Der Glamour-Automat
Mit einem Gesicht wie Asche, ausgebrannt und fahl, erscheint der Star im Eingang »Parkett rechts«, taumelt leicht, fängt sich, seufzt tief durch, als würde er aus einem Traum aufwachen, nimmt dann einen weißen Fleck am anderen Ende des Saals in den Blick und schafft es aufrechten Gangs zum Ehrenplatz in Reihe eins.
Der Star ist Whitney Houston. Der weiße Fleck heißt Rudi Carrell.
Whitney Houston wird gleich von dem ehemaligen Staatspräsidenten der Sowjetunion eine fünf Pfund schwere Kristallfigur für »Lifetime Achievement« erhalten. Rudi Carrell wird eine Laudatio auf Naomi Campbell halten. Alle werden feuchte Augen haben. Es ist der Abend der »Women's World Awards«.
Die Bühne füllen ein goldener Lorbeerkranz, ein Treppchen und eine Leinwand. Whitney Houston sitzt neben ihrer Tochter Bobbi Kristina und ihrer Cousine Dionne Warwick und einer unbekannten bebrillten Frau, deren Beine zu kurz sind, um den Boden zu berühren.
Die »Women's World Awards« sind die Kreation einer österreichischen PR-Firma, die darauf aufmerksam machen möchte, wen sie alles kennt und dass es tolle Frauen gibt auf der Welt. In der Jury sitzen Wolfgang Joop, Simon Wiesenthal, Uschi Glas, Veronica Ferres und Christopher Lee. Und viele andere. Michail Gorbatschow ist der Präsident. Fotografen im Medienzentrum werden angewiesen, kein Bild zu machen, auf dem nicht im Hintergrund das Logo eines Sponsoren zu erkennen ist.
Die Fanfare. Gorbatschow wird mit stehenden Ovationen begrüßt wie beim Parteitag der KPdSU. Er sagt: »Dies ist ein hervorragendes Ereignis. Ohne die Liebe und Warmherzigkeit der Frauen würde diese Welt nicht existieren.« Dann kommt ein blondes Mädchen auf die Bühne, das in »Troja« die schöne Helena war. Whitney Houstons Tochter hängt in der ersten Reihe und sieht aus, als hätte sie jetzt gern eine Tüte Popcorn in der Hand.
Die Kriterien der Jury sind komplex. Ausgezeichnet werden die Kühnheit, sich als erste Frau ins All schießen zu lassen (Valentina Tereschkowa), wie der Mut, sich der eigenen Nase zu bedienen (Whitney Houston); gewürdigt die Stärke, sich den Entbehrungen jahrelanger Diät auszusetzen (Nadja Auermann), sowie als Multimillionärin viele Millionen für unterversorgte Kinder einzusammeln (Ute-Henriette Ohoven).
Alles geht. Wobei es hilft, sehr gut auszusehen oder demnächst für »Tchibo« auf Konzerttour zu gehen.
Es ist ein Preis für die Erfolgreichen. Für jene, die sonst schon alle Preise haben.
Iris Berbens ("World Tolerance Award") Stimme zittert, als sie Gorbatschow dafür dankt, das Neue nie gefürchtet zu haben. Dann wird sie ins Medienzentrum geführt und gefragt, wer wohl Fußball-Europameister werden wird. Nena dankt ihrer Oma, Bianca Jagger ihrer Mutter und die schöne Helena ebenfalls ihrer Oma. Naomi Campbell sagt, sie danke ihrer »Kosmetikfirma, dem Verlag Condé Nast und Gott«.
Glamour entsteht, wenn Glamour auf Glamour trifft. Deswegen gibt es Preise. Nadja trifft Iris trifft Gorbi trifft Verona, und alle schauen zu. Glamour ist das Perpetuum mobile jenseits der Absperrungen, auf den roten Teppichen und in den VIP-Lounges, das ab und zu durch Goldene Kameras, Rosenbälle und Bambis in Schwung gebracht wird. Glamour ist wie al-Qaida. Ein weit gespanntes Netz international gesuchter Persönlichkeiten, ideologiefrei, mit scheinbar unbegrenzten Mitteln ausgestattet und bereit, jederzeit zuzuschlagen, an jedem beliebigen Ort. Im Hamburger Congress Centrum ist ein System zu bestaunen, das sich selbst speist und endlos weiter neue Stars herausspucken könnte.
Das Fotomodell Waris Dirie spricht über ihren Kampf gegen Genitalverstümmelung, dann wird Rudi Carrell auf die Bühne geholt, um über Naomi Campbell zu kalauern. Nena sagt: »Ihr macht mich echt glücklich, Leute«, und verspricht, heute Nacht darüber nachzudenken, womit sie den Preis verdient hat.
Vivienne Westwood ("World Fashion Award") geht auf die Bühne, an ihrem linken Ohr hängt eine tellergroße Laubsägearbeit. Sie sagt: »Das grundlegende Übel ist die protestantische Arbeitsethik«, was in Hamburg eine ungewöhnliche Aussage ist, und schließt mit dem Satz: »Ich würde gern, dass wir alle dies Jahr gebildeter sind. Danke.«
Cher hat kurzfristig abgesagt. Es heißt, ihre Tochter habe Drogenprobleme. Dafür tritt außer Programm Agnes Wessalowski auf. Es ist die kleingewachsene junge Frau in der ersten Reihe. Sie ist eine Schwimmerin, sie nimmt einen Preis für die »Special Olympics« der geistig behinderten Menschen entgegen. Ihren Dank liest sie mühsam, um jeden Buchstaben ringend, doch ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
Es ist der preiswürdigste Moment des Abends. Selbst in Whitney Houston scheint jetzt Leben gekommen zu sein.
Dann steht sie selbst oben, plötzlich verwandelt zum Star, singt mit ihrer Cousine »That's What Friends Are For«, und alle stehen dann um sie herum. Nadja küsst Gorbi küsst Kati küsst Bianca küsst Gorbi, dazwischen die schöne Helena und Zucchero, und warum nicht auch Agnes Wessalowski. Es ist schön. Es ist Glamour. Und morgen ist alles vorbei.
ALEXANDER SMOLTCZYK