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DENKER Durch dick und dünn

War der Gründer der »Waldorfschulen«, Rudolf Steiner, ein Okkultist und Rassist? Ein »Schwarzbuch Anthroposophie« macht Wirbel.
aus DER SPIEGEL 8/1997

Sie gleichen sich, bei eineiigen Zwillingen naheliegend, wie ein Ei dem anderen. Nun haben sie auch zusammen ein dickes Ei gelegt, und seither wird über sie gekräht.

Die Brüder Guido und Michael Grandt aus dem schwäbischen Balingen, 33, haben ein Buch geschrieben, gar ein »Schwarzbuch«. Das klingt gefährlich und verspricht Enthüllungen. Aufgedeckt werden soll, so verheißen es die Autoren im Untertitel, »Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung"*. Doch was gefährlicher ist, das Ergebnis der Recherchen der Grandt-Brüder oder das Vorgehen der Autoren, das bleibt einigermaßen offen.

Es geht um Rudolf Steiner (1861 bis 1925), den Stammvater jener skurrilen Weltanschauung namens Anthroposophie, und es geht um die »Waldorfschulen«, jene weithin beliebten Lehranstalten, in denen nach Steiners pädagogischen Vorstellungen unterrichtet wird. In Deutschland gibt es 162 dieser Schulen, und obwohl sie großen Zulauf haben, weiß der Durchschnittsbürger vor allem eines: Dort sind die Ecken rund.

* Guido und Michael Grandt: »Schwarzbuch Anthroposophie«. Ueberreuter Verlag, Wien; 320 Seiten; 39,80 Mark.

War also der aus Kroatien stammende, schwarzhaarige und dunkeläugige Österreicher Rudolf Steiner ein Rassist? Wenn, dann sehr zu seinem Nachteil, denn er befand: »Die Menschen würden ja, wenn die Blauäugigen und Blondhaarigen aussterben, immer dümmer werden.« Und Okkultist, sexualmagischer Satanist womöglich? Das ist ein weites Feld, das schon seit Jahrzehnten beackert wird, mal so, mal so.

Eine »grundsätzlichere Kampagne« wittert man auf Seite der Anthroposophen hinter dem Buch, das durch ihre einstweilige Verfügung möglicherweise erst zum Medienereignis wurde. In Deutschland darf das Werk zunächst nicht ausgeliefert werden, allein in Österreich ist es erhältlich. Dort sprach die Wiener Zeitung die presse von einem »anschaulichen Beispiel für journalistische Manipulation«.

Das Buch der Grandts bringt faktenmäßig wenig Neues; dubios hingegen werden die Brüder, wenn sie Waldorf-Eleven, pubertierende Teenies, als Kronzeugen wider ein vermeintliches Zwangssystem aufbauen. Vor allem aus dem Anthroposophen-Internat Schloß Hamborn melden die beiden Unschönes: Schüler würden dort mit Gewalt zum Essen gezwungen, Zimmer von Erziehern durchsucht.

Zugegeben: Fernsehen, Fußballspielen und Walkmanhören sind auf Schloß Hamborn einigen Kindern verboten. Gegen weitergehende Vorwürfe aber wehrt sich das Imperium Anthroposophie, eine beträchtliche Wirtschaftsmacht zwischen gesundem Apfelsaft und spezieller Medizin, gerichtlich und mit Flugschriften.

Auch für die Grandts, früher in »führender Position« auf dem Gebiet des »Möbeleinzelhandels« (Michael Grandt) tätig, geht es um ein lukratives Geschäft. Ihr Buch über die esoterische Uriella ("Fiat Lux«, 1992) und das »Schwarzbuch Satanismus« riefen, vorhersehbar, das Fernsehen auf den Plan. Sie gastierten in den Talkshows von Kiesbauer und Schreinemakers und drehten für das Fernsehen.

Seit eine Bekannte der Brüder nach dem Eintritt in eine Sekte gruselig verändert erschien, führen sie einen Feldzug gegen alles, was wie Satanismus aussieht. Einen weiteren Kick erhielten sie während einer »Outback-Tour« in Australien; da fiel ihnen ein Buch über »satanistisch-rituellen Kindermißbrauch« in die Hände.

Mittlerweile kooperieren sie »weltweit mit Satanismus-Experten«, betreiben ein »Netzwerk gegen kriminellen Satanismus« ("Sandro-Hope"), riskieren Prozesse, um »Kindern helfen zu können«; und gehen »gemeinsam durch dick und dünn«.

Sie selber mußten, erzählen sie, sich »von klein an durchsetzen«. Die Eltern trennten sich früh; der Vater, ein Grafiker, starb, so sagen sie, nach einer ärztlichen Fehldiagnose. Ihnen fehlte das »vertraute Heim«, das habe »Kämpfer« aus ihnen gemacht, und sie spürten »eine Art Berufung«.

In heiklen Situationen, etwa der Unterwanderung eines Geheimbundes mit laufendem Tonband, könnten sich die Zwillinge »intuitiv« aufeinander verlassen, sagen sie weiter; zudem hätten sie »viel Selbstverteidigung« geübt. Ihnen sei es sogar zu verdanken, daß ein »Kinderpornohändler« in Thailand verhaftet wurde.

Weit stecken sie auch das Ziel ihres »Schwarzbuch Anthroposophie«. Es sei ein »Aufruf an Politiker, Eltern, Sektenbeauftragte«, Steiners Anschauungen und die Waldorf-Einrichtungen »unter dem Gesichtspunkt des Rassismus und des Okkultismus zu beleuchten und kritisch zu prüfen«, ob sie denn »von unseren Steuergeldern finanziert werden müssen«.

»Erst wenn der Geldhahn zugedreht ist«, so die letzten Worte der Grandt-Brüder, würden sich »die Anthroposophen auch nach außen hin so zeigen, wie sie wirklich sind«.

* Guido und Michael Grandt: »Schwarzbuch Anthroposophie«.Ueberreuter Verlag, Wien; 320 Seiten; 39,80 Mark.

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