Dieser Beitrag wurde am 24.02.2017 auf bento.de veröffentlicht.
Vier Klausuren in zwei Wochen. Und zwei Hausarbeiten. Ein Referat. Und dann ist da ja noch diese Gruppenarbeit.
Leistungsdruck an der Uni kann heftig sein. Manche stecken den Stress in den besonders arbeitsintensiven Phasen gut weg – manche mögen ihn sogar. Und manche greifen zu Hilfsmitteln, um mit ihm fertig zu werden.
Kaffee, Koffein- oder Schlaftabletten, homöopathische Mittel oder gar Ritalin: Es gibt viel, das nicht nur beruhigt, sondern auch die Konzentration fördert. Die Uni Mainz fand 2013 in einer Studie heraus, dass jeder fünfte Student bereits Hirndoping betrieben und sich so zu besseren Ergebnissen gepusht hat; rund 2600 Studenten der Uni hatten den Fragebogen komplett ausgefüllt.
Ist die Uni-Belastung also zu krass? 59 Prozent der Studenten haben das ständige Gefühl, gestresst oder nervös zu sein, ermittelte das Deutsche Studentenwerk ebenfalls 2013. Knapp die Hälfte fühlt sich laut der Studie dadurch sogar in der Lebensqualität beeinträchtigt.
Diese Gefühle würden unter anderem durch Zukunftsängste ausgelöst: Finde ich einen Platz auf dem Arbeitsmarkt? Sind meine Noten gut genug? Kann ich mich mit meinem Abschluss durchsetzen – auch später, im Job?
Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die glauben, ihr Studium nicht ohne Hilfsmittel zu schaffen.
Johannes, 24
"Ich habe schon im zweiten Semester mit Ritalin angefangen. Primär, um mit der Art des Lernens klarzukommen, die mir in dieser Form bislang unbekannt war: Das Medizin-Studium erfordert eine Menge Auswendiglernen. Und Disziplin, die ich als Neuling im Studentenleben noch gar nicht besaß. Ich schrieb nicht so gute Noten und verpasste ständig Fristen.
Stress im Studium, der Liebe, mit Freunden? Unsere Psychologin beantwortet eure Fragen:
Fragen an Psychologin Kathrin Hoffmann
Über einen Freund bin ich dann an Ritalin gekommen. Eingenommen habe ich es immer mit meinen Freunden, die damit bereits vertraut waren. Das ließ die Hemmschwelle sinken, überhaupt sowas auszuprobieren. Ich war neugierig.
Was ist Ritalin?
- Ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel, das meist für die Behandlung von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) genutzt wird.
- Hauptinhaltsstoff: das amphetaminartige Methylphenidat. Ritalin gehört zur Gruppe der Phenylethylamine.
- Bei Missbrauch setzt der Konsument auf die anregende Wirkung und die Aufmerksamkeitssteigerung.
- Mögliche Nebenwirkungen: Schlafstörungen, verringerter Appetit, Schwindel, Übelkeit, Nervosität.
Gekauft hat mein Kommilitone das Ritalin in der Bibliothek unserer Universität, in der es einen richtigen Markt dafür gibt. Eine Tablette kostet sechs Euro.
Von der Wirkung des Ritalins war ich anfangs begeistert. Ich war effizienter, konnte nächtelang konzentriert lernen. Ich hatte keine Tiefphasen mehr. Dass ich ein verschreibungspflichtiges Medikament einnahm, störte mich nicht.
Drogenkonsum im Job: schneller, länger, kreativer
Insgesamt nahm ich das Zeug zehnmal.
Etwas Extremes erlebte ich dann an einem Sonntag. Ich wollte wieder lernen und es mal ohne das Mittel versuchen – und das ging voll nach hinten los. Ich konnte kaum klar denken, hatte nur Ritalin im Kopf. Ich stand kurz vor einer Klausur und war mir sicher, nichts mehr schaffen zu können.
Ich wollte nicht abhängig sein oder werden. An dem Tag beschloss ich, das Zeug wegzulassen. Weil ich Angst hatte – nicht, weil ich es verwerflich fand, mir durch das Medikament vielleicht auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Kommilitonen zu verschaffen. Ich könnte mir sogar vorstellen, noch mal Ritalin zu nehmen. Im Notfall, vor dem Staatsexamen zum Beispiel."
Antonia, 21
"Mein Problem war das Einschlafen in der Klausurenphase. Sieben Prüfungen in kurzer Zeit. Ich stand so unter Druck, dass ich abends nicht mehr runterkam und mich irgendwie beruhigen musste. Ich griff zu Schlaftabletten.
Mich belastete nicht nur die Arbeit, sondern auch die Angst vor dem Verfahren für einen Masterplatz. Der ist im Fach BWL schwer zu bekommen.
Was sind Schlaftabletten?
- Hypnotika fördern den Schlafvorgang und beruhigen.
- Es gibt pflanzliche und synthetische Mittel, verschreibungspflichtig sind nur stärker wirkende Mittel.
- Die Einnahme erfolgt in Form von Tabletten, Kapseln oder Saft.
- Wird das Mittel länger als zwei Wochen eingenommen, kann der Konsument abhängig werden.
- Mögliche Nebenwirkungen: Müdigkeit und Abgeschlagenheit (wegen des langsamen Abbaus im Körper).
Müdigkeit kann man sich in diesem Studiengang nicht oft erlauben. Ich musste den ganzen Tag konzentriert am Schreibtisch sitzen und meine Lernzeit so intensiv wie möglich ausschöpfen.
Gestresst war ich täglich aufs Neue, aber besonders bei einem Drittversuch. Kurz vorher konnte ich nicht aufhören zu weinen, hatte Herzrasen und rief ständig verzweifelt meine Mutter an. Ich wusste, dass ich da nicht mehr alleine rauskomme, nur Schlaftabletten würden helfen – so meine Gedanken.
Brauchst du Hilfe?
Hast du das Gefühl, nicht mehr mit deinem Leben klarzukommen? Fühlst du dich alleine oder kreisen deine Gedanken immer wieder um dasselbe Thema? Hier findest du – auch anonyme – Hilfsangebote in vermeintlich ausweglosen Lebenslagen. Per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch.
Dass man nach dem Nichtbestehen eines Drittversuchs sofort exmatrikuliert wird, machte mir wahnsinnig Angst. Daher hatte ich auch kein schlechtes Gewissen, auf Hilfsmittel zurückzugreifen. Ich wusste, dass ich in einem absehbaren Zeitraum konsumieren würde. Tabletten waren für mich kein Zeichen der Schwäche.
Mit meinen Freundinnen spreche ich oft darüber, auch sie kämpfen mit Panik vor der Zukunft. Mittlerweile bin ich auf homöopathische Mittel umgestiegen – auch, weil ich nicht eines Tages als Süchtige enden will."
Julia, 22
"Ich empfinde generell Druck, in der Prüfungszeit dauerhaft produktiv sein zu müssen, damit ich das Lernpensum schaffe. In diesem Semester ist es noch schlimmer: Ich bin im Zweitversuch, einen Drittversuch will ich um jeden Preis vermeiden. Zudem arbeite ich auf einen Schnitt hin, der mir ermöglicht, für den Master an meiner aktuellen Uni zu bleiben.
Damit ich in der Bibliothek nach der Mittagspause nicht in ein Tief falle, habe ich Guarana-Tabletten ausprobiert. Von einer Freundin habe ich gehört, dass sie besser wirken als Kaffee. Daraufhin wurde ich neugierig, bestellte die Tabletten im Internet und nahm sie vor dem Mittagessen.
Von der Wirkung war ich allerdings nicht besonders überzeugt: Ich fühlte mich zwar etwas wacher – insgesamt aber noch immer erschöpft.
Was ist Guarana?
- Eine Pflanzenart, die zu der Familie der Seifenbaumgewächse gehört.
- Die koffeinhaltigen Samen stammen aus der Amazonas-Region und haben einen Koffeingehalt von ein bis acht Prozent.
- Die Einnahme erfolgt als Tablette oder aber auch in Pulverform.
- Guarana soll fiebersenkend wirken – und das Durchhaltevermögen bei körperlicher Schwäche erhöhen.
- Nach längerfristigem Konsum können Entzugserscheinungen auftreten.
- Mögliche Nebenwirkungen: Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Zittern und Muskelschmerzen.
Auch wenn ich das Pensum schaffen will: Mir ist es nicht geheuer, auf härtere Mittel wie Ritalin zurückzugreifen. Ich hätte große Angst, darauf hängen zu bleiben – außerdem sind diese Mittel schwerer zu bekommen."