Endzeit-Apostel Mit Liebe durch die Apokalypse

Auf einem ehemals fürstlichen Gutshof in Bayern haben sich Angehörige der Zwölf Stämme niedergelassen. Sie sehen sich als die wahren Jünger Jesu. Die Brüder und Schwestern bauen an einer Endzeit-Gesellschaft des Friedens und der Liebe - doch auf Gegenliebe stoßen sie nicht.
Von Alexander Schwabe

Klosterzimmern - Wenn David abends um sechs Uhr den Schofar, ein Widderhorn, bläst, haben die Familienväter der Zwölf Stämme noch eine Stunde Zeit, um Frieden zu machen. Wenn die Frau Friede hat, wenn bei den Kindern alles in Ordnung ist, wenn alle Missverständnisse und Nöte beiseite gepackt sind, sind sie bereit zum Dankopfer.

Die 51 Erwachsenen und 34 Kinder der Gemeinschaft treffen sich in den zwei Versammlungsräumen des Hofguts Klosterzimmern mitten im Nördlinger Ries. In der Tradition der neutestamentlichen Ur-Gemeinde beten sie zu Jahschua, den die Christen Jesus nennen.

Das Abendopfer ist ein geistiger Akt. Die Stammes-Angehörigen übergeben alles, was sie sind und haben, der Gemeinschaft.

Im Frieden mit sich selbst, drücken sie selbigen auch untereinander aus. Jeder umarmt jeden, jeder wünscht jedem Schalom, jeden Morgen um sieben, jeden Abend um sieben. Die Ehepaare stellen sich im Kreis auf, umgeben von ihren Kindern. Einige der Frauen sind schwanger. Von Klarinette und Gitarre begleitet beginnt eine kleine Gruppe im Kreis der Glaubenden einen Reigen zu tanzen.

Bärte, Zöpfe, Lederriemen

Weil Eitelkeit bei den geistig erneuerten Menschen keinen Platz hat, tanzt niemand modisch aus der Reihe. Die Frauen tragen beim Gottesdienst lange Röcke, lange Kleider oder weit geschnittene Hosen. Ihr Haar ist zu einem langen Zopf geflochten, ihr Haupt immer von einem einfarbigen Kopftuch bedeckt. Alle Männer tragen Bärte. Ihr Haar ist zu einem Pferdeschwänzchen gebunden. Einige tragen Lederriemen um die Stirn.

Das Volk Israels öffnet sein Herz. "Ich bin so dankbar, dass wir zu einer guten Entscheidung gekommen sind, und das Geld 50 zu 50 geteilt haben", sagt eine Frau. Das Haushaltsgeld in der Gemeinschaft ist knapp. Die Kosten für den Lebensunterhalt belaufen sich trotz eines bescheidenen Lebensstils auf rund 10.000 Euro im Monat.

"Du hast gegeben und gegeben, obwohl du so wenig hattest", erfährt sie Anerkennung aus dem Kreis, "wie auch unser Meister Jahschua alles gegeben hat". "Amen", "Amen", "Amen", raunt es im Raum. Einer der Männer, die sich für ein Krippenspiel erst gar nicht verkleiden müssten, bringt es auf den Punkt: "Wo Liebe ist, da ist kein Geiz."

Geben ist seliger als nehmen, daher gibt es bei Jahschuas Jüngern viele fröhliche Gesichter. Die Liebessüchtigen haben ihr Leben radikal geändert. Das friedlose und sinnentleerte Leben in der Gesellschaft liegt hinter ihnen, sagen sie. Sie wollen an die Tradition der Ur-Christen anknüpfen, wie sie der Evangelist Lukas beschrieben hat: "Alle Gläubigen waren beieinander und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie unter allen."

Das Millionen-Opfer

Eines der Ehepaare in Klosterzimmern brachte durch den Verkauf seines Eigentums so viel ein, dass sich die Gemeinschaft vor zwei Jahren das Gut des Fürsten Moritz zu Oettingen-Wallerstein für 1,8 Millionen Mark kaufen konnte.

Einst bearbeiteten von hier aus 80 Angestellte des Hochadeligen 300 Hektar fruchtbares Ries-Lössland, das durch einen Meteoriteneinschlag vor 15 Millionen Jahren entstanden war. Sie züchteten Schweine und Hühner und betrieben eine Mühle am Zusammenfluss von Mauch und Eger. Bevor das stattliche Anwesen im 17. Jahrhundert in fürstlichen Besitz kam, beteten hier seit dem 12. Jahrhundert Zisterzienser-Nonnen.

Mit dem Klosterleben der frommen Frauen hat das religiöse Leben der Stammesgemeinde wenig gemein. Die Kirchen sind für die Anhänger des Meisters Jahschua kraftlose Gebilde, die den wahren Charakter Gottes entstellten. Das Christentum gilt ihnen als ein religiöses System, als Teil einer Strategie des Satans, "den Menschen davon abzubringen, zu tun, was gut und recht ist".

Hilfe aus dem Heiligtum von früh bis spät

Die Gemeinschaftsleute haben sich hebräische Namen gegeben. Isch Hadasch ("neuer Mann"), ein 62-jähriger Sachse, sagt: "Wir sind der Kirche ein Dorn im Auge, weil wir so leben wie die Urgemeinde vor 2000 Jahren." Doch die frühen Christen seien abgedriftet und hätten ein bequemes Leben gewählt. "Unser Leben aber ist ein täglicher Kampf", sagt der frühere Maschinenbauingenieur. "2,5 Milliarden Christen auf der Welt - das müsste eine Kraft sein. Doch was machen sie?" fragt er abschätzig, "sie schlagen sich die Köpfe ein."

In Klosterzimmern ist das anders. Die heutigen Ur-Christen sind überzeugt, dass sie ihre Kraft positiv nutzen. So zieht beispielsweise ein Weckdienst mit dem ersten Hahnenschrei morgens gegen sechs Uhr mit Gitarre und Gesängen durch die Gänge. "Jahschua, send us help from the sanctuary." "Jahschua, sende uns Hilfe aus dem Heiligtum", singt das Grüpplein, während die Schwestern und Brüder Bad und Toilette aufsuchen.

Vor dem gemeinsamen Frühstück kommt die geistige Stärkung. Auffällig gut gelaunte Menschen umarmen sich in aller Herrgottsfrüh, wünschen sich Schalom, nicht eines aus der Kinderschar ist am Quengeln - obwohl der Magen knurrt. "Unser Meister Jahschua hat die Kraft, unsere Nation, das neue Israel aufzubauen", sagt Isch Hadasch. Die Gemeinschaft pflichtet mit einem vielstimmigen "Amen" bei.

Apocalypse how?

Noch hat der Meister den Aufbau des neuen, geistigen Israel nicht vollendet. Bisher haben sich weltweit zehn der zwölf Stämme gebildet. Joseph und Benjamin fehlen noch. Die Bewegung wurde Anfang der siebziger Jahre durch Elbert Eugene Spriggs in Chattanooga im US-Staat Tennessee gegründet. In der Stadt im bible belt entstehen viele religiöse Gemeinschaften. Den "Twelve Tribes" haben sich bisher rund 2000 Menschen angeschlossen. Spriggs, der sich Yonek nennt, gilt ihnen als "super apostle". Den Stamm in Deutschland, Levi, gibt es seit rund zehn Jahren.

Wenn das Dutzend voll sein wird, hat der Countdown für das Weltende begonnen. Der Stammesverband muss dann 50 Jahre in Frieden zusammenleben, bevor Meister Jahschua zurückkehren wird. Er wird das tausendjährige Reich des Steinkönigtums errichten.

Die Apokalypse hat einen präzisen Zeitplan. Hass und Gewalttätigkeit, Habgier, Stolz und Egoismus werden die Menschheit zerfressen. Durch die Zerstörung der Umwelt und wegen des Ruins der Moral wird nach der Lehre der Stämme das Ende in Form einer kosmischen Katastrophe hereinbrechen. Das göttliche Gericht wird die Erde mit Flut und Feuer überziehen.

Platt gedrückte Pole und dicker Äquator

Wenn die Sonne die Eismassen an den Polen abschmelzen wird, wird eine gigantische Welle alle Küstenstreifen überrollen. Die Stammesgläubigen erwarten, dass die Rotation der Erde beschleunigt wird. Die Pole werden platt gedrückt und der Äquator geweitet werden. Durch den enormen Druck im Erdinnern wird es zu gewaltigen Erdbeben und Vulkanausbrüchen kommen.

Die Friedfertigen und Liebenden, die im Steinkönigreich leben, werden 1260 Tage vor dem vernichtenden Weltgericht in die Wildnis ziehen müssen, denn "der Antichrist wird alles mobilisieren, um unsere Lebensweise zu zerstören", sagt Stammesbruder Dieter Musiol, genannt Nahum.

Noch aber bringt Jehu auf dem Klosterzimmerer Gut mit einer Schubkarre die Ernte ein. Dutzende Krautköpfe schafft er in die Speicher. Das nahezu autarke Leben rüstet die verschworene Gemeinde für die Endzeit. Nach Bio-Richtlinien baut sie Kohl, Getreide, Kartoffeln, Sellerie, Blumen- und Rosenkohl, Rote Rüben, Erdbeeren, Lauch, Zwiebel, Brokkoli und Paprika an. Ein Traktor und Ackergeräte erleichtern das Bestellen des Landes.

Die bibeltreuen Alternativen machen Joghurt aus der Milch der beiden Kühe, trinken Ziegenmilch, Wasser, Kräuter- oder Matetee. Sie halten 20 Schafe, melken von Hand, lesen die Kartoffelkäfer von den Stauden, schneidern ihre Kleider selbst, backen Dinkelbrot, bereiten Tofu und Hirse zu, essen mit Gabel oder Essstäbchen.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum der Mann über der Frau steht, und wie das Reich Jahschuas mit der Welt kollidiert: Konflikte mit den Behörden, Konflikte mit der Kirche. Lesen Sie über ein Elternpaar, das im Gefängnis sitzt, weil es für den Tod seines Sohnes verantwortlich gemacht wird

Offiziell kennt die Gemeinschaft keine Hierarchie. Zumindest eine aber gibt es: Die Frau muss sich dem Mann unterordnen - so will es angeblich der Schöpfer. Frauen seien im geistigen Leben weniger standhaft als Männer. Sie sind für die Hausarbeit zuständig, während der Mann im Schweiße seines Angesichts arbeitet, um die Familie zu ernähren.

Einige der Stammesversorger verdingen sich als Monteure bei Möbelunternehmen. Die anderen, darunter Musiker, Mathematiker, Sozialarbeiter, Tiermediziner, Kältetechniker, ein algerischer Marineoffizier und ein Ex-Bankkaufmann sind auf dem Gut beschäftigt. Sie renovieren die Gebäude, arbeiten auf den Feldern, unterrichten Kinder und halten den Fuhrpark mit acht Wagen in Schuss. Darunter sind ein paar Transporter und ein mit Sitzecken, Schlafplätzen und einer Küche ausgestatteter alter Omnibus, mit dem die Gutsbewohner zu Folklorefesten fahren.

"Es geht darum, Tempo und Art der Arbeit möglichst selbst zu bestimmen", sagt Nahum, "nicht die Arbeit, nicht Geld, nicht Hobbys stehen im Mittelpunkt, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen." Als Nahum vor 24 Jahren zur Gemeinschaft in den USA stieß, war er überwältigt von den Stammesjüngern. "Ich kam in eine Atmosphäre voller Wärme und Frieden", sagt er - "love bombing" nennen es Sektenkritiker.

Kein Sex vor der Ehe

Unermüdlich sind die Brüder und Schwestern dabei, Konflikte zu lösen, Missverständnisse auszuräumen, nicht eingeschnappt und angefressen zu sein, sondern den Anderen zu tolerieren, wenn er einem auf den Keks geht. Rund um die Uhr Verständnis, 365 Tage im Jahr Vergebung. Das Jahschua-förmige Leben kennt keinen Urlaub.

Wer ein Zweig bei den Stämmen werden will, muss erst mal Blätter lassen. Taschengeld, Kinobesuch, Schokolade, Fernsehen, Shopping, Bummeln, Studium, Fußball, Sex vor der Ehe, nach solcherlei Versüßungen des täglichen Lebens steht ihnen nicht der Sinn. Nahum sagt: "Wir wachsen als Priester auf" - und Priester widerstehen weltlichen Versuchungen.

Das Jahschua-konforme Leben kennt auch keine tollen Wohnungen. Die Familien leben, abhängig von der Anzahl der Kinder, in ein oder zwei kleinen Zimmern und teilen sich die Gemeinschaftsräume, in denen gegessen und gebetet wird.

Die Zwölf Stämme halten den Sonntag nicht, sondern feiern den jüdischen Sabbat. Weihnachten, Ostern, Pfingsten haben keine besondere Bedeutung für die Jünger, denn, so sagen sie, sie gedenken täglich der Präsenz des heiligen Geistes. Bei Kindergeburtstagen steht nicht das Dasein des Kindes im Zentrum, sondern die Ehrung der Mutter, die unter Schmerzen geboren hat.

Stimmung bei den Stämmen

Wenn sich einer der heranwachsenden Stämmlinge in einer Bar-Mizwa-Feier zum Glauben der Eltern bekennt, herrscht Hochstimmung im Stammesland. "Das ist ein Zeichen, dass die Kinder die Eltern schätzen und ihnen dankbar sind", sagt der 52-jährige Nahum, dessen Frau im Alter von 44 Jahren in wenigen Wochen ihr erstes Kind gebären wird.

Groß ist die Freude, wenn sich zwei junge Jahschua-Jünger fürs Leben gefunden haben. Der Heiratsmarkt ist eng. Etliche haben ihren Partner bei den Stämmen in den USA oder Frankreich kennen gelernt. Die Vorbereitungen für eine Hochzeit laufen Tag und Nacht über ein bis zwei Wochen. Lieder werden geschrieben, Tänze einstudiert. Das Fest ist der bunte Ausdruck des Gemeinschaftslebens. Das Heiratsalter ist relativ niedrig, nur wenige Frauen sind älter als 20.

Bei der Partnerwahl haben die Ältesten ein Wörtchen mitzureden. Sie können am besten beurteilen, "ob sich ein Paar gegenseitig aufbaut". Denn Liebe sei mehr als ein Gefühl, Liebe heiße Verantwortung zu übernehmen - und treu zu sein. Die Scheidungsquote liegt bisher bei null Prozent. Verhütet wird im Allgemeinen nicht.

Ärger mit den Behörden

Sind die Kinder einmal da, werden sie "in der besten Umgebung groß, die es gibt", sagt Isch Hadasch. Die Mitglieder der Zwölf Stämme schicken ihren Nachwuchs nicht in die Schule, denn: "Wir lassen uns und unsere Kinder nicht von den geistigen Einflüssen und Strömungen dieser Zeit beeinflussen."

Kolev, 45, mit bürgerlichem Namen Klaus Schüle, war bereits zwei Tage in Beugehaft, als die Gruppe noch im baden-württembergischen Oberbronnen wohnte. Er hatte das älteste seiner sechs Kinder nicht in die Schule geschickt.

Diese Haltung hat jüngst die bayerische Kultusbehörde in Person von Monika Hohlmeier (CSU) auf den Plan gerufen. Sie will das Recht der Kinder auf eine Schulausbildung durchsetzen. Weil die Stammeskinder der Schulpflicht nicht nachkommen, rückte am 7. Oktober die Polizei auf dem Gemeinschaftsgut an.

Die Beamten brachten die Kinder in die Grund- und Hauptschule ins zwei Kilometer entfernt gelegene Deiningen. Am nächsten Tag war alles beim Alten. Das Zwangs- und Bußgeld gegen die Familien beläuft sich inzwischen auf rund 45.000 Euro. Gezahlt wurde bisher nicht.

Besuch aus Yehuda

In kleinen Klassen werden die Kinder in der eigenen Schule in Klosterzimmern unterrichtet, montags bis donnerstags von neun bis eins. Ferien gibt es keine. Das Diktat in der dritten Klasse hat heute die Überschrift "Besuch aus Yehuda". Zurzeit lässt der Donauwörther Landrat Stefan Rößle (CSU) prüfen, ob den Eltern das Sorgerecht für die schulpflichtigen Kinder entzogen werden soll.

Kirchliche Kritiker werfen den Jahschua-Leuten vor, sie würden die Kinder durch die Prügelstrafe züchtigen. Der niedersächsische Sektenbeauftragte Gert Glaser spricht von einer "Instanz der Gehirnwäsche und Bewusstseinsmanipulation". Dass hinter den Mauern Klosterzimmerns Kinder vorsätzlich misshandelt werden, ist für Besucher allerdings schwer vorstellbar. Die Kinder musizieren in der Familie, basteln, spazieren gemeinsam über den Hof, sind fast immer mit den Müttern zusammen. Sie wirken ausgeglichen, freundlich, offen und selbstbewusst.

Der bayerische Sektenbeauftragte Wolfgang Behnk schreibt in einem Aufsatz: "In dem Bestreben, unter ihren Mitgliedern Harmonie und Liebe zu sichern, bedient die Gemeinschaft sich der Mittel geistiger Bevormundung, kollektiver Vereinnahmung, hierarchisch-autoritärer Unterwerfung, disziplinarischer Repression und sozialer Isolation." Der Münchner Kirchenrat sieht die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne des Grundgesetzes bei den Zwölf Stämmen so wenig gewährleistet wie die Freiheit eines Christenmenschen.

Dorfpfarrer, Fürst und Priester - Streit um ein Kirchlein

Auch beim Deininger Dorfpfarrer Reinhard Caesperlein stößt die Oase des Friedens und der Liebe im Nördlinger Ries auf wenig Gegenliebe. Seit 1559 feiern lutherische Christen ein paar Mal im Jahr in der auf dem Hofgut gelegenen Heilig-Kreuz-Kirche Gottesdienst. Das katholische Fürstenhaus Oettingen-Wallerstein - dem Erbfolger widmet die "Bunte" hin und wieder eine Schlagzeile - hatte der evangelischen Kirche noch im Jahr 1966 das Nutzungsrecht bestätigt.

Der Ältestenrat der Zwölf Stämme wollte den christlichen Gottesdienst auf ihrem Grund und Boden nicht dulden. Sie nutzen die Kirche täglich als Tanz-, Speise- und Bet-Raum. Pfarrer Caesperleins Klage aber war erfolgreich. Das Verwaltungsgericht Augsburg entschied am 1. Oktober 2002, dass die Deininger Gemeinde in die Klosterkirche acht bis zehn Mal im Jahr einziehen darf. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Charakter der Kirche hat sich inzwischen völlig verändert. Das wertvolle Chorgestühl, mit Schnitzereien verzierte Bänke, Steintafeln und die Kanzel wurden ausgeräumt. Die Stammes-Priesterschaft geriet unter den Verdacht, die Antiquitäten verscherbelt und den Gewinn eingestrichen zu haben.

Vielleicht zu Unrecht. Inzwischen laufen Ermittlungen gegen den 55-jährigen Fürsten, der die Kirchengüter unrechtmäßig entfernt haben soll. Dieser will dies öffentlich nicht kommentieren. Gegenüber der Staatsanwaltschaft Augsburg teilte das Haus Wallerstein mit, es bestreite, dass es sich bei der Klosterkirche um ein öffentliches Denkmal handele. Seit dem Verkauf des Anwesens soll Fürst Moritz Morddrohungen aus dem Ries bekommen haben. Zeitweise stand er unter Polizeischutz.

Tödlicher Herzfehler

Bußgeldbescheide, Rechtsprüfungen, Untersuchungen, Prozesse - im theokratischen Glaubensreich der Jahschua-Jünger scheinen eigene Gesetze zu herrschen. Aufsehen erregte ein Todesfall im April 1997. Ein deutsch-französisches Ehepaar, beide Angehörige der Zwölf Stämme, wurde für den Tod seines Sohnes Raphael verantwortlich gemacht.

Das Kind war mit einem Herzfehler in Deutschland geboren worden. Später zog die Familie zu einem Stamm nach Frankreich. Anstatt das Kind im Krankenhaus operieren zu lassen, hofften Vater und Mutter lange Zeit, Gott werde es heilen. Doch es starb im Alter von 19 Monaten.

Holger Röhrs, ausgebildeter Arzthelfer und Lehrer bei den Zwölf Stämmen, sagt, das Ehepaar habe zum Todeszeitpunkt des Kindes zwar zur Gemeinschaft gehört, doch sei es erst ein Jahr nach der Geburt Raphaels zu der Gruppe gestoßen. Bei den Zwölf Stämmen liege die Verantwortung für die Gesundheit bei jedem Einzelnen, bei Kindern liege die Fürsorgepflicht bei den Eltern. Bei Verletzungen und Krankheiten nähmen die Stammesmitglieder selbstverständlich ärztliche oder zahnärztliche Hilfe in Anspruch.

Ein Gericht im französischen Pau in den Pyrenäen verurteilte die Eltern zu sechs Jahren Haft wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung. In der zweiten Instanz wurde das Strafmaß auf zwölf Jahre erhöht. Ein weiteres Revisionsverfahren ist seit dem 20. Oktober 2002 anhängig. In Klosterzimmern wird für die in Frankreich einsitzenden Eltern gebetet. Der angehende Vater Nahum sagt: "Wir sind nicht von dieser Welt."

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