
Spanien in WM-Laune: Ein Land träumt vom Finale
Deutschland-Gegner Spanien beschwört die rote Furie
Stammtischatmosphäre herrscht in der schrägen Galerie im Ausgeh- und Schwulenviertel Chueca nicht gerade. Gigantische Fotos der legendären spanischen Partyära der achtziger Jahre - der Movida - hängen an den Wänden. Kult-Regisseur Pedro Almodóvar und allerlei Pop-Prominenz posieren darauf, provokativ und in unfassbar grellen Klamotten, die Augen rot unterlaufen von durchfeierten Nächten.
Doch selbst hier kennt man sich bestens aus. Verkäufer Angel jedenfalls - gelbes T-Shirt, tiefsitzende Bermudas - versteht es, jedes Argument, das für einen Sieg der Deutschen sprechen würde, wissens- und gestenreich zu widerlegen. Seine Prognose steht fest: Spanien wird siegen. "Es gibt eins zu null - oder Elfmeterschießen", sagt der 30-Jährige inbrünstig über die anstehende Halbfinal-Partie.
Nicht weit entfernt von ihm, im schicken, neunstöckigen Kaufhaus Corte Inglés, ist man sich nicht ganz so sicher. Eine Verkäuferin versucht deshalb auf ihre ganz eigene Weise, das Schicksal zu bestechen. "Ich gucke mir die Spiele nicht mehr an", sagt die zierliche Frau mit dem dunklen zurückgebundenen Haar lächelnd aber entschieden. Dabei liebt sie Fußball, jahrelang pilgerte sie regelmäßig zu den Heimspielen von Real Madrid.
Aber das erste Mal, als sie bei dieser WM mitfieberte, endete das Spiel gegen die Schweiz in einer beschämenden Niederlage. Beim zweiten Mal schaltete sie just in dem Moment den Fernseher ein, als Spanien ein Tor im Spiel gegen Chile kassierte. "Immer wenn ich gucke, geht es abwärts", sagt sie. Die einzige Möglichkeit, der Mannschaft zu helfen, laute also: Verzicht.
Die Frau dürfte eine der wenigen Madrilenen sein, die an diesem Abend nicht vor dem Fernseher sitzen. Der Rest der Stadt lebt auf den Anpfiff hin. "Am Mittwochabend sind wir Feinde", witzelt ein Taxifahrer. Er wirkt aufgekratzt. So weit wie dieses Jahr hat es Spanien noch nie in einer Weltmeisterschaft gebracht, das bislang beste Ergebnis ist ein vierter Platz aus dem Jahr 1950. Doch es geht um mehr. Endlich gibt es ein anderes Thema als die Wirtschaftskrise. Ein erfreuliches. Einen Grund, stolz zu sein. Viele Spanier wirken darüber geradezu erleichtert.
"Spanien ist sehr kompliziert"
Dabei sieht die Stadt auf den ersten Blick aus wie in jedem Juli. Die heiße Sommerluft hängt zwischen den riesigen hohen Altbauten. Vor dem herrschaftlichen Königspalast schießen Touristen ihre Erinnerungsfotos, in den schrägen In-Vierteln sind Jugendliche mit grün gefärbten Rastalocken oder schrillen Kleidern zu sehen. Kein einziger hat sich eine Girlandenketten in Nationalfarben oder ähnliches um den Hals gehängt. Kaum ein Auto fährt kleine Fähnchen spazieren. Nur hier und da hängt eine Flagge an einem Balkon.
Der Umgang mit ihr sei für viele schwierig, heißt es zuweilen als Erklärung. "Spanien ist sehr kompliziert", sagt Angel, der Galerieangestellte. In dem Land mit seinen selbstbewussten Regionen sei es so manchem Spanier sogar unangenehm, das Fußball-Team "Spanische Auswahl" zu nennen, glaubt er. Auch deshalb spreche man so gern von der "Furia Roja".
Angel selbst dagegen mag es nicht besonders, wenn man Politik und Sport vermengt. Entsprechende Diskussionen beendet der freundliche Verkäufer schnell mit entschiedener Stimme. Nicht nur wegen der schwierigen Frage der nationalen Identität. Wie so mancher Madrilene hat er neben aller Freude offenbar derzeit das ungute Gefühl, der Sport könnte von der Politik vereinnahmt werden.
Die Zeiten sind hart, die Arbeitslosenquote übersteigt die 20-Prozent-Marke
"Die spanische Fahne soll jetzt alles verdecken, aber darunter ist immer noch jede Menge Brennholz", wettert Juan García, Unternehmensberater und Temperamentsbolzen mit dunklen Locken und blitzenden Augen. Er sitzt mit Freunden in einer der schickeren Bars der Stadt, raucht Zigarre und gönnt sich einen Feierabenddrink. Die Kunden hier sehen nicht so aus, als hätten sie schon zu leiden unter der Wirtschaftskrise.
Teure Jacketts liegen sauber zusammengefaltet auf den Bänken, fast jeder am Tisch hat seinen Blackberry vor sich liegen. Und das "South Africa Special" mit Straußenfleisch-Burger und einer besonders erlesenen Sorte Gin verkauft sich trotz des stolzen Preises von 21 Euro glänzend.
Trotzdem ist die schwierige Lage des Landes, in dem immer noch viele Banken marode erscheinen und die Arbeitslosenquote mittlerweile die 20-Prozent-Marke überschritten hat, so manchem Gast nicht geheuer. Die Zeiten sind ernst.
Der Witz, den der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero Anfang der Woche losließ, kam bei Unternehmensberater García deshalb gar nicht gut an. Spanien nähere sich Deutschland immer mehr an - beim Fußball, hatte der zunehmend unbeliebte Regierungschef der Zeitung "El Mundo" zufolge gekalauert. Die Wortwahl sollte eine Anspielung auf die Risikoaufschläge für spanische Anleihen sein, die mal wieder auf ein Rekordniveau zusteuerten. "Was soll das?", zürnt Unternehmensberater García und hebt die Hände zu einer fragenden Geste.
Auf der Speisekarte "Weltmeisterschaftsmenü"
Zapatero versuche gerade, sich hinter der erfolgreichen Nationalmannschaft zu verstecken, glaubt er. Auch die Werbechefin eines großen Unternehmens, die neben ihm sitzt, findet: Der sportliche Siegestaumel komme vielen Politikern gerade recht. Der Fußball werde ganz professionell ausgeschlachtet und vermarktet, "damit die Leute die Probleme vergessen. Ich sehe das sehr kritisch."
Selbst der Besitzer der Bar, den alle nur Fran nennen, fühlt sich mit dem ganzen Kommerz um den Sport nicht wirklich wohl. Trotzdem sieht der Mittdreißiger mit dem kurz geschorenen Haar und dem Dreitagebart die Begeisterung pragmatisch. Für die WM wurde kurzerhand ein "Weltmeisterschaftsmenü" entworfen mit Spezialitäten aus elf Teilnehmerländern. Auf den Flachbildfernsehern im Raum läuft durchgehend ein Kanal, der Fran zufolge alte Spiele der WM wiederholt, bis es neue gibt, die man zeigen kann. "Die WM hebt die Stimmung", sagt er. Und damit auch den Umsatz.
Daran, was passiert, wenn Spanien am Mittwochabend verliert, will er lieber nicht denken. Denn mit der vermeintlichen spanischen Fröhlichkeit sei es derzeit nicht allzu gut bestellt. "Spanier können sehr destruktiv sein", sagt er. Schon als die Mannschaft gegen die Schweiz verlor, bekam Fran das direkt zu spüren, weil die Gäste plötzlich ausblieben. "Drei Tage gab es nur ein Thema in den Zeitungen", erklärt der Barbesitzer und haut bei jedem zweiten Wort mit der Handkante eine Schneise in die Luft: "Was für ein Desaster das sei. Wie schrecklich das Spiel war. Und, und, und..."
"Die Deutschen sind sehr kräftig - und pragmatisch"
Schon deshalb hofft Fran, dass die Spanier es am Mittwoch packen - auch wenn er wie viele seiner Landsleute insgeheim offenbar durchaus Bedenken hat. "Wir haben die bessere Mannschaft", sagt er zwar. Die Spanier seien kreativer, und technisch besser. Aber die Deutschen hätten natürlich ziemlich gut gespielt bei den letzten Partien, gesteht auch Fran ein.
"Die Deutschen sind sehr kräftig", findet ein Taxifahrer außerdem. "Und pragmatisch." Solche leisen Zweifel sind bei aller Solidarität immer wieder zu hören. Der Respekt vor dem Gegner ist groß. Der spanische Fußballer tanze manchmal ein bisschen zu viel, findet ein Beamter. "Wir sind manchmal Ballerinas." Der Deutsche ziehe direkt aufs Tor zu.
In den Zeitungen wird die Nationalelf "deutsche Maschine" genannt. Oder "Bestie". Und die Hoffnungen auf den Pokal werden geschürt, als ginge es um die Zukunft des Landes. "Die Partie unseres Lebens", steht in großen Lettern auf einer Sportzeitung. Auf deren Titelseite hatte Stürmerstar David Villa schon am Vortag verkündet: "Wenn wir die Weltmeisterschaft nicht gewinnen, haben wir nichts getan."
Ganz so verbissen wird die Partie auf den Straßen Madrids dann doch nicht gesehen. "Wenn der Bessere gewinnt, ist es gut", ist einmal sogar zu hören. "Gegen Deutschland zu verlieren, ist keine Schande."