
Absturz über dem Atlantik: Der letzte Flug
Absturz über dem Atlantik Das Rätsel von TWA-Flug 800
Es war ein warmer Juli-Abend, als TWA-Flug 800 mit einer Stunde Verspätung vom New Yorker Kennedy-Flughafen Richtung Paris abhob. Der Jumbo-Jet, besetzt mit 212 Passagieren und 18 Crewmitgliedern, gewann langsam an Höhe, steuerte zunächst direkt auf den Atlantik hinaus und schwenkte dann sanft nach links, parallel zur Küste von Long Island.
Dann, knapp eine Viertelstunde nach dem Start, gab es mindestens eine Explosion. Die Maschine brach in 4200 Metern Höhe auseinander und stürzte in Feuerbällen ins Meer. Alle 230 Insassen kamen ums Leben.
Der Absturz von TWA 800 am 17. Juli 1996 ist bis heute das drittschwerste Flugzeugunglück der USA - eine Katastrophe, die die ganze Nation tief aufwühlte. TWA machte fünf Jahre später pleite und ging in American Airlines auf.
Es gab Ermittlungen, Anhörungen und, wie oft in solchen Fällen, viele Verschwörungstheorien. Zum Beispiel, dass die Boeing 747 von einem Raketengeschoss getroffen worden sei. Doch die Behörden erklärten einen elektrischen Kurzschluss zur Absturzursache, der den Haupttreibstofftank in die Luft gejagt habe.
"Es war kein Geschoss", sagte der damalige FBI-Chefermittler James Kallstrom 1997 kategorisch. "War nie eines und wird nie eines sein." Und damit schien die Diskussion vorbei.
Pensionierte Ermittler erheben Vorwürfe
Doch jetzt sind erneut Zweifel aufgekommen. Auf den ersten Blick sind es die von einst: TWA 800 sei "von außen" zerstört worden, also von einer Rakete oder einem militärischen Geschoss - und die US-Regierung habe das vertuscht. Es ist eine These, die auch Pierre Salinger, der Ex-Sprecher von Präsident John F. Kennedy, bis zu seinem Tod vertreten hatte, wiewohl aufgrund diskreditierter Akten. Spötter sprechen vom "Salinger-Syndrom".
Was nun aber anders ist: Erstmals unterstützen sechs inzwischen pensionierte Top-Ermittler der US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB die These. Die Experten waren mit der Aufklärung der Katastrophe betraut. In einem Dokumentarfilm, der zum 17. Jahrestag des Absturzes in den USA anlaufen soll, erheben sie schwere Vorwürfe, vor allem gegen das FBI - und präsentieren akribische Belege für ihre alternative Version der Ereignisse von 1996.
"Die Explosion ereignete sich außerhalb" der Maschine, erklären die NTSB-Whistleblower in dem Film, dessen 105-minütigen Rohschnitt SPIEGEL ONLINE gesehen hat. Die offizielle Absturz-Simulation der CIA sei "nicht akkurat" und decke sich nicht mit "physischen Indizien, Augenzeugenberichten und anderen Fakten".
"Die Fakten und Umstände des Unglücks entsprechen nicht denen im NTSB-Abschlussbericht", sagte Hank Hughes, der als NTSB-Chefermittler damals für diesen Bericht mitverantwortlich zeichnete, am Mittwoch auf CNN. Was wirklich geschehen sei: Drei Geschosse, abgefeuert vom Ufer und vom Meer aus, seien neben dem Jumbo explodiert und hätten ihn so zum Absturz gebracht.
Augenzeugen sollen nicht befragt worden sein
Die Herkunft solcher Geschosse erklären die Kritiker nicht. Zweifler spekulieren aber schon lange, dass die Sprengsätze von einer militärischen Übung vor der Küste Long Islands gestammt haben könnten.
Die Dokumentation, "Flight 800" betitelt, schlägt in alte Kerben, doch mit neuem und für Laien schlüssigem Material. Die ursprünglichen Gegenthesen zur offiziellen Ursache dagegen gehörten zu den ersten Verschwörungstheorien im noch jungen Internet und waren wenig glaubhaft.
Unter den Kritikern befinden sich neben Hughes auch Bob Heckman, ein ehemaliger FBI-Sprengstoffexperte, und Robert Young, seinerzeit ein Chefermittler für die Fluggesellschaft TWA. Sie alle waren direkt an den ursprünglichen Untersuchungen beteiligt.
FBI und NTSB prüften den Absturz 458 Tage lang. Sie vernahmen 7000 Zeugen und setzten fast eine Million Wrackteile wieder zu einem Skelett des Jumbos zusammen, das bis heute in einem Hangar auf Long Island ruht. Der Film behauptet jetzt, die meisten von Hunderten Augenzeugen, die mindestens ein auf den Jet zufliegendes Geschoss gesehen haben wollen, seien diskreditiert oder nicht befragt worden.
Untersuchung könnte neu aufgerollt werden
Mehrere dieser Augenzeugen kommen in der Dokumentation zur Sprache. Sie berichten übereinstimmend von "Lichtstreifen" und "Leuchtgeschossen", die aufgestiegen seien. Eine Frau behauptet, sie sei nach ihrer Aussage von einem FBI-Agenten eingeschüchtert worden: Sie solle das besser für sich behalten.
Auch widerspreche die offizielle Version dem physischen Beweismaterial, heißt es weiter. Zum Beispiel seien Spuren "hochexplosiven Sprengstoffs", den die NTSB an Wrackteilen entdeckt habe, nie vom FBI analysiert worden.
Der Film ist eine Produktion des Physikers Tom Stalcup, der schon lange gegen die amtliche Darstellung des TWA-Absturzes protestiert. Die Dokumentation leidet jedoch an oft unnötiger Dramatisierung. So zeigt der Film mehrfach die nackten Leichen von Insassen.
Stalcup und die Whistleblower wollen die NTSB nun mit einer Petition dazu zwingen, den Fall erneut aufzurollen. NTSB-Sprecherin Kelly Nantel erklärte am Mittwoch, die Behörde sei "bereit", eine solche Petition "zu überprüfen".