Drama in Schule Geiselnehmer gibt auf
Waiblingen - Um 21.10 Uhr gab der Geiselnehmer die Waffe ab. Ein Polizeisprecher gab bekannt, dass er sich ohne Gegenwehr habe festnehmen lassen. Die Geiseln seien unversehrt. Das Drama an der Friedensschule im Stadtteil Neustadt hatte gegen 15 Uhr seinen Lauf genommen. Der mit einer Luftpistole bewaffnete Ex-Schüler hatte sich bei der Polizei per Handy gemeldet und eine Million Euro plus einen Fluchtwagen gefordert.
Die Polizei stand seitdem in ständigem Kontakt mit dem Geiselnehmer. Polizeibeamte vor Ort sagten während der Geiselnahme, dass der Täter einen ruhigen und gefassten Eindruck mache. Dennoch war die Polizei auf alles gefasst. Ein Einsatzkommmando der Polizei rückte auf das Schulgelände vor. "Wir bereiten uns auf alles vor", sagte ein Polizeisprecher. Der Täter zeigte sich jedoch kooperativ. Gegen 19 Uhr 30 ließ er zwei seiner vier Geiseln frei. Den Freigelassenen ging es nach Polizeiangaben gut.
Kurz vor der Freilassung der Geiseln hatte der Täter der Polizei die Möglichkeit gegeben, mit einer der Geiseln zu telefonieren. Dabei sei die Situation als ruhig beschrieben worden, teilte die Polizei mit. Mittlerweile habe der 16-jährige Täter ein neues Handy erhalten, um weiter mit der Polizei sprechen zu können.
Auch seiner Forderung nach einem Telefongespräch mit einer Vertrauensperson entsprach die Polizei. Wenig später habe er die zweite Geisel gehen lassen. Anschließend bestellte sich der Täter eine Pizza, da er hungrig sei. Die beiden letzten Geiseln waren nach Polizeiangaben elf- und zwölfjährige Jungen.
Der Täter hatte zu Beginn der Geiselnahme auch die Lehrerin und alle Mitgieder der sogenannten "Tastatur-AG" der Friedensschule in seiner Gewalt. Nach Aussagen von Augenzeugen habe der Täter zunächst die Lehrerin gefragt, ob er ins Internet dürfe. Plötzlich sei der Ex-Schüler aufgestanden, habe eine Pistole gezogen und gesagt: "Wenn ihr nicht ruhig seit, dann passiert was", berichtete der elfjährige Schüler Marc Reportern vor Ort.
"Wer Angst hat, darf gehen"
Mit der vorgehaltenen Waffe habe er die Lehrerin und die Schüler gezwungen, die Vorhänge in dem Raum zuzuziehen, so die Darstellung der Zeugen. Danach habe er gesagt, "wer Angst habe, kann rausgehen", so eine zwölfjährige Schülerin. Vier Schüler hätten sich darauf hin freiwillig zum Bleiben gemeldet. Die anderen durften gehen.
Die Polizei identifizierte den Täter als 16-jährigen Jungen aus Waiblingen, wollte aber zu Details nichts sagen. Der ehemalige Schülersprecher der Schule, Stephan Havranek, sagte SPIEGEL ONLINE, er habe den mutmaßlichen Geiselnehmer heute morgen wieder in seinen Springerstiefeln so komisch durch die Gegend laufen sehen. Wie immer, in etwas gebücktem, buckligen Gang. "Der Typ" sei vor rund einem Jahr von der Schule geflogen. Zuvor hatte er das Gymnasium in Richtung Friedensschule verlassen müssen.
Täter galt als "Bundeswehr-Freak"
Unter den Mitschülern gelte der Täter als "Bundeswehr-Freak", der regelmäßig Tarnkleidung trug und auch mit einer angeblichen Waffe geprahlt haben soll. "Er sagte uns bei einem Volksfest, dass er die Waffe von einer Security-Firma in Stuttgart habe, bei der er arbeitet", so der ehemalige Mitschüler des Geiselnehmers. Bei dem Volksfest soll er auch eine schusssischere Weste getragen haben. Der 16-Jährige soll die Homepage der Schule mitgestaltet haben und daher immer mal wieder einmal an der Schule gewesen sein.
Gegenüber früheren Klassenkameraden soll der Täter angekündigt haben, er werde an der Friedensschule noch "ein großes Ding loslassen". Bei SPIEGEL ONLINE meldete sich am Abend eine anonyme Anruferin: "Ich kenne den Täter. Er hat einmal bei mir im Dorf gewohnt. Gegenüber Klassenkameraden hat er gesagt, er wolle sich an der Schule rächen." Ein anderer Mitschüler schilderte den Täter als ursprünglich sehr friedfertigen Klassenkameraden, der aber in den letzten ein bis zwei Jahren, zunehmend von Frust zerfressen, aggressiver geworden sei.
Der 16-Jährige soll nach seinem Rauswurf von der Schule immer wieder auf dem Schulhof gewesen sein und dort selbstgebrannte Videospiele, darunter "Soldier of Fortune", "Quake 3 Arena" und "Counterstrike" für fünf bis zehn Mark verkauft haben, berichten Mitschüler. Er sei schüchtern und gleichzeitig ein Protz. Mit einem 50-Mark-Schein zündete er sich mal eine Zigarette vor den Augen seiner Mitschüler an, und denen lieh er oft und gerne Geld aus.
Auffällig sei der Täter schon immer gewesen. In der Buslinie 201, die von der Schule bis in seinen Heimatort Bittenfeld fährt, ballerte er bisweilen mit einer Plastikpumpgun herum. Nach seinem Rauswurf arbeitete er bei einer Security-Firma, für die er unter anderem bei Konzerten eingesetzt wurde.
Matthias Gebauer, Felix Kurz, Alwin Schröder, Alexander Schwabe