Zur Ausgabe
Artikel 83 / 130

Steuern Dumm und dösig

Bei den Finanzämtern häufen sich die anonymen Anzeigen wegen Steuerhinterziehung - offenbar als Folge der wachsenden Steuerlast.
aus DER SPIEGEL 32/1996

Einen Teil seines Erfolges verdankt Harald Dörn der Niedertracht seiner Mitmenschen: »Sie sollten sich mal um Frau ... kümmern«, schreibt ihm etwa ein Steuerzahler, der »lieber ungenannt« bleiben möchte. Die Frau verdiene »4000 bis 5000 Mark wöchentlich«, ohne dafür Abgaben zu leisten, und habe »sogar Zuchtpferde in Brandenburg auf einem Bauernhof stehen«.

Das, findet der Berliner Finanzbeamte Dörn, 40, klinge doch sehr vielversprechend.

Genauen Einblick in die Vermögenslage einer Wilmersdorfer Galeristin gibt ein Brief in schnörkelloser Frauenhandschrift, der auf über 20 Seiten jede Schwarzeinnahme minutiös aufführt. Die »sehr geehrten Damen und Herren« vom Finanzamt, empfiehlt die Tipgeberin, sollten doch mal »im Tiefkühlfach des Kühlschranks« nachsehen: Dort lägen gut »300 000 Mark in Tausenderbündeln« versteckt.

Fast täglich bekommt der Berliner Steuerfahnder solche Hinweise aufmerksamer Bürger auf illegale Nebeneinkünfte von Kollegen, Freunden oder Verwandten - meist anonym versteht sich. »Wenn die Leute Frust haben, überlegen sie sich, wie sie anderen eins reinwürgen können«, erklärt Dörn das Mitteilungsbedürfnis, »da scheint die Anzeige beim Finanzamt eine gute Idee.«

Die gute Idee haben offenbar immer mehr Bundesbürger. Vielerorts registrieren die Finanzämter einen deutlichen Anstieg der anonymen Steueranzeigen. Bereits rund 20 Prozent aller neu eingeleiteten Ermittlungsverfahren beruhen in Berlin auf sachdienlichen Hinweisen aus der Bevölkerung, sagt Wolfgang Lübke, Leiter der Steuerfahndung.

Nach Einschätzung der Behörden kommen die anonymen Tips vor allem aus dem engsten Umfeld der Angezeigten. Denn je näher der Briefschreiber seinem Opfer steht, desto mehr schwindet auch der Bekennermut.

Mal bittet der Nachbar »um Überprüfung, ob die Hundesteuer gezahlt wurde«, mal meldet die Putzfrau das Bargelddepot unter der Matratze. Oder die Trinkkumpane verpfeifen ihren Stammtischbruder, weil der wie kürzlich ein Hamburger Kaufmann im Suff mit kleinen Steuertricks prahlte.

Die Denunzianten treibt neben den klassischen Motiven wie Konkurrenzdruck oder Rache zunehmend Mißmut über die angespannte Wirtschaftslage und die wachsende Steuerlast. »Bei vielen steckt wohl die Überlegung dahinter: Mir geht's nicht rosig, da soll es den anderen nicht bessergehen«, sagt Bernd Heine von der Steuerfahndung München. Wenn überall die Gebühren und Abgaben stiegen, glaubten die Bürger, der Staat brauche jede Mark, vermutet auch Fahnder Dörn.

»Ich zahle mich dumm und dösig«, heißt es folgerichtig in dem Schreiben eines Hamburger Malermeisters, der einen Kunden wegen illegaler Beschäftigung anzeigte. Eine Gruppe von Wochenmarkthändlern wiederum mochte nicht länger zusehen, wie ein Kollege beträchtliche Gewinne am Fiskus vorbeischleuste: »Wir kleinen Betrüger fühlen uns benachteiligt, denn wir lassen die Kirche im Dorf.« Unterschrift: »Die Regulatoren«.

Die Finanzbeamten sind immer wieder verblüfft, mit welcher Hingabe die selbsternannten Hüter der Steuermoral der Freizeitschnüffelei nachgehen. Zuweilen forschen sie monatelang die Lebensgewohnheiten ihrer Opfer aus und führen über jede Veränderung Buch.

So liest sich der Report eines Anonymus aus Bremerhaven über den Tagesablauf seiner Nachbarin, einer Putzfrau, wie das Protokoll eines Stasi-Spitzels: Über Wochen ist darin nicht nur aufgezeichnet, wann die Frau ihr Haus verließ, welche Buslinie sie bestieg und in welchen Treppenhäusern sie ihrer Arbeit nachging. In dem Report sind auch Kleidung, Einkäufe und Arztbesuche detailliert festgehalten, um vorgetäuschte Krankheiten und regelmäßige Schwarzarbeit zu belegen.

Auch wenn die staatlichen Geldeintreiber die Unterstützung aus dem Volke mitunter »menschlich nicht so schön« finden (Dörn), wird jeder Hinweis gewissenhaft geprüft. Immerhin setzt jeder dritte Brief ein Strafverfahren in Gang.

Insgesamt flossen im vergangenen Jahr rund 1,3 Milliarden Mark durch Steuernachforderungen für 1994 in die Staatskassen, dazu kamen Geldstrafen in Höhe von mehr als 64 Millionen Mark.

Um die Einnahmen weiter zu steigern, hat Berlin jetzt, nach Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, eine eigene Ermittlungsgruppe mit Polizeibefugnissen in der Finanzverwaltung eingerichtet. Selbstverständlich darf auch hier jedermann vorbeikommen, um Anzeige zu erstatten, auf Wunsch natürlich anonym.

Nicht immer führen die Ermittlungsgesuche allerdings zu dem vom Informanten erhofften Erfolg. Pech hatte etwa ein Autohändler aus Stade, der mehrfach telefonisch beim Finanzamt vorstellig geworden war, um seinen Nachbarn wegen steuerfrei betriebener Immobiliengeschäfte anzuschwärzen. Weil die Sache nicht so recht vorankam, hinterließ der Mann schließlich Namen und Telefonnummer »für eventuelle Rückfragen«.

Die hatten die Beamten dann schon bald: Bei ihren Nachforschungen waren sie auf ein paar krumme Autodeals zwischen den beiden Nachbarn gestoßen. Der Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung erging in zweifacher Ausfertigung.

Zur Ausgabe
Artikel 83 / 130
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren