Spenden für Entwicklungsländer Hilfe, ich will helfen!

Entwicklungshilfe ist nicht so gut wie ihr Ruf, weiß Benjamin Maack, seit er herausfinden wollte, wo Spenden am meisten bewirken. Helfen können wir trotzdem - doch mit einer Überweisung ist es nicht getan.
Hilft Helfen diesem Jungen?

Hilft Helfen diesem Jungen?

Foto: Tsvangirayi Mukwazhi/ AP

Jeden Abend, wenn ich von der Arbeit zum Bahnhof gehe, sitzt da ein Mann. Vor ihm liegt eine beigefarbene Mütze. Manchmal werfe ich Kleingeld hinein. Er lächelt, ich lächle zurück und wünsche einen guten Abend. Ich bilde mir ein, dass ich ihm helfe. Wenigstens ein bisschen. Andere würden vielleicht sagen, dass der sich von dem Geld sowieso nur Schnaps kauft. Wenn man anfängt, über solche Dinge nachzudenken, wird Helfen zu einer komplizierten Angelegenheit.

Ländern helfen. Aber wie?

Vor einigen Wochen kam ein Kollege auf mich zu. Er hatte eine prima Idee: ein Entwicklungshilfespiel. Der Spieler hat eine Million Euro, die er nach eigenem Ermessen einsetzen kann, um Menschen in Entwicklungsländern zu helfen. Und während er entscheidet, was er tun will, lernt er, wo und wie private Spenden am besten helfen und ankommen.

Das hatte ich mich schon immer gefragt, und ich fing an zu recherchieren. Dann passierte etwas Frustrierendes: Je mehr Fakten ich zusammentrug, desto mehr Argumente fand ich, die gegen Entwicklungshilfe sprachen. Etliche Experten prangerten in den vergangenen Jahren die Nutzlosigkeit dieser Art von Unterstützung an. Einige forderten sogar ihre sofortige Abschaffung.

Volker Seitz, der 17 Jahre für das Auswärtige Amt in Afrika tätig war, ist einer der Kritiker dieser "Betreuungsindustrie". Sie habe "die Tendenz, den Afrikanern vorschreiben zu wollen, wie sie zu leben haben". So würden die Menschen entmündigt. Dabei würden in den Problemen, mit denen die Länder konfrontiert sind auch Möglichkeiten stecken, meint der kenianische Wirtschaftsexperte James Shikwati und fordert, statt den Ländern durch Entwicklungshilfe zu suggerieren, sie seien schwach und hilfsbedürftig, eine "Mentalität der Chancen" zu unterstützen: Die Länder sollen ihre Probleme selbst anpacken und an ihnen wachsen.

Die Ökonomin Dambisa Moyo stellt in ihrem Buch "Dead Aid: Warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert und was Afrika besser machen kann" fest, dass mittlerweile rund 500.000 Menschen in der Entwicklungshilfeindustrie beschäftigt seien und längst eigene Interessen vertreten würden. Folgt man dem weit verbreiteten Credo von der Hilfe zur Selbsthilfe, müssten die Organisationen in einer perfekten Welt ständig daran arbeiten, sich selbst abzuschaffen. Tun sie natürlich nicht.

Und da sind wir noch nicht mal bei der systematischen politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme von Staaten und Firmen durch Spendengelder.

Entwicklungshilfe ist trotzdem noch immer schwer im Trend. Das liegt auch Charity-Superstars wie dem U2-Sänger Bono, der bereits Dutzenden Hilfsorganisationen unter die Arme gegriffen hat. Was daran falsch sein soll? Stellen Sie sich vor, Justin Timberlake käme nach Europa, würde ein paar Millionen Dollar in Griechenland verteilen und uns dann erklären, wie die Schuldenkrise zu lösen ist.

Man kann nichts machen. Oder?

Da saß ich. Auf meinem weichen Stuhl in meinem angenehm klimatisierten Büro und dachte: Man kann nichts machen. Ich hatte gehofft, dass am Ende herauskommt, dass Patenschaften etwas Gutes sind. Oder Spenden, um die Operation blinder Menschen zu finanzieren. Ich hatte gehofft, dass ich am Ende selbst öfter Mal einen bescheidenen Betrag in die Hand nehmen würde, und wüsste: Das ist gut, das hilft.

Nun schien es mir, als sei alles, was ich mit meinen Geldspenden bewegen kann, bestenfalls ein Pflaster, das in einer klaffenden Wunde verschwindet. Oder, noch schlimmer, ein Pflaster, das die wahren Probleme verdeckt und Lösungen verhindert.

Die Argumente erschienen mir richtig, aber auch herzlos. Sollte man wirklich die Entwicklungshilfe einstellen und ganze Länder fallen lassen, damit sie sich irgendwann aus eigener Kraft helfen können?

Wenigstens wenig schaden

Ich tat, was ich oft mache, wenn mich die Welt ratlos macht: Ich fragte einen Kollegen, der sich auskennt.

Er halte nichts von dem Ansatz, immer woanders die Welt zu verbessern, sagte Nicolai aus dem Wirtschaftsressort. Stattdessen würde er versuchen, den Menschen von hier aus möglichst wenig zu schaden. Sein Credo: möglichst wenig konsumieren und das bewusst. "Nichts kaufen, was ich nicht einigermaßen dringend brauche. Sehr viele Produkte schaden über Umwege den Ärmsten. Manche Rohstoffe, zum Beispiel Gold oder Tantal, werden unter extrem problematischen Bedingungen in armen Ländern gefördert. Da geht es um Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit, Umweltverschmutzung, Finanzierung von Kriegen und Diktatoren und so weiter."

Dann sprach Nicolai von Lebensmitteln und Kleidung für die das Gleiche gelten würde. Am Ende empfahl er: "Viel darüber reden, wie scheiße die Welt ist, damit man selbst und andere darüber nachdenken, warum sie etwas tun und ob es schadet."

Das leuchtete mir ein. Und im Gespräch wurde mir klar, dass nach dieser Logik auch Spenden eine Art von unbedachtem Konsum sind: Eine echte Haltung zu haben hätte ja Auswirkungen auf unseren Alltag und ist viel aufwendiger, als hin und wieder zwanzig Euro an "Brot für die Welt" zu überweisen. Anstatt unsere Gewohnheiten zu überdenken, konsumieren wir deshalb lieber gedankenlos weiter. Und manchmal kaufen wir eben keine neue Jeans von Primark, sondern ein gutes Gewissen bei Unicef.

Vielen Dank für Ihre Spende!

Wirklich helfen wollen

Als ich am Abend nach Hause gehe, werfe ich dem Mann am Straßenrand ein Geldstück in seine Mütze. Wäre ich eine NGO und der Mann ein Entwicklungsland, würde ich dann damit nur sein Elend verlängern? Ich lächle ihm zu, er lächelt zurück. Dann gehe ich weiter.

Kurz vor der Ampel fasse ich Mut und kehre um. Ich frage, ob ich mich setzen darf und bitte ihn darum, mir zu sagen, womit ich ihm helfen kann. In mühevoll zusammengeklaubten Sätzen erklärt Lukas mir, dass sein Fuß geschwollen sei und schmerzen würde. Dass er deshalb nicht arbeiten könne, dass er aber auch nicht zu einen Arzt gehen kann, weil er keine Papiere hat. Ich verspreche ihm, dass wir gemeinsam einen Arzt finden. Seitdem habe ich ihn leider nicht mehr getroffen. Ich frage mich, ob ich was falsch gemacht habe, ob ich mich ihm aufgedrängt habe, ob es ihm gut geht.

Helfen ist nicht einfach. Nicht, wenn man wirklich helfen will.

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