Dutroux-Affäre Belgien will Sexgerüchte um König Albert klein halten

Ein neues Enthüllungsbuch über den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux sorgt schon vor Erscheinen für Streit zwischen Belgien und Frankreich. In dem Buch werden Zeugen zitiert, die den belgischen König Albert II. auf Pädophilenpartys gesehen haben wollen. Doch kann der Autor das auch beweisen?

Brüssel/Luxemburg - Jean Nicolas ist zur Zeit richtig im Stress. Keine Minute vergeht, ohne das entweder sein Handy oder das Telefon in seinem Büro läutet. Meist hat der 50-jährige Rechercheur beide Hörer an den Ohren. Auf Englisch, Französisch und Deutsch gibt der Journalist aus Luxemburg Auskunft über sein neues Buch. Nebenbei telefoniert er mit seinem Verlag und weist seine Tochter an, dass sie doch bitte ruhig sein soll. "So geht das jetzt seit Tagen, ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht", stöhnt Nicolas. Ein leichtes Grinsen aus Stolz und Genugtuung kann er bei dieser Aussage jedoch nicht verstecken.

Die Anrufe jetzt sind jedoch erst der Anfang. Richtig losgehen wird es vermutlich erst am 10. September dieses Jahres. Denn an diesem Tag will der Pariser Verlag Flammarion ein Buch herausbringen, welches das Königreich Belgien tief erschüttern kann. "Dossier pédophilie - le scandale des l'affaire Dutroux" wird es heißen - zu Deutsch "Akte Pädophilie - die Skandalaffäre Dutroux". Das Thema: Pannen und Pleiten bei den Ermittlungen der Justiz im Fall des Marc Dutroux, dessen bestialische Kindermorde 1996 weltweit für Bestürzung gesorgt hatten. Sechs Mädchen, so die Erkenntnisse der Polizei, hatte er entführt. Seit fünf Jahren sitzt er in Haft.

Fall Dutroux interessiert kaum jemanden

Doch es ist nicht der Fall Dutroux oder die beschriebenen Pannen bei den Ermittlungen, welche die Spannungen zwischen dem Verlagsland Frankreich und Belgien eskalieren lässt. Es ist ein einziges Kapitel in dem Buch, das mit dem Fall Dutroux nur am Rande zu tun hat. Auf wenigen Seiten behandelt der Autor nämlich die Vergangenheit des belgischen Königs Albert II., gegen den Zeugen erhebliche Anschuldigungen erheben. "Mir liegen Aussagen aus drei verschiedenen Justizdossiers vor, die eindeutig belegen, dass der König in den frühen achtziger Jahren bei Sexpartys anwesend war. Auf diesen Partys nahmen neben normalen Frauen und Prostituierten auch Kinder teil", sagt Nicolas und wirkt dabei, als ob dies ein tagtägliches Ereignis ist.

Diese Nachricht schlug in Belgien ein wie eine Bombe. Zwar ist bisher vom Königshaus offiziell keine Stellungnahme zu erhalten, doch intern laufen die Drähte heiß. Der vorläufige Höhepunkt der Affäre um die Sexgerüchte: Vergangene Woche bekam der Pariser Verleger Charles-Henri Flammarion überraschenden Besuch. Unangemeldet wollte der belgische Botschafter Pierre Champenois mit ihm über die geplante Veröffentlichung des Dutroux-Buchs reden. Nach dem diplomatischen Geplänkel soll der Botschafter konkret um einen Stopp der Druckmaschinen gebeten haben. Bisher jedoch bleibt Flammarion hart und will das Buch in die Läden bringen. Natürlich weiß auch er, dass ihm besonders der jetzige Streit einen Bestseller-Erfolg zuspielt.

Halten die Beweise, was der Autor verspricht?

Nicolas fühlt sich inzwischen beobachtet. Jedes Knacken in der Telefonleitung, jedes Auto vor der Tür oder Männer, die ihm angeblich folgen, findet er verdächtig. Einmal standen sogar belgische Geheimpolizisten vor seinem Haus und observierten ihn. Erst die örtliche Polizei konnte sie entfernen.

Ob jedoch die Beweise in dem Buch von Jean Nicolas wirklich stichhaltig sind, kann bezweifelt werden, denn Behauptungen wie die von Nicolas sind nicht neu und in Belgien auch nicht mehr wirklich originell. Immer wieder gab es über Albert II. diverse erotische Geschichten aus zwielichtigen Etablissements oder über uneheliche Kinder und andere Anrüchigkeiten. Die Episode einer unehelichen Tochter, die in London lebt, ist mittlerweile sogar offiziell bestätigt.

Behinderten Politiker die Dutroux-Ermittlungen?

Nun soll der heute 67-jährige König auch in den Fall Dutroux verwickelt sein - wenn auch nur indirekt. Denn Nicolas sagt deutlich, dass er keine Beweise dafür hat, dass Albert auch Kontakt zu den Kindern hatte. Der Grund für die angenommene Verstrickung ist ein anderer: Denn schon lange wird europaweit kolportiert, dass die offenkundigen Schlampereien bei den Ermittlungen im Fall Dutroux entstanden sind, weil hoch gestellte Persönlichkeiten unangenehme Enthüllungen über sich selbst fürchteten. Dazu würde die Teilnahme des Königs an solchen Partys durchaus passen.

Bisher haben die Heerscharen von Rechercheuren jedoch nie einen Beweis dafür gefunden. So gab es beispielsweise 1996 auch Aussagen einer deutschen Prostituierten über einen ehemaligen deutschen Top-Politiker, der bei solchen Sexpartys mit Kindern in Belgien anwesend gewesen sein soll. Doch die Ermittlungen der Polizei - wohlgemerkt der deutschen - verliefen trotz großem Aufwand ergebnislos. Gegen die Glaubwürdigkeit des Journalisten Nicolas spricht, dass er genau diesen veralteten Verdacht erneut in seinem Buch verkaufen will - offenbar ohne bei der Polizei nachrecherchiert zu haben.

Zeuginnen nahmen Aussagen zurück

Doch Nicolas ist von seinen neuen Erkenntnissen über Albert II. überzeugt. "Mir liegen Zeugenaussagen vor, die alles belegen", sagt er und meint damit Aussagen von zwei Frauen, die in einem anderen Verfahren in der Tat zumindest den Namen des Königs im Zusammenhang mit Sexpartys nannten. Dass beide Frauen die Aussagen so mittlerweile nicht mehr wiederholen und alles bei einer Vernehmung eines Untersuchungsrichters zurücknahmen, zählt für Nicolas nicht. Doch es steht in der gleichen Akte, die auch ihm als Basis für sein Buch diente. Um eine Erklärung für die plötzliche Wendungen in den Erinnerungen der Zeuginnen ist der Autor trotzdem nicht verlegen: "Natürlich wurden die Zeugen eingeschüchtert und nahmen danach ihre Aussagen über den König zurück", behauptet er. Selber befragt hat er die beiden Frauen nie, denn sie wollten nicht mit ihm sprechen.

Trotzdem ist sich der Autor heute schon über die Folgen seiner Enthüllungen sicher und meint, dass sein Buch "wie eine Bombe einschlagen wird". Und noch mehr: "Wegen dieser Sexpartys wird Albert endgültig zurücktreten müssen." In der Tat ist selbst die Duldung dieser Art von Missbrauch oder gar der Kinderprostitution nicht nur ein Rücktrittsgrund sondern ein schweres strafrechtliches Vergehen. Zeuginnen wie die beiden Frauen jedoch sind juristisch wertlos und reichen maximal für ein Skandal in den bunten Blättern der belgischen Hofberichterstatter.

Der Fall Dutroux bleibt ein Skandal

Jedoch ist Jean Nicolas kein unseriöser Journalist. Er hat bereits mehrere Skandale aufgedeckt und verfügt über exzellente Kontakte in den Polizei- und Justizapparat Belgiens. So konnte der Rechercheur 1998 die Vetternwirtschaft der damaligen EU-Kommissarin Edith Cresson enthüllen, bis sie - und später die gesamte Kommission - zurücktrat. Auch unter Reporterkollegen gilt Nicolas als unermüdlicher Arbeiter, auch wenn er - wie es ein belgischer Journalist sagt, "manchmal übers Ziel hinausschießt".

Doch die skandalträchtigen Enthüllungen über König Albert, egal ob sie zutreffen oder nicht - können eins nicht vertuschen: Die eklatanten Fehler der Justiz bei den Ermittlungen im Fall Dutroux. Fünf Jahre sitzt er bereits im Knast, einmal konnte er sogar fliehen. Ob es je zu einer Anklage gegen den mutmaßlichen Kindermörder kommt, steht in den Sternen. Über 20.000 Seiten dick ist mittlerweile die Ermittlungsakte. Doch über Enthüllungen dieser Fehler will Nicolas bisher nicht reden. "Ich habe auch hier einiges Neues, doch wenn ich das auch noch erzähle, braucht ja niemand mehr das Buch zu kaufen, außerdem wird mein Verleger böse", kokettiert der viel gefragte Buchautor. Vieles andere, was er sagt, scheint zumindest denkbar. Ein Flop für das Skandalbuch in den Buchhandlungen jedoch nicht.

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