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Hilfe für ein äthiopisches Mädchen: Herzenssache

Foto: Markus Huth

Hilfe für ein äthiopisches Mädchen Herzenssache

Als Gorden Isler die 15-Jährige Tiruye in Äthiopien kennenlernt, berührt ihn deren Schicksal: Sie ist schwer erkrankt, eine Operation in ihrer Heimat unmöglich. Isler lässt das nicht los. Was dann folgt, zeigt, wie viel ein Einzelner mit Engagement erreichen kann.

Die Geschichte beginnt im Luxus. Im Sommer 2005 steht Gorden Isler auf einem Kreuzfahrtschiff mit Kurs auf Malta. Der blonde junge Mann ist Anfang 20 und arbeitet für die Deutsche Vermögensberatung. Wie weiße Party-Inseln schwimmen drei Aida-Schiffe durchs blaue Mittelmeer, das Unternehmen hat sie zum Firmenjubiläum geheuert. Es gibt Häppchen und Champagner, die Passagiere feiern. Doch Isler grübelt.

Schon seit langem macht er sich Gedanken. Über Dekadenz und Armut, über Gier und Elend, über die Ungleichheit auf der Welt. "Die Kreuzfahrt war der letzte Tropfen", sagt er. Bald darauf schmeißt er seinen Job hin.

Zu dieser Zeit, über 3.500 Kilometer entfernt von Isler, im Dörfchen Mekerie: Hier, mitten in der äthiopischen Amhara-Region, lebt das Mädchen Tiruye. Morgens wacht die Neunjährige mit der Stubsnase und den kurzen Haaren vom Gebläke des Esels Ahiya auf, der mit der siebenköpfigen Familie in der Lehmhütte schläft. Harte Dürreperioden sorgen regelmäßig für Hunger. Es gibt weder Strom noch fließend Wasser.

"Sie war sehr schwach"

Eigentlich läuft Tiruye jeden Tag zur Wasserstelle, füllt die Kanister und schleppt sie nach Hause. Doch eines Tages hat sie starke Halsschmerzen. Eine Mandelentzündung. In Deutschland eine harmlose Sache, in Äthiopien ist es lebensgefährlich. Denn Tiruye kann nicht zum Arzt, weil der nächste über hundert Kilometer entfernt arbeitet. Es ist der Beginn einer schweren Herzkrankheit.

"Wird eine Mandelentzündung nicht mit Penicillin behandelt, droht Jahre später ein rheumatisches Fieber, das die Herzklappen angreift", erklärt Björn Peters, stellvertretender Klinikdirektor am Deutschen Herzzentrum in Berlin. Als Tiruye 15 Jahre alt ist, schließen ihre Herzklappen nicht mehr richtig, Blut läuft zurück in die Vorkammern. Zwei Liter mehr als normal muss ihr kaputtes Herz durch den Körper pumpen. Pro Minute. "Viele Kinder in Entwicklungsländern sterben daran", sagt Peters. Tiruye kann sich kaum auf den Beinen halten, ihre Lebenserwartung beträgt nur noch wenige Jahre. Denn in Äthiopien kann sie nicht operiert werden.

Während sich Tiruyes Gesundheitszustand über die Jahre immer mehr verschlechtert, ändert Gorden Isler sein Leben. Nach seinem Sinneswandel auf der Firmenkreuzfahrt macht er sich als Finanzberater selbständig und gründet einen wohltätigen Verein: "Hamburger mit Herz".  Damit unterstützt er seinen ehemaligen Bio-Lehrer, der zusammen mit einem ausgewanderten Äthiopier eine zerfallene äthiopische Dorfschule wieder aufbauen will. Schließlich reist Isler im Frühjahr 2012 in das afrikanische Hüttendorf, um sich die Fortschritte anzuschauen. Es ist die Schule von Mekerie und der ausgewanderte Äthiopier ist Tiruyes Onkel.

Als Isler das kranke Mädchen sieht, hat er sofort Mitleid. Tiruyes Augen hätten selbst beim Lächeln traurig geblickt, erinnert er sich. "Sie war sehr schwach und hatte Pusteln im Gesicht." Der Hamburger verspricht ihren Eltern zu helfen. Er ruft beim Deutschen Herzzentrum in Berlin an. Die Ärzte teilen ihm die Kosten für die Operation mit: 25.000 Euro. Für die Familie eine unvorstellbar hohe Summe. Auch für Isler zu viel.

Neues Leben in Deutschland

Er fährt zurück nach Deutschland, doch Tiruye lässt ihn nicht los, er liegt nachts wach, grübelt, sucht Wege, wie er das Geld zusammentreiben kann. Dann macht er sich an die Arbeit. Er schreibt an Stiftungen, veranstaltet einen "äthiopischen Nachmittag" und startet einen Spendenaufruf auf der Internetplattform betterplace.org. Das Geld kommt zusammen. "Was für ein Witz", sagt er, "es reicht, dass sich ein paar Deutsche anstrengen, um das Leben eines Mädchens zu retten." Nur drei Monate nach Islers Besuch in Äthiopien liegt Tiruye auf einem Operationstisch in Berlin. Kurz vor ihrem 16. Geburtstag.

Der Eingriff ist ein Erfolg. Aber: "Wir haben ihr eine künstliche Herzklappe eingesetzt, Tiruye muss ein Leben lang ihre Blutwerte messen und Medikamente nehmen", sagt Arzt Björn Peters. Sonst drohe ein Schlaganfall. In einer Lehmhütte ohne Stromanschluss ist das schwer möglich. Die Eltern entscheiden, dass ihre Tochter in Deutschland ein besseres Leben haben soll. Bei ihrem Onkel in Berlin, der mit Frau und zwei Kindern in einer Dreizimmerwohnung in Steglitz wohnt. Auch weil Isler für Tiruye einen Kleinkrieg mit den deutschen Behörden führt, kann sie bleiben.

In einigen Monaten wird Tiruye volljährig sein. Ihre Haare sind lang geworden, sie hat sie nach oben gebunden. In Winterstiefeln, Jeans und rotem Shirt steht sie in einem Klassenzimmer einer Berliner Sonderschule für Integration. Sie macht Späße mit dem Skelett aus dem Bio-Unterricht. Derweil diskutieren sie neben ihr am Tisch über ihre Zukunft. Ihr äthiopischer Onkel, ihre Lehrerinnen und Isler. Der stupst sie an: "Tiruye, es geht hier doch um dich, was willst du eigentlich später mal werden?"

"Weiß nicht", ist die knappe Antwort. Und selbst wenn Tiruye es wüsste: Ihr fehlen die Worte, um es zu erklären. "Du musst schnell Deutsch lernen", fordert Isler und schiebt einen Brief auf den Tisch. Darin bewilligt sein Verein 180 Euro pro Monat für Nachhilfestunden. Später, so hofft er, könnte sie eine Ausbildung bei ihm machen. Der 31-Jährige fühlt sich für das Mädchen aus Äthiopien verantwortlich. Er hat ihr Leben gerettet. Doch nun will Isler dafür sorgen, dass Tiruye auch etwas daraus macht.

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