Einsturz des Historischen Archivs Stadt Köln wehrt sich gegen Schlamperei-Vorwürfe

Risse, Wasserschäden, Sorgen wegen des U-Bahn-Baus in der Nähe: Mitarbeiter des eingestürzten Historischen Archivs in Köln erheben den Vorwurf, Warnhinweise vor dem Unglück seien nicht ernst genug genommen worden. Die Stadt weist alles zurück - Helfer suchen weiter nach möglichen Vermissten.

Köln - Seit Tagesanbruch suchen die Rettungskräfte weiter nach möglichen Verschütteten an der Einsturzstelle des Historischen Stadtarchivs in Köln. Die Einsatzkräfte gehen derzeit von vier vermissten Personen aus: Zwei männlichen Bewohnern eines Nachbarhauses sowie zwei Insassen eines Fahrzeuges auf der Severinstraße, das unter den Trümmern begraben worden sein soll.

Die Bergungsarbeiten seien "sehr kompliziert und äußerst mühsam", sagte ein Feuerwehrsprecher. Die Suche nach den Vermissten könne erst fortgesetzt werden, wenn die Unglücksstelle stabilisiert ist, hieß es. Dazu wurden rund tausend Kubikmetern Beton aufgefüllt. Dadurch solle verhindert werden, dass der Boden erneut nachgibt. Auch Überreste der beiden benachbarten Wohnhäuser drohen abzufallen.

An der Unglücksstelle hatten am Dienstagabend Spürhunde angeschlagen. Dies könne ein Hinweis auf Verschüttete sein, sagte der Sprecher. Die Suche nach ihnen könne aber erst beginnen, wenn Dachtrümmerreste über dem Trümmerkegel beseitigt worden seien. Dafür benötige man ein Kranfahrzeug und anderes schweres Gerät. Noch konnten sich die Einsatzkräfte kaum weiter vorarbeiten, weil auch in den Trümmern weiterhin eine erhebliche Einsturzgefahr besteht.

Sollten tatsächlich Menschen verschüttet worden sein, sind ihre Überlebenschancen gering. "Eine schnelle Rettung ist nicht möglich", sagte der Direktor der Kölner Feuerwehr, Stefan Neuhoff. Es sei unwahrscheinlich, dass sich in dem Schutt Hohlräume befänden. Die Polizei hat um die Einsturzstelle einen Sicherheitsbereich von 150 Metern eingerichtet.

Das Archivgebäude und zwei benachbarte Wohnhäuser waren am Dienstag zusammengebrochen, möglicherweise durch einen Erdrutsch aufgrund eines U-Bahn-Baus.

Feuerwehrleute und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks drangen unterdessen zu einem weitgehend unbeschädigten Anbau des Archivs vor, aus dessen Keller nun Archivmaterial geborgen wird. Die Akten, Dokumente und weiteres Archivmaterial würden in ein Zwischenlager gebracht, dort gesichtet und inventarisiert, sagte ein Feuerwehrsprecher. Im Laufe des Tages solle die Einsturzstelle mit Planen abgedeckt werden, um das noch intakte Archivmaterial vor Regen zu schützen.

Mitarbeiter des Archivs erhoben Vorwürfe gegen die Stadt. Es habe schon vor längerer Zeit deutliche Schäden in dem Gebäude gegeben, sagte der ehemalige Abteilungsleiter Eberhard Illner dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Da muss ein Ingenieur richtig einen an der Klatsche haben, wenn man solche Hinweise nicht ernst nimmt", kritisierte er. Es sei "grob fahrlässig" gehandelt worden. Eine langjährige Mitarbeiterin des Archivs sagte der Zeitung: "Wir hatten laufend Wasserschäden." Die Kölner Verkehrsbetriebe hätten jedoch nie zugegeben, dass diese Schäden auf die Bauarbeiten zur Erweiterung der U-Bahn zurückgingen: "Das konnte ja nicht gut gehen."

Dagegen sagte Stadtdirektor Guido Kahlen, Mitte 2007 habe ein Sachverständigenbüro ein Gutachten erstellt, aus dem hervorgegangen sei, dass die Risse die Statik nicht beeinträchtigten. Im Dezember 2008 habe ein Statiker dies bestätigt. "Nach jetzigem Stand waren die damals festgestellten Schäden nicht ursächlich für das Unglück", sagte Kahlen.

Der nordrhein-westfälische Bauminister Lutz Lienenkämper (CDU) sagte, das Archiv habe "die größte und bedeutendste Sammlung ihrer Art in Deutschland" bewahrt. Illner sprach von einer "Katastrophe nicht nur für Köln, auch für die europäische Geschichtsschreibung". Die Ratsprotokolle und Urkunden aus dem Mittelalter seien einmalig gewesen: "Die gesamte Überlieferung der Stadt Köln ist komplett vernichtet", sagte er.

Das vierstöckige Haus im Kölner Severinsviertel war am Dienstagmittag auf die Straße und in eine nahe gelegene U-Bahnbaustelle gekippt. Zwei benachbarte Wohngebäude fielen teilweise in sich zusammen. Das Archiv umfasst Dokumente aus mehr als tausend Jahren Kölner und rheinischer Geschichte, unter anderem 65.000 Urkunden, 104.000 Karten und eine halbe Million Fotos. Auch zahlreiche Nachlässe, darunter der des Schriftstellers Heinrich Böll, befinden sich in dem Archiv. Die früheste Urkunde stammt aus dem Jahr 922.

Historisches Archiv der Stadt Köln

plö/ala/dpa/ddp/AFP
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