SPIEGEL: Frau Friedan, mit Ihrem Buch »Der Weiblichkeitswahn« haben Sie vor 30 Jahren das dröge Dasein der Vorort-Hausfrau enthüllt, die ihr Leben als Puddingköchin und Windelwechslerin verschwendet. Sie haben eine ganze Frauengeneration aufgerüttelt. Jetzt, mit 73, haben Sie ein neues kämpferisches Ziel: Sie wollen die Alten auf Trab bringen und von Altersfrust und Jugendwahn befreien.
Friedan: Sie schauen so zweifelnd drein. Ich weiß, was Sie denken: wie langweilig, das Alter, igitt. Das kann ich gut verstehen. Das Alter hat mich früher auch nie interessiert. Als ich 60 wurde, gaben meine Freunde für mich eine Überraschungsparty. Ich hätte sie umbringen können.
SPIEGEL: Heute schreiben Sie von den Freuden des Alters.
Friedan: Ich habe das Altwerden lange verdrängt wie jeder andere. Ich hatte die Wechseljahre hinter mir - na und? Für meine Bücher in den sechziger und siebziger Jahren habe ich mit unzähligen Frauen gesprochen: Frauen, die es geschafft hatten, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Und die sagten zu mir: Wechseljahre? Die hatte ich nie!
SPIEGEL: Biologische Wunderwesen?
Friedan: Das dachte ich auch erst. Natürlich hatten die ihr Klimakterium, aber für sie war das einfach nichts Besonderes. Und das zu einer Zeit, da es geradezu erwartet wurde, daß eine Frau psychisch zusammenklappt, wenn mit der Menopause das »Leben als Frau« vorbei ist.
SPIEGEL: Und Sie selbst? Keine Hitzewallungen? Keine Depressionen?
Friedan: Nein, keine Ahnung - oder vielleicht doch: Da war mal was, am 26. August 1970. Wir organisierten den Frauenstreik für Gleichberechtigung, einen Marsch auf der 5th Avenue, und wir hatten unsere Streikzentrale in einem Loft ohne Klimaanlage. Mir lief der Schweiß runter, ich war klitschnaß, ich habe eine ganze Großpackung Papiertücher verbraucht. Aber erst viel später, als viele Feministinnen älter wurden und mit diesem neuen, alten Theater um die Menopause anfingen, dachte ich: Vielleicht war sie das ja, die Hitzewallung?
SPIEGEL: Frauen, behaupten Sie in Ihrem neuesten Buch »The Fountain of Age«, deutscher Titel »Mythos Alter«, kommen mit dem Alter besser zurecht als Männer**.
Friedan: Stimmt. Wenn einem Mann die Ehefrau wegstirbt, dann stirbt er sehr oft innerhalb der nächsten zwei Jahre hinterher. Wenn einer Frau der Ehemann stirbt, dann trauert sie vielleicht, vielleicht auch nicht; aber die Wahrscheinlichkeit, daß sie stirbt, ist nicht größer als vorher. Vielleicht lebt sie sogar auf.
SPIEGEL: Im Klartext: Frauen sind härter im Nehmen.
Friedan: Das hat etwas mit ihrem Leben zu tun. Sie sind es gewohnt, auf Veränderungen schnell zu reagieren. Bei Männern geht doch alles ziemlich geradeaus: Ausbildung, Aufstieg, Karriere - und Schluß. Frauen haben schon immer mehr Verantwortung. Was wird aus den Kindern? Ist diese Ehe noch zu retten? Was machen wir mit den alten Eltern?
SPIEGEL: So locker, wie Sie sagen, ist das Altwerden für Frauen nun auch wieder nicht. Der Streß geht doch schon los, wenn die ersten Falten kommen.
Friedan: Ja, ja, ich weiß, das sagen alle: Ach, die armen Frauen! Es ist Mode zu jammern: Ein Mann gilt immer noch als sexy, wenn er 65 ist, besonders wenn er eine Million Dollar hat.
SPIEGEL: So ist es doch. Das New York Magazine hat gerade Paul Newman auf ** Betty Friedan: »The Fountain of Age«. Simon & _(Schuster, New York; 672 Seiten; 15 ) _(Dollar. Die deutsche Übersetzung ) _(erscheint im Herbst im Rowohlt Verlag. * ) _(Mit Redakteurinnen Barbara Supp und ) _(Susanne Weingarten. ) dem Titelblatt zum 70jährigen mit dem größten Sex-Appeal erklärt.
Friedan: Die hätten auch Lauren Bacall nehmen können.
SPIEGEL: Haben sie aber nicht.
Friedan: Das ist doch einfach altmodisch, diese Idee, daß Männer mit 70 noch sexy sind und Frauen maximal mit 40.
SPIEGEL: Wenn eine Frau 50 ist, schreibt die britische Feministin Germaine Greer, dann wird sie »unsichtbar«. Nicht existent. Keiner nimmt sie mehr wahr, vor allem kein Mann.
Friedan: Das ist doch Unsinn. Soll man denn in Sack und Asche herumlaufen, wenn man in die Wechseljahre kommt? Wollen Sie das? Rumlaufen und jammern, ach, ich Arme, ach, ich Vettel, ach, ich alte Hexe?
SPIEGEL: Die Diktatur des Schönheitswahns ist gnadenlos: Die Frau, die attraktiv sein will, muß jung und schlank sein.
Friedan: Klar, ich kenne diese Calvin-Klein-Anzeigen mit Kate Moss, diese Models in den superengen Kleidern, dieses fast schon präpubertäre Schönheitsideal. Ich weiß, was da für Images transportiert werden. Diese Werbebilder mit magersüchtigen Mädchen, die wie Kinder aussehen, wie inszenierte Einladungen zur Pädophilie. Aber trotz allem: Die 40-, 50-, 60jährigen von heute haben keine Lust mehr, Sklavinnen der Mode zu sein.
SPIEGEL: Sind das nicht bloß Wunschträume? Fakt ist: Besonders in Amerika wird unter Schmerzen gegen das Altern gekämpft. Da wird geliftet, was das Skalpell hält, und um das Alter zu verleugnen und zu verdrängen, läßt sich beinahe alles verkaufen.
Friedan: Natürlich existiert der absurde Fetisch Jugend noch. Viele Leute fahnden wie manisch nach diesem sagenhaften Jungbrunnen, in den man hineinspringt und seine Jugend zurückbekommt. Aber das ändert sich. Männer und Frauen haben heute ein Drittel Lebenszeit mehr als am Anfang des Jahrhunderts. Die Leute fangen an zu lernen, das Alter nicht mehr zu verleugnen, sondern es zu akzeptieren. Nicht als eine Zeit, in der man dahinwelkt, wo es nur noch abwärtsgeht, sondern als eine Zeit mit neuen Chancen. Das geht, wenn man es probiert. Das zeigen auch meine Studien. Das ist, ob Sie es glauben oder nicht, die Realität.
SPIEGEL: Die Realität ist, daß ein 70jähriger leicht eine jüngere Partnerin findet. Für eine 70jährige gilt das nicht.
Friedan: Machen wir uns nichts vor: Eigentlich haben Männer es schlechter. Sie sterben früher, und wenn sie tot sind, dann nützen sie niemandem was. Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen und dachte an all die Männer, die ich kannte, die in den letzten paar Jahren gestorben sind. Zehn waren es. Diejenigen, die überleben . . .
SPIEGEL: . . . schicken oft ihre langjährige Ehefrau in die Wüste . . .
Friedan: . . . und suchen sich gern eine 20jährige Kopie ihrer Frau. Und fangen noch mal von vorne an mit Familie und Babys, um sich selbst wieder jung zu fühlen.
SPIEGEL: Eine Frau hat diese Möglichkeit nicht. Soll sie sich damit abfinden? Soll sie sagen: Das war''s dann mit der Liebe? Das war''s dann mit dem Sex?
Friedan: Das würde ich nie sagen. Sex ist wichtig, und außerdem wissen wir heute aus der Forschung, daß Männer und Frauen sexuelle Wesen bleiben können, solange sie leben. Gut, die Männer in unserem Alter sind entweder tot oder verheiratet. Vielleicht muß man ja revolutionäre Gedanken entwickeln, an Tabus gehen: Vielleicht teilen sich mehrere Frauen einen Mann. Oder sie finden doch jüngere Partner. Oder sie tun sich selbst zusammen, als lesbische Beziehung.
SPIEGEL: Wir bleiben dabei: Männer müssen nicht nach neuen Modellen fahnden, sie haben es leichter.
Friedan: Sie täuschen sich. Denken Sie an Alfred Kinsey, der sagte: Der Mann ist mit 17 ungefähr auf seinem Höhepunkt. Stellen Sie sich doch mal den emotionalen Streß vor, den so ein alter Mann mit einer 20jährigen hat. Der Machismo fordert: Du mußt die anderen Typen niedermachen. Das ist gar nicht so einfach mit 60. Du mußt wettbewerbsfähig sein, den Potenznormen genügen, und das ist verflixt schwierig. Selbst wenn er mit einer superjungen Frau im Bett liegt, hat er ganz schön Probleme, die sexuellen Standards zu erfüllen. Und das ist das schmutzige kleine Geheimnis, über das Männer nicht reden.
SPIEGEL: Also ist es doch nicht soweit her mit den Freuden des Alters?
Friedan: Tatsache ist: Man kann viel mehr Spaß am Sex haben.
SPIEGEL: Wie bitte?
Friedan: Ja, aber man braucht weniger davon. Alte Leute haben es nicht dauernd nötig, aber wenn es passiert, dann kann man es mehr genießen. Weil man im Alter mehr und mehr zu sich selbst findet, sich nichts mehr vormacht.
SPIEGEL: Glauben Sie das wirklich?
Friedan: In meinen Interviews habe ich festgestellt, daß sich die Leute im Alter weniger um das kümmern, was die anderen denken. Daß es sehr angenehm sein kann, wenn man das Rattenrennen hinter sich hat und mehr in sich ruht und die Chancen wahrnimmt, ein neues, interessantes Leben zu führen.
SPIEGEL: Sie reden von den paar Glücklichen, die reich und gesund sind.
Friedan: Ich habe das doch nicht erfunden. 95 Prozent der über 65jährigen in den USA leben nicht in Pflegeheimen. Das Bild von den armen kranken Alten basiert auf ein paar Unglücklichen, auf einer Minderheit.
SPIEGEL: Wenn du morgens aufwachst und keine Schmerzen hast, heißt es bei Alten oft zynisch und realistisch, dann bist du tot.
Friedan: Hören Sie mal: Ich bin 73. Ich habe heute nacht nicht geschlafen, aber ich habe soviel Energie wie immer und schlage mich ganz gut in diesem Gespräch.
SPIEGEL: Aber die Welt besteht nicht nur aus Betty Friedans.
Friedan: Die Frauen, die jetzt alt werden, haben 30 Jahre Frauenbewegung hinter sich. Die sagen nicht einfach leise good bye. Warten Sie ab. Die werden diese Gesellschaft weiter prägen.
SPIEGEL: Ihrem Optimismus zum Trotz: Wir haben harte Zeiten, für alte wie für junge Frauen. Die junge Feministin Susan Faludi sieht die Frauen in der Defensive. Sie diagnostiziert einen »Backlash«, einen neuen, verschärften Kampf der Männer um traditionelle Privilegien.
Friedan: Stimmt, diesen Backlash gegen Frauen gibt es tatsächlich. Die konservative Rechte ist wieder auf dem Vormarsch in den USA, und ich gebe zu, daß mir das große Sorgen macht. Das hat viel mit der Rezession zu tun. Die Wirtschaftskrise ist ernst, es gibt Massenentlassungen, die Männer fühlen sich in ihrem Selbstverständnis verunsichert. Plötzlich sind weiße, an Erfolg gewöhnte Männer mit Hochschulabschluß existentiell gefährdet - zum erstenmal seit den dreißiger Jahren.
SPIEGEL: Daher diese neue Verbissenheit?
Friedan: Daher kommt dieser Haß, diese Wut gegen Frauen, weil auf einmal der Lohn der Frauen immer wichtiger wird für die Familie. Die Jobs der Frauen, schlecht bezahlte Teilzeit- und Servicejobs, sind weniger bedroht. Und so sind oft die Frauen die einzigen in der Familie, die noch Arbeit haben.
SPIEGEL: Faludi sieht so etwas wie eine Verschwörung der Männer gegen die Frauen.
Friedan: Da irrt sie sich. Sie hat die politische und die ökonomische Dimension des Ganzen nicht verstanden. Nehmen wir ihre Debatte über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - gut, daß wir endlich klarmachen, daß das nicht geht. Aber das ist nur ein Symptom. Meine Angst ist, daß es bald wieder heißt: Frauen nach Hause. Kinder, Küche, Kirche. Daß das, was wir erkämpft hatten, wieder zunichte wird.
SPIEGEL: Also ein ewiger Krieg zwischen den Geschlechtern?
Friedan: Nein, das nicht. Wir können das nicht gegen die Männer auskämpfen, nur gemeinsam mit ihnen. Wir brauchen Kindergärten, Teilzeitjobs, kürzere Arbeitszeit für Männer und Frauen. Wir sind da ja sehr rückständig in Amerika.
SPIEGEL: Faludi wirft Ihnen einen Schmusekurs mit Männern vor. Ihrer Meinung nach trampeln Sie auf der Bewegung herum, die Sie selbst mit gegründet haben.
Friedan: Wenn hier jemand getrampelt hat, dann war das nicht ich! Ich bin jemand, der sich immer noch mit Stolz als Feministin bezeichnet. Und ich bin stolz auf die Frauenbewegung: Ich finde, daß sie die lebensfreundlichste, die erfreulichste Bewegung in diesem Jahrhundert ist!
SPIEGEL: Eine neue Frauengeneration, die sich »Girlies« nennt, macht sich längst über den Feminismus lustig. Ihre Idole sind Popstars wie Madonna oder Courtney Love; die Women''s Liberation sei Geschichte, heißt es bei ihnen, und: »Ich stehe nicht jeden Morgen auf und danke der Frauenbewegung für alles, was sie mir ermöglicht hat. Ich danke ja auch nicht jeden Tag dem Erfinder des elektrischen Lichts.«
Friedan: Diese Mädels glauben, es sei ja alles erreicht, und sie haben keine Lust mehr, sich rumzuschlagen. Hoffen wir, daß sie sich nicht irren und man sich auf sie verlassen kann, wenn es nötig wird.
SPIEGEL: Feminismus heißt für diese 20jährigen: kein Spaß. Langweilige Baumwollpullover. Schlechte Laune. Kein Sex.
Friedan: Das ist doch völlig daneben. Ohne die Frauenbewegung hätten diese Girlies nicht die Freiheit, die sie jetzt genießen. Nein, ich bestehe auf meiner Definition von Feminismus. Ich habe das Recht, frivol zu sein, ich habe viel übrig für Mode, und niemand diktiert mir: Zieh gefälligst Babydoll-Kleidchen an. Im übrigen, so schlecht steht es nicht um die Frauenbewegung: Es gibt genug Umfragen, die belegen, daß sich die Frauen nach wie vor mit den Zielen - gleicher Lohn, Recht auf Abtreibung, Emanzipation im allgemeinen - identifizieren.
SPIEGEL: Aber nicht mit dem Wort »Feminismus«.
Friedan: Das ist vor allem die Folge von 14 Jahren konservativer Regierungspolitik. Seitdem ist Feminismus ein schmutziges Wort.
SPIEGEL: Sie selbst gelten nach wie vor als »Mutter der Frauenbewegung«, stehen aber schon lange nicht mehr in der ersten Reihe. Ein Liebesentzug . . .
Friedan: . . . keine Sorge, ich bekomme genug Liebe. Wenn Sie mit mir in Amerika die Straße langgehen würden, dann würden Sie schon sehen, wie oft man mich anspricht.
SPIEGEL: Aber am 5. April 1992, beim großen Marsch für das Recht auf Abtreibung, standen Sie nicht auf dem Podium.
Friedan: Das tat weh! Natürlich tat das weh! Hören Sie, ich bin tapfer, wenn es um echte Feinde geht, aber so etwas ist ein häßliches Gefühl. Ich weiß nicht, was der Grund war: politische Spannungen oder ganz einfach Neid?
SPIEGEL: Frauen sind emotionaler, sind sanfter, freundlicher - vor allem zueinander. Sagt das Klischee.
Friedan: Männer und Frauen haben eine verschiedene sexuelle Ausrüstung, okay. Trotzdem muß man sich dessen bewußt sein: Zwischen Männern untereinander und Frauen untereinander gibt es oft größere Unterschiede als zwischen den Geschlechtern. Frauen sind eben nicht grundsätzlich netter zueinander, und in einer Zeit wie dieser bin ich sehr dagegen, die Menschen nach ihrer Biologie auseinanderzudividieren. Heute behaupten wieder Rassisten, sie könnten beweisen, daß Schwarze dümmer seien. Kann gut sein, daß bald jemand daherkommt und dasselbe über Frauen sagt. Und wenn es soweit ist, dann hoffe ich, daß auch die Girlies merken, daß der Spaß vorbei ist. Ich jedenfalls bin nicht zu alt zum Kämpfen.
SPIEGEL: Frau Friedan, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Y
** Betty Friedan: »The Fountain of Age«. Simon & Schuster, New York;672 Seiten; 15 Dollar. Die deutsche Übersetzung erscheint im Herbstim Rowohlt Verlag. * Mit Redakteurinnen Barbara Supp und SusanneWeingarten.