Dresden wartet auf die Flut Die Sachsenmetropole zwischen Angst und Flut-Watching
Dresden - Irgendwas ist anders an diesem Abend im "Hollywood", hoch oben über der Dresdner Altstadt. Es ist nicht der malerische Blick über die Elbe, die sich im Dunkeln, kaum sichtbar, unterhalb der Bierterrasse ihren Weg bahnt. Es sind auch nicht die goldbraunen Bratwürstchen, die es wie jeden Mittwoch für 50 Cent am Grill zu erstehen gibt.
Vielleicht ist es der große Fernsehschirm, auf dem sonst Musikvideos laufen, der anders ist. Denn heute Abend flimmern statt Dance-Videos ausschließlich Bilder der Flutkatastrophe und Pegelstände über die Großleinwand. Oder es sind die Gespräche über die Frage, wo Mandy heute Nacht schläft. Nicht, weil sie Lust auf ein Abenteuer hat, sondern weil sie aus Pirna kommt und Pirna komplett evakuiert ist. Oder wenn Marc darüber referiert, wo er seinen Golf geparkt hat, damit ihm das Wasser nichts anhaben kann.
Dresden als Geisterstadt
Dabei ist das "Hollywood" in dieser Nacht wohl noch einer der belebtesten Plätze in der sächsischen Hauptstadt. Denn der Rest der Stadt glich in der Nacht zum Donnerstag einer Geisterstadt. Die Polizei hatte fast alle Autobahnabfahrten zur Innenstadt gesperrt, die Straßenbahnen fahren nicht, und nur noch wenige Brücken, die von der Neustadt zur Altstadt führen, sind geöffnet. Doch auch die Dresdner selber bleiben lieber zu Hause. Vor vielen Häusern schippen sie den letzten Sand in Säcke und Plastiktüten und schleppen Wertvolles sicherheitshalber in die oberen Stockwerke.
Selbst im Stadtkern ist kaum ein Café geöffnet, auf den Straßen treiben sich nur ein paar verlorene Passanten herum. Lediglich an den Ufern der Elbe sammeln sich die Flut-Watcher. In kleinen Gruppen stehen sie an den Elbterrassen, die sonst einige Dutzend Meter vom Wasser der Elbe entfernt sind. In der Nacht vor der erwarteten Katastrophe hingegen steht das Wasser bis zu der Uferstraße und kommt jede Minute höher. Gut bewacht von der allgegenwärtigen Polizei schauen die Menschen auf die Elbe, der man mit bloßem Augen beim Anschwellen zusehen kann. Die Verkaufsbuden, in denen es sonst ein kaltes Bier zur romantischen Altstadtatmosphäre gibt, sind verrammelt.
Ein Gebäude nach dem anderen wird evakuiert
Wie es in den nächsten Stunden weitergeht, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Die Experten sagen, dass die Stadt in den Morgenstunden die schwerste Flutkatastrophe seit dem Beginn der Pegelaufzeichnungen zu erwarten hat. Der Grund: Schon am frühen Abend haben die Kollegen in Tschechien stark steigende Wasserstände registriert, die Dresden gegen 7 Uhr morgens erreichen soll. Stündlich steigt nun der Pegel um mehrere Zentimeter, das Wasser kommt immer schneller. Immer mehr Gebäude, Hotels und Wohnungen wurden in den letzten Stunden evakuiert. Schon am frühen Abend hatten sich die Behörden entschlossen, zwei elbnahe Stadtteile zu evakuieren, da sie schon vor der erwarteten großen Flut aus Tschechien mit Wasser voll gelaufen waren.
So mancher Anwohner sieht das gelassen, berichtet von anderen Hochwassern und Fluten. So schlimm kann es nicht werden, so das Motto vieler. Entgegen aller Gelassenheit gibt es am leicht ansteigenden Hang über der Elbe nicht mehr viele Standflächen für Autos. Stoßstange an Stoßstange stehen die Wagen dort in den kleinen Kopfsteingassen - sicher vor den erwarteten Fluten. An der Uferstraße ist kaum ein Haus zu finden, das nicht komplett an Türen und Kellerfenstern mit Sandsäcken geschützt ist. In den Kneipen am Ufer stehen die Stühle auf den Tischen.
Intensiv-Patienten werden ausgeflogen
Gespenstisch mutet auch die Szenerie am sonst nachts geschlossenen Dresdener Flughafen an. Im Flutlicht der Terminals stehen sechs riesige Maschinen der Bundeswehr. Immer wieder kommen Krankenwagen mit Blaulicht zu den Ladeklappen. Sie bringen Patienten aus den Dresdener Krankenhäusern. Insgesamt rund 170 Menschen von den Intensivstationen der Dresdener Kliniken sollen noch vor dem Morgen aus der Stadt in Richtung Sicherheit geflogen werden. Selbst der Medizin-Jet der Bundeswehr, sonst nur für Einsätze im Kampfgebiet eingesetzt, wurde von den Krisenmanagern der Stadt angefordert. Die Tatsache, dass man offenbar selbst in den Kliniken nicht mehr sicher ist, macht auch so manchem Nicht-Kranken Sorge.
Wann die Flut in Dresden ihren Höhepunkt erreichen wird, ist in der Nacht noch nicht zweifelsfrei klar. Schlafen wird am frühen Morgen in Dresden vermutlich niemand mehr. Auch diejenigen, die ihre Wohnung in den "sicheren" Stadtteilen haben, wollen dieses Jahrhundertereignis nicht verpassen.