Daschner-Prozess Polizeichef wollte als Einziger Folter androhen
Frankfurt am Main - Der Psychologe habe den Kidnapper Magnus Gäfgen für nicht empfänglich für solche Drohungen gehalten, sagte der Chef der Sonderkommission als Zeuge vor dem Frankfurter Landgericht. Auch Daschners Führungsstab sei dagegen gewesen, dem Entführer des kleinen Jakob mit Folter zu drohen, sagte der damalige Polizeiführer und Kriminaloberrat Stefan Müller im Zeugenstand.
Der 61-jährige Daschner ist wegen Verleitung zur schweren Nötigung unter Missbrauch seiner Amtsbefugnisse und seiner Stellung als Amtsträger angeklagt. Einem anderen Kriminalbeamten wird schwere Nötigung unter gleichen Voraussetzungen vorgeworfen.
Er selbst und ein weiterer Ermittlungsleiter hätten bei der Besprechung mit Daschner rechtliche Bedenken dagegen vorgebracht, Gäfgen Schmerzen zuzufügen, sagte Müller. So habe ein Kollege darauf hingewiesen, dass eine durch eine Gewaltandrohung erzwungene Aussage vor Gericht nicht verwendet werden dürfe.
Die leitenden Kriminalbeamten hätten sich stattdessen in Übereinstimmung mit dem Polizeipsychologen dafür entschieden, Gäfgen mit Jakobs 15-jähriger Schwester zu konfrontieren, berichtete der Zeuge. Damit widersprach Müller der Aussage Daschners, dass es nur die Möglichkeit gegeben habe, durch "Androhung unmittelbaren Zwangs auf den Tatverdächtigen einzuwirken", damit dieser den Aufenthaltsort des elfjährigen Bankierssohns Jakob von Metzler preisgebe.
Daschner habe auch nicht nur von Androhung gesprochen, sagte Müller: "Es war eine klare Anordnung." Zum ersten Mal habe der Polizeivizepräsident am 1. Oktober 2002 um 6.35 Uhr davon gesprochen, angesichts der angenommenen akuten Lebensgefahr für das Kind, Gäfgen im Beisein eines Arztes Schmerzen zufügen zu lassen. Daschner habe dies mit einem übergesetzlichen Notstand begründet. Er habe gesagt: "Die Republik würde nicht verstehen, wenn wir weiter warten würden."
Die Anordnung Daschners habe bei der nächsten Führungsbesprechung ab 7.40 Uhr zu "deutlicher Unruhe" geführt, sagte Müller. Zwei Kollegen hätten rechtliche Bedenken geäußert. Daschner habe jedoch die maßgebliche Entscheidungsbefugnis gehabt, da Polizeipräsident Harald Weiss-Bollandt im Urlaub war. "Er hat es zu verantworten, auch wenn es voll in die Hosen geht." Einvernehmlich hätten die Ermittlungsleiter jedoch Daschners Anordnung "komplett zurückgestellt" und die Gegenüberstellung mit Jakobs Schwester Elena und gegebenenfalls mit Jakobs Eltern vorbereitet. Daschners Anweisung wurde laut Müller in mindestens fünf Besprechungen immer wieder verschoben.
Laut Müller wurde die Anordnung lediglich teilweise umgesetzt, indem man sich nach der Beschaffung eines Wahrheitsserums beim Staatsschutz erkundigte und zwei Polizei-Ärzte anforderte. Müller sagte, er habe den Leiter des Mobilen Einsatzkommandos angewiesen, einen Beamten zu benennen, der Gäfgen "foltern" könne. Der SEK-Einsatzleiter habe nach eigenen Worten jedoch keinen Beamten gefunden, der dazu bereit gewesen sei.
Derweil lief die Suche nach dem entführten Jakob weiter. Gäfgen hatte, wie sich später herausstellte, fälschlicherweise angegeben, dass Jakob lebend gefangen gehalten werde. Gegen 8 Uhr rief Daschner die drei Ermittlungsleiter zu sich. Er habe sehr erregt und laut gefragt, warum seine Anordnung immer noch nicht durchgeführt worden sei, so Müller. Ein Beamter habe geantwortet, dass - wenn überhaupt - nur ein bestimmter Kollege, ein Kampfsportler, für die Folter in Frage käme. Der Mann befinde sich jedoch gerade im Urlaub. Der Polizeivizepräsident habe daraufhin angeordnet, den Mann aus dem Urlaub zu holen - mit dem Hubschrauber.
Wie Müller berichtete, habe er sich auch nach dem Wutausbruch Daschners geweigert, dessen Anordnung zu befolgen. Er habe in seiner Ausbildung gelernt, dass man "bei Vernehmungen keine Schmerzen zufügt". Daschner jedoch beauftragte nach eigener Aussage gegen 8.30 Uhr den mitangeklagten Hauptkommissar Ortwin Ennigkeit, Gäfgen Gewalt anzudrohen. Um 9.07 Uhr habe Ennigkeit über die Aussage Gäfgens berichtet, wonach Jakob tot an einem anderen See in Birstein liege.
Daschner ist wegen Verleitung zur schweren Nötigung unter Missbrauch seiner Amtsbefugnisse und seiner Stellung als Amtsträger angeklagt, Ennigkeit wegen schwerer Nötigung unter gleichen Voraussetzungen.