Modewoche in Berlin Dick im Geschäft
Durch die Abflughalle des stillgelegten Flughafens Tempelhof wälzen sich die Massen der Modeschaffenden, Blogger und Einzelhändler. Unzählige Hersteller von Urban- und Streetwear haben hier, auf der "Bread and Butter"-Messe für junge Mode, ihre Stände aufgebaut. Beim Anblick der knatschbunten und ausgefallenen Kleider fühle ich mich ein bisschen wie ein Kind, das vor einem riesigen Haufen Spielzeug sitzt und doch nicht damit spielen darf.
Mit Konfektionsgröße 44 befinde ich mich jenseits dessen, was von der Modeindustrie als "Normalgröße" deklariert wird. In dem Sammelsurium verschiedener Formen, Farben und Stoffe auf der Modemesse ist es für mich schwierig, überhaupt etwas zu finden, das mir passt. Ich bin in dem schillernden Mode-Zirkus nur Zuschauerin.
Dicke Menschen gelten als faul, ungesund und unsexy
Ich bin mit einem schwierigen Auftrag hergekommen: zu beschreiben, wie es ist, als Frau mit Übergröße shoppen zu gehen. Eine Ich-Geschichte über das Dicksein zu schreiben, heißt, sich nackt zu machen. Den eigenen Körper an den Pranger der Öffentlichkeit zu stellen und zu schreien: "Seht her, ich bin hier, und mein Körper ist nicht perfekt." Mit Namen und Foto als Symbolfigur für eine Gruppe zu stehen, der eigentlich niemand angehören möchte.

Fashion Week Berlin: Die Schau muss weitergehen
Mein erster Gedanke war: Ich habe Angst vor den Kommentaren, die unter dem Artikel erscheinen werden. Auf fast nichts reagiert unsere Gesellschaft so empfindlich und aggressiv wie auf dicke Menschen. "Fette Sau", könnte da stehen. Oder auch: "Heul nicht rum, mach lieber etwas Sport, dann nimmst du schon ab und passt in die normalen Klamotten." Das Dicksein ist die letzte Bastion, die die Political Correctness noch nicht eingenommen hat. Es ist gesellschaftlich immer noch anerkannt, dicke Menschen zu verachten. Sie gelten als faul, ungesund und unsexy.
Ich bin ausgestiegen aus dem Wettbewerb der Schönheitsköniginnen
Doch neben den schlanken Models auf der Messe zu posieren, macht mir nichts aus. Mit den Herstellern darüber zu sprechen, ob sie überhaupt Klamotten in meiner Größe führen, auch nicht. Viele schlanke Frauen würden sich schlecht fühlen neben dem übergroßen Plakat von Kate Moss, die ihre perfekten Proportionen in einem luftigen Sommerkleid präsentiert. Ich nicht.
Nicht, dass ich das Schönheitsideal verurteile. Im Gegenteil: Ich finde kaum etwas schöner als einen schlanken, wohlgeformten Frauenkörper. Der Unterschied ist nur: Ich vergleiche mich nicht. Ich bin schon vor langer Zeit ausgestiegen aus dem Wettbewerb der Schönheitsköniginnen. Es hätte wohl auch höchstens für eine Teilnehmerurkunde gereicht.
Aber wie vermittelt man einem Leser nun, wie es ist, als Übergewichtige einkaufen zu gehen? Königsdisziplin des Shoppings mit Pfunden ist der Hosenkauf. Die Jeans ist der natürliche Feind des gebärfreudigen Beckens - nichts ist so schwierig, wie eine Hose zu finden, die nicht entweder vorne eine Penisfalte wirft oder hinten beim Hinsetzen so weit herunterrutscht, dass man den halben Hintern sehen kann.
Ich wende mich also an die Denim-Hersteller. Doch hier macht man mir nicht viel Mut: Jeansfabrikanten wie Mavi, Superdry und G-Star RAW bieten Hosen generell nur bis Weite 32 oder 33 an, ich bräuchte eine 34. "Sie könnten die Herrenhosen tragen", die Pressesprecherin von Pepe Jeans London versucht, hilfreich zu sein. Herrenhosen gebe es nämlich bis Weite 38. Bei den Dr. Denim Jeansmakers werde ich schließlich fündig. Die Marke führt tatsächlich Damenjeans bis Weite 34. Die seien aber wahre Ladenhüter, erklärt mir Pressesprecher Kays Kacem - "Davon wurde noch nicht ein Stück verkauft." Ist das der Grund, warum viele Hersteller diese Größen nicht anbieten? Weil sie nicht nachgefragt werden? Weil es zu wenig Menschen gibt, die solche Größen überhaupt tragen? Das würde bedeuten, dass mein Körper tatsächlich jenseits der Norm liegt.
Eigentlich bin ich Durchschnitt
Die Macher der "Size Germany"-Studie sind 2009 der Frage nachgegangen, was normal ist und was durchschnittlich. Für die Untersuchung wurden die Körper von mehr als 13.000 Deutschen mit speziellen 3D-Scannern vermessen. Das Ergebnis: Die durchschnittliche deutsche Frau ist 165,8 cm groß, hat einen Brustumfang von 98,7 cm, einen Taillenumfang von 84,9 cm und 102,9 cm um die Hüfte. Das entspricht erschreckend genau meinen Maßen, ich bin eine Durchschnittsdeutsche. Dennoch finde ich auf der Bread and Butter kaum etwas zum Anziehen.
Kein Wunder also, dass sich Boutique-Inhaberinnen wie Gerlinde Lange-Wadsack fernhalten von der Fashion Week. "Da geht es nur um jung und schlank, die Fashion Week bietet keine großen Größen an", erzählt mir die Inhaberin der Übergrößen-Boutique "La Grande" in Berlin. Man merkt ihr die Frustration darüber an. Ihre Kundinnen sind weder schlank noch jung: Sie sind zumeist über 40 und tragen Kleider in den Größen 42 bis 60. Gerlinde Lange-Wadsack muss auf andere, kleinere Messen ausweichen, um etwas Passendes für ihre Kundinnen zu finden - Messen jenseits des medialen Trubels der Fashion Week.
Ich muss Klamotten in meiner Größe suchen wie die Nadel im Heuhaufen
Doch auch hier auf der Fashion Week gibt es sie, die größeren Größen. In einem mit dunklem Holz vertäfelten und von einer mächtigen Deckenlampe erhellten Raum des Hotel Adlon stellt das Label Leibschneider aus. Zwei Kleiderständer mit Jacken und Mänteln, nachhaltig gefertigt und erhältlich bis Größe 46. "Die 42 ist bei uns die Durchschnittsgröße, die verkauft sich am besten", erzählt mir Gaby Pressmar, die Managerin des Labels.
In diesem hintersten Winkel der Fashion Week wird sie also fündig, die durchschnittsdeutsche Frau. Auf den Laufstegen der Modemesse haben sich die größeren Größen aber noch nicht durchgesetzt: Hier laufen immer noch ausschließlich die Superschlanken. "Wir geben da dem Druck der Fashionwelt nach", erklärt Franziska Raabe, die Pressesprecherin des Showfloor Berlin.
Der Druck der Fashionwelt. Nirgends wurde er mir je so bewusst wie auf dieser riesigen Modemesse. Es gibt zwar Sachen in meiner Größe, aber ich musste sie suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Mein Kleiderschrank ist trotzdem bis zum Bersten gefüllt mit wunderschönen, bunten Sachen - in denen ich mich austoben kann wie ein lachendes Kind in einem Berg von Spielzeug.