Elterncouch Kleine Kinder, große Schlangen

Mädchen mit Albino-Python: "Echt Panik"

Mädchen mit Albino-Python: "Echt Panik"

Foto: Getty Images/ iStockphoto

Kennen Sie das? Sie wollen nur das Beste für den Nachwuchs, aber heraus kommt etwas echt Dummes? Juno Vai schämt sich noch heute für ihr ganz persönliches Python-Fiasko.

Kinder sind manchmal wahnsinnig süß - und manchmal machen sie uns wahnsinnig. Für SPIEGEL ONLINE legen sich eine Mutter und zwei Väter regelmäßig auf die Elterncouch.

Juno Vai schreibt auf der Elterncouch  im Wechsel mit Theodor Ziemßen und Jonas Ratz.

Meine Tochter ist jetzt in einem Alter, in dem ich mich periodisch für sie schäme. Wie neulich, als wir sie extra nach München brachten, weil ihre Lieblings-Boyband dort auftrat. Ich bettelte um Gnade: Picklige Jungs, die Pop-Plattitüden von sich geben, während ringsum hysterische Fans kollabieren, machen mich nervös. Also opferte sich mein Mann und begleitete Vic und ihren zwölfjährigen Bruder auf das Event. Ich versteckte mich solange in einem Café.

Als ich die Familie später abholte, war meine Tochter heiser vom "I love you Zac Jack Dan"-Schreien. Triumphierend hielt sie ein rosafarbenes Barbie-Krönchen in die Luft, das sie im Sprung aus den Händen ihres Idols ergattert hatte und an dem offenbar noch das Haargel von Zac, Jack oder Dan klebte.

Ich freute mich für sie, so gut es ging. Ehrlich jetzt. Schließlich war das alles herrlich normal und sie hatte noch nicht einmal Alkohol getrunken, um in diese Bombenstimmung zu kommen (so wie wir es mit 15 gemacht hätten). Aber dann bog plötzlich der Tour-Bus um die Ecke - und sie lief tatsächlich wie angestochen hinterher. Mein Sohn auch, allerdings eher aus Reflex, weil er sich im Ernstfall immer an seine Schwester hält.

Es gab schon Momente, in denen ich mich für mich als Mutter geschämt habe

Die beiden verschwanden also in einem Pulk um die Ecke und ich hatte Zeit mir zu überlegen, wofür sich Vic wohl meinetwegen schämen wird, in nicht allzu ferner Zukunft. Vielleicht fange ich an, über ihre angepasste Neo-Spießer-Generation zu meckern oder Veteranen-Geschichten aus meiner Punk-Periode zu erzählen. Absolut verachtenswert. Ich kriege bestimmt auch Marotten, werde motzig und mit 150-prozentiger Wahrscheinlichkeit altersstarrsinnig.

In Wahrheit gab es schon Momente, in denen ich mich für mich selbst als Mutter geschämt habe. Einer davon ist dauerhaft dokumentiert: Bei uns im Treppenaufgang hängt ein Foto von Vic, auf dem sie etwa sechs ist. Sie sitzt auf einer Truhe, ihre blonden Haare kleben verschwitzt am Kopf und sie zeigt ein hinreißendes Zahnlücken-Lächeln. Die Bäckchen sind unnatürlich gerötet, fast als habe sie heftiges Fieber.

Das liegt mit großer Wahrscheinlichkeit an dem etwa zwei Meter langen Albino-Python, der sich um ihren Hals windet. Ein schweres, extrem muskulöses Exemplar, in dessen mopsiger Mitte man mit etwas Phantasie noch die Konturen eines zum Frühstück vertilgten Nagers erkennt.

Bei einem Ostsee-Besuch hatten wir mit Freunden den dort gastierenden Mini-Zirkus besucht, um die Kinder bei Laune zu halten. Als eine Dompteurin nach der Vorstellung die Kiste öffnete und das mächtige Reptil herauszog, gab es für Vic kein Halten mehr.

Her mit der Schlange, zack, rauf aufs Kind!

Nun ist es so: Ich finde Zirkusse grundsätzlich deprimierend und Schlangen lösen bei mir ganz unabhängig von Form und Farbe fast immer Panik aus - egal ob im Dschungel oder in einer Zirkustruhe, wo sie naturgemäß eh nicht hineingehören.

In Costa Rica bin ich mal spät abends fast auf eine Korallenschlange getreten. Ich war im fünften Monat schwanger und es ist wohl nur dem Überschuss an Hormonen zu verdanken, dass ich für meine Verhältnisse geradezu sensationell souverän reagierte: Ich machte zwei Ausfallschritte nach links und ließ dem Tier den Vortritt. Eine Ausnahme, denn in der Regel befürchte ich selbst noch im Zoo, dass sich die Trennscheibe zwischen mir und Schlange wie bei Harry Potter plötzlich auflöst und ich geliefert bin.

Die Vorstellung, einen Python auf den zarten Schultern meiner Tochter zu sehen, behagte mir also gar nicht. Anstatt aber "Och nö, das lassen wir mal" zu sagen, witterte ich Projektion: Ich konnte/durfte/sollte doch bitte nicht meine eigenen Ängste auf das Kind übertragen, herrje, wie unreflektiert!

Also her mit der Schlange, zack, rauf aufs Kind, hey, toll, wie die sich anfühlt, oder? Vater und Sohn applaudierten. Vic saß ein wenig eingesunken da, fast schien sie unter dem Gewicht zusammenzubrechen. Sie lächelte tapfer. Ich beobachtete nervös jede kleinste Bewegung des Pythons, mahnte zur Eile, ein Foto wurde geschossen, das Tier wieder in die Kiste gepackt. Schnell weg.

Zu Hause wurde das Bild aufgehängt, Heldengeschichten wurden erzählt, ich hatte das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Jahre später lief ich mit Vic gemeinsam die Treppe hoch und unsere Blicke fielen auf das Python-Foto. "Boh", sagte meine Tochter. "Das war schon krass. Das Vieh war so schwer und es hat mir voll den Hals abgedrückt. Echt Panik damals."

Ich schluckte. Wir hatten gerade ein Bild danebengehängt. Es zeigt ihren spöttisch lächelnden Bruder in einem Park in Minsk. Auf seinen Schultern krümmt sich ein magerer, recht quirliger Python. Mutmaßlich hungrig - von Frühstücksratte keine Spur.

Zur Autorin
Foto: Michael Meißner

Juno Vai,
Mutter von Vic (15) und Vito (12)

Liebstes Kinderbuch: der Pinguin-Comic von meinem Sohn

Nervigstes Kinderspielzeug: alles mit komplizierten Anleitungen

Erziehungsstil: Liebe, Verlässlichkeit, Respekt

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