnet irgendwo ein neuer »Friedwald«, ein »Ruheforst«, ein »Friedpark«, wo am Stamm von Bäumen ganz besonders »naturnah« beigesetzt wird. Angehörige lassen ihre eingeäscherten Toten in Bergbäche rieseln, über Almwiesen verwehen, unter Bäumen und Felsen vergraben. Es werden Tote »im Wind« beigesetzt, es wird ihre Asche aus Heißluftballons über französischen Wäldern oder aus Hubschraubern über Schweizer Bergen verstreut, oder sie werden ins Wasser der Ostsee gelassen, auf besonderen Wunsch auch direkt über dem Wrack der »Wilhelm Gustloff« oder, gegen noch höheren Aufpreis, gleich vor den schönsten Küstenabschnitten Hawaiis.

Was für die Bestattungsformen gilt, dass keine Regel mehr gilt, stimmt auch für den Umgang mit Tod und Trauer an sich. Der Tod, über den in Deutschland lange Zeit zu sagen war, er werde tabuisiert und verdrängt, ist als gesellschaftliches Thema wiederauferstanden, mit allerdings sehr verwirrenden Folgen.

Der wachsenden Masse anonymer Beisetzungen stehen nationale Hochämter gegenüber wie jenes für den lebensmüden Torwart Robert Enke. Tausende tieferschütterter Menschen versammelten sich, um der Opfer des Amokläufers von Winnenden zu gedenken, während die Trauer für deutsche Soldaten, die im Afghanistan-Krieg fallen, immer nur still und fast verschämt vonstattengeht. Und wie passt zusammen, dass Zehntausende Alte vereinsamt und unbeachtet ihrem Tod entgegendämmern, während das Schicksal des krebskranken Christoph Schlingensief in der »Bild«-Zeitung verhandelt wird? Werden Journalisten und Schriftsteller wie Jürgen Leinemann vom SPIEGEL oder Walter Kempowski öffentlich Protokoll über ihr eigenes Sterben führen?

Wer den Stand der letzten Dinge erkundet, lernt schnell, dass sich in diesen Jahren ein sichergeglaubter Baustein des Alltagslebens zersetzt. Die längste Zeit, bis in die neunziger Jahre hinein, schnitten der Staat und die Kirchen die Schablonen für den Umgang mit den Toten.

Es mag immer regionale Unterschiede gegeben haben, die Katholiken im Süden und Westen ließen Särge in die Erde, die Protestanten im Norden und Osten füllten Urnen mit Totenasche, aber noch das ganze 20. Jahrhundert lang stand völlig außer Frage, dass ein Toter auf einem Friedhof zu beerdigen sei, mit geistlichem Beistand womöglich, und dass an ihn namentlich und öffentlich erinnert werden müsse.

Diese Gewissheiten vergehen oder sind schon dahin. Vielerorts, vor allem im Norden und Osten, wird heute mehr als die Hälfte der Verstorbenen anonym, ohne Grabstein, ohne Gedenkplatte, ohne sichtbares Zeichen beerdigt. Es ist eine stille Revolution, eine seltsam radikale Absage an althergebrachte Bräuche, eine schwer zu erklärende Abkehr von der Selbstverständlichkeit, dass einem Toten die letzten Ehren zu erweisen seien.

Keine Instanz mehr, staatlich oder kirchlich, deren Vorschriften oder nur Vorschläge noch eifrig befolgt würden. Die individuellen Wünsche regieren, wo einst starre Vorgaben alles im Detail bestimmten. Der kulturelle Bruch gibt dem Einzelnen Freiheit zurück, die verloren war, er ermächtigt Familien zum je eigenen Trauerritual, er erlöst die Friedhöfe aus der monotonen Steinwüstenei der Vergangenheit, aber er bringt auch eine große, alte Kultur ins Trudeln, ein seit der Antike gesponnener Faden wird dünn, und ganz handfest sind Gewerke bedroht, die selbstverständlich zum Alltag gehörten.

Um die 30 000 deutschen Friedhöfe herum, die zum Großteil längst chronisch unterbelegt sind und deren Kosten kommunale und kirchliche Haushalte verderben, mangelt es einem Heer von Steinmetzen und Gärtnern, Sargausstattern, Musikern und Hilfsarbeitern aller Art an Arbeit. Der Wettbewerb der Bestattungsunternehmen um die jährlich 840 000 Sterbefälle im Land wird teils schon mit schmutzigen Tricks geführt. Es geht um einen Milliardenmarkt, um Arbeitsplätze auch, um Steuereinnahmen, und folglich erscheinen sogar Sonderhefte der »Stiftung Warentest« zum Thema: Bestattung.

Deutschland ist ein sonderbares Land. Im fränkischen Münnerstadt gibt es den weltweit einzigen »Lehrfriedhof« für angehende »Bestattungsfachkräfte«, in Kassel ein Museum für Tod, Sterben, Bestatten und Trauern, kurz: »Sepulkralkultur«. In Hamburg-Ohlsdorf ist der größte und mustergültigste Parkfriedhof der Welt zu bewundern, in Nürnberg ein deutscher »Leitfriedhof«.

Dort hängen grüne Merktafeln aus, auf denen steht, wie Gräber zu bepflanzen sind, wie viel Prozent »Bodendecker« auf Reihengräbern angemessen und wie viel Prozent »Wechselbepflanzung« auf Wahlgräbern anzustreben sind. Es ist genau dieses Denken, diese amtlich verordnete Kultur, gegen die Fritz Roth vor 25 Jahren seinen Kreuzzug begann. Heute betreibt er den ersten und bislang einzigen privaten Friedhof Deutschlands. Und ein Besuch dort lohnt sich.

In Bergisch-Gladbach geht es einen der steilen Hügel hinauf, linker Hand stehen Steinskulpturen im Wald, Holzpfähle, Objekte, droben empfängt Fritz Roth in einem Haus, das er sein »Landhotel der Seele« nennt. Er könnte ein Bischof sein oder ein generöser Gastwirt, im runden Gesicht sitzen warme Augen hinter einer randlosen Brille. Roth kann über Tod und Trauer reden fast wie ein Verliebter. Im Wesentlichen ist er überzeugt davon, dass wir Deutsche »sepulkrale Analphabeten« geworden sind, dass wir uns entfremdet haben von den wichtigen Dingen, er sagt: »Ich will, dass wir den Tod wieder begreifen, und das muss auch für die Leute da unten bei Lidl und Aldi gelten.«

Er erzählt die Geschichte vom Tod des eigenen Vaters, der in der Wohnstube aufgebahrt wurde, damit alle Abschied nehmen konnten, wie es sich damals noch gehörte. In jene stille Zeit fiel der Tag des wöchentlichen Frühschoppens des Alten, und der Sohn lud die Stammtischbrüder ein zu Bier und Korn am offenen Sarg. Sie zierten sich erst, makaber berührt wohl, aber dann ergaben sich wunderbare, wertvolle Stunden. Die alten Männer, harte Kriegsveteranen, weinten gemeinsam, erzählten sich Geschichten, sie öffneten sich für die Trauer, und Roth sagt, dieser Tag »war die Sternstunde meines Lebens«.

Den Tod begreifen, Roth versteht es seither wörtlich. Er macht sich stark dafür, dass Angehörige ihre Toten nicht einfach »vom Krankenhaus direkt auf den Friedhof abtransportieren lassen«. Er wirbt dafür, dass sie sich der Toten annehmen, dass sie sich den Tod »nicht stehlen« lassen, dass sie ihn »persönlich nehmen«. Bei ihm können und sollen die Leute den Leichnam eigenhändig in die Grube versenken, bei ihm können sie die Schrauben am Sarg selbst zudrehen. Roth sagt: »Trauer ist Liebe.« Und er fragt die Hinterbliebenen: »Kannst du dir vorstellen, deiner Mutter, die dich jahrelang jeden Tag für den Kindergarten angezogen hat, selber das Totenhemd anzuziehen?«

Es kommt eine Besuchergruppe in Bussen auf Roths Hügel an, Hospiz-Leute aus Wermelskirchen und Datteln, sie werden sich den Nachmittag über an seinen Thesen wärmen. In den 16 Tagen vor der Begegnung hat Roth jeden Tag Vorträge gehalten über sein Lebensthema, er ist als Gesprächspartner und Redner in der Szene im ganzen Land berühmt, er spricht zu Friedhofsverwaltern, Steinmetzen, Bürgermeistern, Landtagen, Unternehmensverbänden, Kirchenleuten. Er sagt ihnen, was fehlt in unserer Welt, wenn es ans Sterben und Trauern geht: Wärme, Seelsorge, Spiritualität, »Herzenssprache«.

Roths Privatfriedhof, nicht kirchlich, nicht städtisch, sieht aus wie ein kleiner, hügeliger Stadtwald, man könnte Ruheforst dazu sagen oder Friedwald, wenn beide Begriffe nicht längst geschützte Markennamen wären. Die Anlage heißt deshalb »Gärten der Bestattung«, ein verschlungener Weg führt hindurch, gesäumt von »Kraftplätzen«, wie Roth sagt, Kunstinstallationen, zu jeder hat er eine kleine, sinnige Geschichte.

Seit 2006 wird hier beerdigt, auch samstags und sonntags, »damit die Angehörigen anreisen können«, und die Anlage ist offen für Trauernde bei Tag und bei Nacht. Eine Beisetzung bei Roth kostet 3500 Euro plus 1000 Euro für 15 Jahre Grabnutzung, damit liegt er irgendwo im deutschen Durchschnitt. Die Gräber liegen verstreut links und rechts im Moos, unter Bäumen, weit ab vom Weg oder nahe daran, mit einem Stein darauf, einem Kreuz, einem Schild, einem Spielzeug, einem Bild. Erlaubt ist alles, gewagt wird wenig, nur anonym geht nicht bei Roth. Er hält fest daran, dass Tod und Trauer einen Ort brauchen, »und dass jeder Mensch ein Markenartikel mit einem eigenen Wert und einem eigenen Namen ist, auch über den Tod hinaus«.

Nach ein paar Stunden Gespräch in Bergisch-Gladbach bleibt das Gefühl zurück, dass in Deutschland viel zu wenig über Tod und Trauer nachgedacht wird. An der Straße unten, auf Höhe von Aldi und Lidl, klingt Roths Satz nach über die Leute, »die immer All-inclusive-Urlaub machen und am liebsten auch die Omi all inclusive entsorgen wollen«.

Solche Angebote gibt es längst. Man kann sie im Internet finden unter der-billigbestatter.de oder vornehmer unter volksbestattung.de, dort gibt es Komplettangebote für 800 Euro, »einfache Bestattungen« ab 599 Euro, gefolgt vom Sternchenverweis aufs Kleingedruckte: »Zuzüglich öffentlicher Gebühren und Kosten für Friedhof, Grab, Beisetzung, Sterbeurkunden, Kühlungskosten und ggf. Krematorium«.

Es ist ein hartes Geschäft. Eine Feuerbestattung in Deutschland kostet je nach Ausstattung 2000 bis 12 000 Euro, allein die Friedhofsgebühren können schwanken zwischen 1000 und 3000 Euro, und der Bestatter nimmt 690 Euro für den anonymen »Abtrag« oder 3000 für das volle Programm inklusive Schmucksarg für die Kremation. Alle müssen heute sehen, wo sie bleiben, auch die Großen.

Grieneisen, der älteste deutsche Bestattungsbetrieb, 1830 gegründet, heißt heute Ahorn-Grieneisen und gehört zum Versicherungskonzern ideal. Es gibt 220 Filialen im Land, allein 36 in Berlin und Potsdam, die Firmenzentrale liegt in einer unbehausten Charlottenburger Gegend an der Berliner Stadtautobahn direkt gegenüber dem Westend-Krankenhaus.

In der Nachbarschaft haben auch Konkurrenten die Nähe zum Klinikum gesucht, fast jeder zweite Deutsche stirbt heutzutage in einem Krankenhaus. Hier in Charlottenburg wirbt der »Westend-Discount« mit grünen Klebebuchstaben im Schaufenster für Feuerbestattungen zu 839 Euro, im Fenster von »Berolina-Bestattungen« wird für die Webseite sarg-discount.de geworben, und dort für die »exklusive Tiefstpreisgarantie« bei gleichzeitigem »Topservice«.

»Die Geiz-ist-geil-Mentalität«, sagt Brigitte Schramm, sie ist die Sprecherin von Ahorn-Grieneisen, eine dunkle Frau, die man sich lachend nur schwer vorstellen kann, »hat sich leider auch im Bestattungsbereich durchgesetzt.« Diesen Satz wird sie eine Stunde lang in immer anderer Variation wiederholen.

»Es gibt Menschen«, sagt sie, »denen ist die Großmutter gestorben, die kommen zu uns und fragen: Muss es denn ein Sarg sein? Reicht nicht 'ne blaue Tüte?« Sie zieht die Mundwinkel noch weiter nach unten. Der Niedergang der Kultur habe mit der Abschaffung des gesetzlichen Sterbegelds begonnen. Bis 1989 zahlten die Krankenkassen 4200 Mark im Sterbefall, danach wurde die Summe dreimal halbiert, und 2004 wurde die Zahlung endlich ganz abgeschafft. »Seitdem«, sagt Frau Schramm, »geht die Kultur durch den Geldbeutel.«

Das hat zur Folge, sagt sie, »dass den Leuten heute die Reise nach Mallorca für 320 Euro wichtiger ist, als bei der Bestattung ein bisschen draufzulegen.« Musik, die Zeitungsanzeige, der Blumenschmuck, fällt alles weg, es ist ein großer Schwanengesang. Eine Tagung des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur hieß Ende 2007: »Verarmt, verscharrt, vergessen«. Aber ganz so schlimm ist es noch nicht.

Die Fixierung auf die Kosten und die Klage über den Kulturverfall mag Bestattern, Steinmetzen und Gärtnern naheliegen. Ob wirklich ein Niedergang anzuzeigen ist, der alles allein erklärte, steht dahin. Die Friedhöfe sind immer Freiluftmuseen der sich wandelnden Epochen gewesen, und es wäre absurd zu meinen, die romantischen alten Totenstädte mit ihren Mausoleen und Engeln, den mannsgroßen Christusfiguren und kunstvollen Kreuzen bildeten eine gute alte Zeit ab.

Sie sind gewiss ein Stück ziviler Hochkultur, aber sie spiegeln auch eine versunkene Klassengesellschaft, die die längste Zeit niemand ernsthaft zurückhaben wollte. Stellt sie sich jetzt, in der Krise, doch wieder ein? Sollen auch die Gräber wieder zeigen, dass hier kein Hartz-IV-Empfänger ruht, sondern ein erfolgreicher Arzt? Ein bedeutender Kaufmann?

Wer in Berlin über die großen alten Kirchhöfe am Südstern geht, kann die Vergangenheit begehen, kann die großen Anlagen der Kaufleute und preußischen Größen bewundern, die Grabmale von Konteradmiralen, königlichen Hoflieferanten und kaiserlichen geheimen Bankräten. Sie stehen symbolisch für eine Zeit, in der Menschenleben als mehr oder minder wertvoll galten, in der Bankiers ihrem Rang gemäß große Grabstätten in der ersten Reihe unterhielten und arme Schlucker ganz hinten irgendwo verschwanden, mit dem billigsten Holzkreuz über sich.

Wer herumgeht auf dem Luisenstädtischen, dem Friedrichswerderschen Friedhof und dem Gebeinplatz der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde, kann die Entwicklungen im 20. Jahrhundert leicht studieren. In den zwanziger Jahren schon verebbt die marmorne Herrlichkeit, und die in den dreißiger Jahren Gestorbenen und deren Familien zogen schon bescheidenere, modernere Gräber vor. Nach dem Krieg ging die »Miniaturisierung« weiter, das Reihengrab mit genormtem Gedenkstein wurde in ganz Deutschland zur Regel, es entstanden allerorten die monoton gerasterten Flächen, die nun keiner mehr haben will, die aber einst für eine vernünftige Demokratisierung standen.

Bald wurden die Urnen nicht mehr unbedingt in der Erde bestattet, sondern in Kolumbarien, Urnenwänden, die auf den Friedhöfen am Berliner Südstern stehen wie kleine Ausgaben der Sozialbauten, in denen die Toten zu Lebzeiten gewohnt haben mögen. Der Alltag der Lebenden findet sich jedenfalls in den Formen des Totengedenkens wieder, die Friedhöfe folgen dem, was außerhalb ihrer Mauern stattfindet, und in dem Maße, in dem im Westen Deutschlands der Wohlstand einzog und die sozialen Unterschiede schrumpften, glichen sich auch die Grabmale einander an. Die Friedhofssatzungen schrieben eine Art sozialdemokratisches Nebeneinander der Toten fest, das war im Osten nicht viel anders, Gleichförmigkeit zog ein, die sich nun wieder auflöst.

Und sie löst sich auf. Überall im Land werden die Friedhöfe räudig, wo einst dicht an dicht die Toten lagen, klaffen jetzt weite Lücken überall, Grabsteine stehen vereinzelt in der Gegend herum, umgeben von leidlich gepflegten Grünflächen. Geschickte Verwalter wie in Karlsruhe oder Nürnberg richten es so ein, dass der Platzüberhang umgewidmet wird zu halb oder ganz anonymen Gemeinschaftsgrabstätten, »Friedparks« entstehen innerhalb der Friedhofsmauern überall, auch in Bonn, in Bielefeld, in Leipzig, in München, in Aachen, in Cottbus, aber ohne Antwort bleibt bislang die Frage, wie in Zukunft immer weniger Menschen, die noch auf althergebrachte Weise bestatten wollen, die immer wüsteren Friedhöfe finanzieren sollen.

Wird es bald, wie in vielen Nachbarländern Deutschlands, keinen »Friedhofszwang« mehr geben? Und verfallen dann all die Anlagen, 30 000 große und kleine, die zum deutschen Stadtbild seit dem Mittelalter gehören und die ja auch Museen der Zeitgeschichte sind, Orte der Ruhe, kleine Biotope? Stehen, während sich wenige noch mit Pomp bestatten lassen, die Urnen der vielen bald nur noch auf dem Fensterbrett? Oder werden im eigenen Garten vergraben? Oder wird nur die Asche verstreut, irgendwo, irgendwie?

In Kassel müssen Antworten auf solche Fragen zu finden sein. Dort, im nahen Reinhardswald, eröffnete vor acht Jahren der erste deutsche »Friedwald«, und hoch droben in der Stadt steht seit 1992 das »Museum für Sepulkralkultur«, ein Gebäude mit schöner Aussicht, halb Altbau, halb Beton, gefüllt mit allem, was zum Beerdigen einst und jetzt gehörte. Figürliche Totentänze sind zu bewundern und bunte Särge in verrückten Tierformen aus Ghana, verstörende Kunstwerke über die Trauer und erschütternde Zeugnisse vom Sterben in früherer Zeit. Der Besuch fällt, zufällig, auf einen ungünstigen Tag.

Am Vorabend hat ein FDP-Mann, im Fernsehen nach Einsparmöglichkeiten im Staatshaushalt befragt, schließlich geantwortet, man könne ja überlegen, ob man sich in Deutschland ein »Friedhofsmuseum« leisten müsse. Damit war Kassel gemeint, es war ein gezielter Schlag. Und der Museumsdirektor, Reiner Sörries, ein Mann mit Professor- und Doktortitel, Theologe, Kunstgeschichtler, evangelischer Pfarrer auch, rauchte noch ein paar Zigaretten mehr, als ihm ohnehin guttun.

Sörries ist ein milder Mensch mit Vollbart, er hat gerade ein dickes Buch mit Namen »Ruhe sanft« veröffentlicht, es geht um die Kulturgeschichte des Friedhofs und ist trotzdem spannende Lektüre. Sörries kennt sich aus, und er ist keiner, der pauschal über einen Kulturverfall wettern würde. Er schaut sich die Sachen im Einzelnen an und zieht danach seine Schlüsse.

»Eine Privatisierung der Trauer«, sagt er, »darf es nicht geben.« Für ihn sei es undenkbar, dass sich Hinterbliebene die Toten so aneigneten, dass sie ganz von der Bildfläche verschwinden. »Wer soll denn die Urne des Vaters bekommen, wenn eine Familie zerstritten ist?«, fragt er. »Und was ist mit dem Diamanten? Ist das überhaupt eine Bestattung? Ein Abschied? Oder bleibt der Tote damit nicht für immer und ewig?«

Trauer verwandle sich von Abschieds- in »Bleiberituale«, sagt Sörries, bis hin zu einer regelrechten Vergötzung der endlosen Traurigkeit. Eltern stellten Leichenbilder ihrer gestorbenen Babys im Internet zur Schau, um ihr Leid mit aller Welt zu teilen, anklickbar bis in alle Ewigkeit, »aber das finde ich pornografisch«.

Und all die neuen Formen der »alternativen Beisetzung«, das Verstreuen der Asche aus Ballons, unter Bäume, in Bergbäche, sie hantierten mit schönen Bildern, die genauerem Nachdenken nicht standhielten. »Natürlich klingt es gut, über Wäldern dem Wind übergeben zu werden«, sagt Sörries. »Aber wenn die Asche drunten auf einer Straße landet? Und hinterher fahren die Autos drüber?« Er steckt sich eine neue Zigarette an.

Sörries' Büro ist eine Kleinstadt aus Papiertürmen, Büchern, Broschüren, es wird viel geschrieben zu seinem Forschungsfeld, immer mehr eigentlich, und alles muss er irgendwie zur Kenntnis nehmen. Der Tod ist ein großes Thema geworden, das Sterben, die Sterbehilfe oder wenn es um Organspenden geht oder um die Patientenverfügung oder darum, wann ein Mensch wirklich lebt und ab welchem Zeitpunkt er wirklich für tot zu gelten hat.

Die Hospiz-Bewegung, die in den achtziger Jahren aus England herüberkam und danach die halbe Welt eroberte, hat den Blick auf die letzten Dinge stark verändert. Sie rückte das Sterben und die Würde des Sterbenden in den Vordergrund, weniger den Tod und die Toten, dieser Prozess hat kaum 20 Jahre gedauert.

Er brachte eine Hinwendung zur letzten Phase des Lebens, die auch möglich wurde, weil im Sterben nicht mehr die Verheißung auf ein überirdisches Paradies lag. Der Tod war und ist nicht mehr Hoffnung, wie in vielen Jahrhunderten zuvor, sondern einfach: das biologische Aus. Die Frage lautet heute: Wer waren wir, im Leben? Und nicht mehr: Wo gehen wir hin?

So entstehen »Clanfriedhöfe«, wie Reiner Sörries das nennt, die Grabfelder gegliedert nach Konfessionen, nach Weltanschauungen, nach Ersatzreligionen, sexueller Orientierung, Geschlecht, Clubmitgliedschaft, Zugehörigkeiten zu Lebzeiten. Und hinter diesen immer noch eher seltenen Blüten versteckt sich das eigentliche Problem der Zeit, das der Individualisierung wiederum Hohn spricht: Das eigentliche Problem sind die vielen Menschen, die sterben, ohne dass überhaupt irgendwer um sie trauert. Alte, Alleinstehende, Kinderlose, sie finden sich am Ende ohne jede Begleitung wieder, und weit und breit niemand, der ihr Andenken bewahren wollte. Tote ohne Trauer.

Es könnte die Stunde der Kirchen sein, sich der Einsamen anzunehmen, die große Verwirrung zu beruhigen und irgendwie schlüssige Angebote zu machen, aber nichts dergleichen geschieht, obwohl noch immer zwei Drittel der Deutschen Kirchenmitglieder sind und sich die Hälfte aller Friedhöfe in kirchlichem Besitz befindet.

Das Netz der Gemeinden ist aber längst so ausgedünnt, dass die Pfarrer ihre Schäflein kaum mehr persönlich kennen. Sie finden sich, bei Sterbefällen, in der Situation von Trauerrednern wieder, die sich von den Angehörigen erzählen lassen müssen, wie der Verstorbene so war, was er mochte, wovon er träumte. Nur haben sie obendrein weniger Zeit als die weltlichen Kollegen, weil sie in ihren immer größeren Revieren zwischen Taufen und Trauerfeiern und Hochzeiten hin- und herhetzen.

Entsprechend lieblos und beliebig geraten kirchliche Trauerfeiern oft. Und die Bischofskonferenzen und EKD-Räte können noch so viele Leitlinien zum Thema verabschieden, sie verfügen gar nicht mehr über ausreichend Mitarbeiter, sie ins Leben zu übersetzen.

Am Ende bleiben ihnen nur die großen symbolischen Leichenfeiern, zelebriert von ihren Granden in vollem Ornat, wenn es gilt, Tsunami-Tote, Nationaltorhüter, Amokopfer auszusegnen. Den großen Rest erledigen die weltlichen Bestatter, Dienstleister mit immer mehr Aufgaben, die heute nicht mehr Totengräber, sondern Trauerbegleiter sind.

Man kann sich zu diesem Zweck neuerdings zur geprüften Bestattungsfachkraft ausbilden lassen und sogar seinen Meister machen. Die zugehörige Schule findet sich in Münnerstadt, zwischen Würzburg und Suhl in Unterfranken gelegen, dort gibt es auch eine Kirche mit Riemenschneider-Altar, aber vor allem das Bundesausbildungszentrum der Bestatter, kurz BAZ, mit eigener Übungskapelle und Lehrfriedhof.

Das Schulungszentrum ist ein Bau wie ein Landratsamt, viel Stahl und Glas und am Boden feuerpolizeilich geprüfte Auslegeware, es empfängt Rosina Eckert, sie hat einst beim Standesamt im hiesigen Rathaus gearbeitet, jetzt ist das BAZ ihre Passion. Als sie das Angebot zum Wechsel erhielt damals, sagte sie sich: »Da steig ich noch mal voll ein.« Sie führt über die Flure, die Türen gehen zu Werkräumen, in denen Sargmuster stehen so groß wie Umzugskisten und in allen Holzqualitäten von Kiefer bis Mahagoni. Es gibt eine Übungskapelle, in der Dekoration, Blumenschmuck und Musik gelehrt werden, es gibt Hygieneräume, »aber da können wir gerade nicht hinein«, sagt Frau Eckert. Es liegen gerade Leichen darin, auch das Ankleiden der Toten steht auf dem Lehrplan.

427 Abgänger hat die erst 2005 gegründete Schule schon ins Leben entlassen, im Augenblick kommen 473 Lehrlinge zur fünfwöchigen Blockbeschulung nach Münnerstadt, alles angehende Bestatter. Schwerpunkte im dritten Ausbildungsjahr sind »Trauerpsychologie und Beratungsgespräch«, im zweiten Jahr geht es um die hygienische Versorgung der Toten, darum, wie man kleinere Wunden verschießt oder Herzschrittmacher entnimmt, im ersten Jahr geht es um Warenkunde, Särge, Beschläge, um das Verlöten eines Zinksargs für die Auslandsüberführung und um die Praxis: ums Gräberausheben.

Dafür ziehen die Schüler auf den Lehrfriedhof um, es gibt ihn schon seit 1994, er liegt zehn Minuten zu Fuß durch das Städtchen, an der Riemenschneider-Kirche vorbei, ein schmales Gelände direkt am wirklichen Münnerstädter Friedhof, durch eine Hecke abgetrennt. Die Anlage sieht nicht viel anders aus als ein normales Gräberfeld, nur dass viele Stellen frisch und viele Grabsteine unbeschriftet sind.

Peter Sandleitner ist einer der Übungsleiter hier, ein Allgäuer mit breiten Händen in Fleece-Pullover und Ski-Anorak, seine Familie macht Bestattungen schon seit fünf Generationen, er sagt, die jungen Leute staunen nicht schlecht, »wenn sie mal fünf Stunden an der frischen Luft arbeiten müssen mit der Schaufel in der Hand«. Sie müssen nicht ganze Gräber ausheben, das wären vier Kubikmeter Erde, acht Tonnen schwer, sie gehen nur einen halben Meter tief, aber das reicht, um das ordnungsgemäße Verschalen und Abstützen zu üben, sagt Sandleitner, denn »es darf ja auf keinen Fall passieren, dass so eine Grube womöglich wegrutscht und die Trauergemeinde hinterher«.

Juliane Seidel ist in der Ausbildung hier, sie ist 20, stammt aus Görlitz, »aus einer Motorradfahrer-Familie«, und beschreibt sich selbst als den »eher flippigen Typ«. Mit einem Bürojob hätte sie deshalb nichts anfangen können, sagt sie, sie will mit anderen Menschen zu tun haben und nicht jeden Tag dasselbe machen, deshalb sei das Bestattungsgeschäft »ihr Traumberuf«.

Die Eltern waren anfangs nicht begeistert, in ihren Köpfen spukten noch die alten Vorurteile gegen Leichenfledderer und Totengräber, gegen Leute, die Geld am Leid anderer Leute verdienen. Aber das sei von gestern, findet Juliane Seidel. Heute gehe es darum, »anderen zu helfen und dabei alles richtig zu machen, und darauf kann man hinterher stolz sein. Weil die Bestattung, und auch die Grabpflege hinterher, das ist ein Ehrendienst«.

Ein Ehrendienst. Im ARD-»Morgenmagazin« tourt eine Reporterin die ganze Woche über zu Krematorien und Friedhöfen, zu Bestattern, es ist die Woche, in der sich Robert Enke vor den Zug wirft. Die Beiträge zum »Novemberthema« werden anmoderiert wie zu erwarten: dass der Tod zum Leben gehöre, dass aber die Frage sei, ob wir das eigentlich noch wissen. Ob wir genug darüber nachdenken, ob wir ausreichend vorbereitet sind, solche Sachen.

Die Moderatoren im Studio legen Pietät in die Stimme, die Reporterin sagt: »Ich habe hier einen Herrn von der Friedhofsverwaltung«, ihm stellt sie Fragen. »Braucht der Mensch einen Ort der Trauer?« Der Mann im Fernseher sagt: »Ja, das steckt im Menschen drin.«

Aber in Wahrheit weiß heute niemand mehr so ganz genau, was drinsteckt im Menschen und was nicht, die Regeln schwinden, die Gesetze vergehen. In Hamburg-Ohlsdorf, der größten Totenstadt mit 250 000 Gräbern, ist jüngst ein neues Privatmausoleum eingeweiht worden, das 150 000 Euro gekostet hat, aber nicht weit davon lagern im anonymen Feld am alten Prachtgrabmal des Petroleumkönigs Riedemann schon 15 000 namenlose Urnen.

Dazwischen alles Denkbare in Ohlsdorf: die Bestattung im Rosen- oder Schmetterlingsgarten, im Ruhewald, im Garten der Frauen, im Aids-Gemeinschaftsgrab, im Rasengrab, unter Bäumen, Hecken, umgewidmeten Grabsteinen, in Kapellen, die zu Urnenkirchen wurden, gut sichtbar am Weg oder versteckt im Wald.

Es ist, als trennte sich im Tode wieder, was auch im Leben nicht richtig zusammengehört hat, Arm oder Reich, Alt oder Jung, geliebt oder ungeliebt, schmerzlich vermisst oder schmählich vergessen. Vielleicht ist es das, vielleicht ist das schon die ganze Erklärung, dass auch die letzten Ruhestätten jetzt zu den Häusern unseres Lebens passen sollen. Dass wir so beerdigt werden wollen, ungefähr, wie wir gelebt haben. Und dass wir diesen letzten Willen, nach langen Zeiten der Bevormundung, wiederhaben dürfen ganz am Ende.

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