Erdbeben in Port-au-Prince Haitis Präsident befürchtet Zehntausende Tote
Port-au-Prince - Die Zahl der Toten nach dem schweren Erdbeben in Haiti geht laut Präsident René Préval in die Zehntausende. "Ich habe von bis zu 50.000 gehört, auch von 30.000", sagte er CNN. Es sei aber zu früh, um konkrete Zahlen zu nennen. Damit distanzierte sich der Staatschef von seinem Ministerpräsidenten Jean- Max Bellrive, der von womöglich mehr als hunderttausend Toten gesprochen hatte.
Die Gefahr sei nicht gebannt, sagte Préval. Er warnte vor Seuchen. Gebäude seien einsturzbedroht und die Straßen verstopft: "Wir müssen sie erst mal freiräumen, um Hilfe durchzubekommen." Dem "Miami Herald" berichtete der Präsident, die Lage sei "unvorstellbar": "Das Parlament ist eingestürzt, Schulen sind eingestürzt, Krankenhäuser sind eingestürzt." Er selbst habe über Leichen steigen müssen und die Schreie jener gehört, die unter den Trümmern des Parlamentsgebäudes verschüttet seien. "Es gibt viele Schulen mit vielen Toten darin. Alle Krankenhäuser sind voll mit Menschen. Es ist eine Katastrophe."
Der haitianische Regierungschef Jean-Max Bellerive hatte CNN gesagt, die Zahl der Toten könne "deutlich über hunderttausend" liegen. Es seien "so viele Gebäude, so viele Gegenden völlig zerstört" worden, dass er diese hohe Zahl von Opfern erwarte. Allerdings hoffe er, dass er sich irre, weil sich noch genug Menschen hätten retten können - der Nachrichtenagentur Reuters legte er dar, er könne noch keine klaren Schätzungen über Opfer und Schäden geben.

Erdbeben in Haiti: "Sie beten, sie weinen"
Am Dienstag um 16.53 Uhr Ortszeit stürzte Haiti in ein blutiges Chaos.
Das schwerste Erdbeben seit rund 250 Jahren verwüstete Port-au-Prince, die Millionen-Hauptstadt des bitterarmen Karibikstaates. Blutüberströmte Menschen liefen panisch auf die Straßen. "Das ist das Ende der Welt", sagte eine junge Frau, die das Erdbeben von einem Hügel aus sah.
Das Telefonnetz in Haiti brach zusammen. Es gab stundenlang kein Durchkommen, Informationen waren nur schwer zu bekommen. Vielen Haitianern gelang es aber dennoch, im Internet die Welt um Hilfe zu bitten.
Als wenige Stunden nach dem Erdbeben die Dunkelheit in Haiti anbrach, blieben die Menschen auf den Straßen. Mehr als 20 heftige Nachbeben wurden registriert. Immer wieder zitterte die Erde. Mehrstöckige Häuser stürzten ein und begruben Menschen unter sich.
Autos wurden verschüttet, Straßen aufgerissen, Strom- und Telefonmasten knickten ein. In stockdunkler Nacht gruben Menschen verzweifelt mit den Händen in den Trümmern, um Verschüttete zu befreien. "Ein Alptraum", berichtete ein Haitianer via Skype.
Der Präsidentenpalast - ein Trümmerhaufen
Auf den staubigen Straßen von Port-au-Prince wurden blutende Menschen notdürftig versorgt. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes sind drei Millionen Einwohner von dem Erdbeben betroffen, also rund etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung Haitis. Der blendend weiße Präsidentenpalast hielt dem Beben nicht stand. Es war nur noch ein Trümmerhaufen.
Auch mehrstöckige Gebäude der Vereinten Nationen, die seit 2004 eine Uno-Friedenstruppe in Haiti stationiert haben, stürzten ein. Einige Häuser fingen Feuer. Mauern entlang von Straßen brachen ein. Während der Nacht und auch bei Tag gab es keine offiziellen Angaben aus Haiti über das Ausmaß der Schäden und die Zahl der Toten.
Obwohl die normalen Telefonleitungen in der Nacht nicht funktionierten, schafften es einige Augenzeugen, zum Ausland via Satellitentelefon Kontakt aufzunehmen. "Die Mauern sind überall zusammengestürzt. Ich bin um mein Leben gelaufen. Menschen schrien: Jesus! Jesus! Es war völlig irreal. Völlig abgedreht. Ich bin aus meinen Hotelzimmer gelaufen, und die Mauer ist direkt neben mir zusammengebrochen", berichtete etwa der Fotograf Ivanoh Demers dem kanadischen Online-Magazin "cyberpresse.ca".
Viele Tote bei Uno-Truppen
Am Mittwoch meldeten mehrere Staaten, die an der Uno-Mission in Haiti beteiligt sind, Todesopfer unter ihren Soldaten. Untergeneralsekretärin Susana Malcorra bestätigte den Tod von mindestens 14 Blauhelmen der Vereinten Nationen. Zu den Toten gehören zehn Soldaten aus Brasilien, drei aus Jordanien und einer aus Haiti. 56 Mitarbeiter wurden verletzt, aber lebend aus den Trümmern geborgen, hieß es. Weitere 150 Mitarbeiter der Vereinten Nationen werden noch vermisst.

Haiti: Inselstaat in der Erdbebenzone
Das Schicksal von Missionschef Hedi Annabi bleibt hingegen ungeklärt. Untergeneralsekretär Alain Le Roy wollte am Mittwoch lediglich bestätigen, dass sich der Tunesier im Hauptquartier befunden habe, das während des Erdbebens einstürzte. Auch in dem bei Touristen beliebten Luxushotel "Montana" sollen zahlreiche Menschen unter den Trümmern begraben worden sein.
Unter den Opfern war auch der Erzbischof von Haiti. Mitarbeiter der Diözese fanden die Leiche des 63-jährigen Joseph Serge Miot in den Trümmern seines zerstörten Büros. Dies teilte Pater Pierre Le Beller vom südfranzösischen Missionszentrum Saint Jacques mit.
"Große Katastrophe"
Der Botschafter Haitis in den USA, Raymond Joseph, sprach in Washington von einer "großen Katastrophe". Sein geplagtes Land habe aber schon oft solche Erfahrungen gemacht. "Die tapferen Haitianer werden das vereint durchstehen." Auch der Diplomat appellierte eindringlich an die Weltgemeinschaft, umgehend zu helfen. Notwendig sei jetzt vor allem ein Lazarettschiff.
Zahlreiche Länder, darunter Deutschland, die USA und viele lateinamerikanische Staaten sagten schon am Mittwoch umfangreiche Soforthilfen in Millionenhöhe zu. Die wird in dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre bitter nötig sein, denn die Wirtschaft in dem Neun-Millionen-Einwohner-Staat liegt am Boden. In den USA liefen noch in der Nacht die Vorbereitungen für Hilfstransporte an. Noch am Mittwoch sollten erste Schiffslieferungen auf den Weg gebracht werden.
"Wir müssen für sie da sein in der Stunde der Not", sagte der US-Präsident Barack Obama und versprach massive Anstrengungen. "Wir werden nun an unser Menschsein erinnert, das wir miteinander teilen."
Flugzeugträger und Transportflieger
Der Flugzeugträger "USS Carl Vinson" werde mit einigen kleineren Schiffen am Donnerstag die haitianische Küste erreichen, teilte das zuständige US-Südkommando am Mittwoch mit. Auch Flugzeuge und Helikopter seien im Einsatz. Sie sollten vor Ort bei der Notfallhilfe mitwirken und den Weg für die Entsendung weitere Einsatzkräfte ebnen.
Noch am Mittwoch sollten zwei C-130-Transportflugzeuge in Haiti eintreffen, sie bringen ein Rettungsteam aus 30 Militäringenieuren auf die Insel. Außerdem stellte die Luftwaffe Personal zum Einsatz am Flughafen von Port-au-Prince ab, wo in den kommenden Stunden und Tagen zahlreiche Hilfsflüge erwartet werden.
Das Welternähungsprogramm der Uno (WFP) ist nach Worten seiner Sprecherin Josette Sheeran bereits dabei, 86 Tonnen Lebensmittel aus El Salvador nach Haiti zu fliegen. Dies würde für Notrationen für eine halbe Million Menscen reichen, erklärte Sheeran. Auch werde das WFP Biskuits und vorgekochte Mahlzeiten für Betroffene bereitstellen, die nicht selbst kochen können.
"Humanitärer Notstand"
Die Vereinten Nationen haben zehn Millionen Dollar (sieben Millionen Euro) als Soforthilfe bereitgestellt. "Ich danke allen Ländern, die schon Hilfe geschickt haben, und fordere alle übrigen auf, es ihnen gleich zu tun", sagte Uno-Generalsekratär Ban Ki Moon. Er selbst werde auch nach Haiti reisen, "aber vorerst ist es meine Aufgabe, von hier aus Leben zu retten, in dem ich koordiniere und Hilfe einfordere". Die Kommunikation in dem Karibikstaat sei praktisch völlig zusammengebrochen, genauso die "Energie- und Wasserversorgung, viele Gebäude eingestürzt. Wir müssen davon ausgehen, dass immer noch viele Menschen eingeschlossen sind". Es drohe ein "humanitärer Notstand".
Haiti habe wegen seiner Armut und der früheren Naturkatastrophen "nur wenig Kapazitäten", selbst mit dieser Krise fertigzuwerden, sagte John Holmes, der stellvertretende Uno- Generalsekretär und Beauftragte für humanitäre Angelegenheiten, vor Journalisten in New York. Die derzeit in der Region befindlichen Hilfsgüter "werden nicht lange reichen, fürchte ich". Die Uno stehe auch mit ihrem Sonderbotschafter für Haiti, dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton, in Kontakt, um zu klären, "welche Rolle er spielen kann".
1,5 Millionen Euro Soforthilfe aus Deutschland
Die Bundesregierung stellte rund 1,5 Millionen Euro Soforthilfe bereit. Hilfsorganisationen aus Deutschland und anderen Ländern stellten Lieferungen zusammen. Bundespräsident Horst Köhler übermittelte sein Beileid, US-Präsident Barack Obama sagte, seine Gedanken und Gebete seien bei den Menschen in Haiti. Papst Benedikt XVI. bat um Hilfe für die Opfer.
Deutsche Hilfsorganisationen riefen die Bundesbürger zu Spenden für die Erdbebenopfer auf. Für erste Hilfsmaßnahmen stellt die "Aktion Deutschland Hilft", ein Zusammenschluss mehrerer Organisationen, aus seinem Nothilfefonds 100.000 Euro zur Verfügung. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bereitete den Einsatz eines mobilen Krankenhauses vor.
Die Weltbank will 100 Millionen Dollar an Soforthilfe für das Land bereitstellen. Angesichts des "schockierenden Ereignisses" wolle die internationale Bank alles tun, "um Finanzhilfen für Haiti zu mobilisieren", sagte Weltbank-Chef Robert Zoellick in Washington. Die Nothilfe solle zunächst die akute Notlage nach dem Beben lindern helfen. Außerdem wolle die Weltbank ihre bereits bestehenden langfristigen Entwicklungsprojekte in Haiti stärken. Darüber hinaus solle ein internationaler Hilfsfonds ("Haiti Reconstruction Fund") für den Wiederaufbau des Landes ins Leben gerufen werden, hieß es in einer Erklärung der Weltbank.
US-Medienunternehmer Ted Turner hat dem Nothilfefonds (Cerf) der Vereinten Nationen eine Spende von einer Million Dollar zugesichert. Das Geld solle für die dringendsten humanitären Bedürfnisse sowie den Wiederaufbau verwendet werden. "Die Männer und Frauen der Vereinten Nationen setzen ihre Leben aufs Spiel um sich mit den wichtigsten Problemen der Welt zu befassen", so Turner.
Beben in geringer Tiefe
Mit einer Stärke von 7,0 war das Beben, das sich am Dienstag um 16.53 Uhr Ortszeit (22.53 Uhr MEZ) ereignete, nach Angaben der US-Erdbebenwarte das schwerste in Haiti seit 1770. Das Zentrum lag 15 Kilometer westlich von Port-au-Prince. Es gab mindestens sechs Nachbeben mit Messwerten von mehr als 4,5.
Nicht allein aufgrund seiner enormen Energie war es so verheerend. Auch die geringe Tiefe des Bebens sorgte für extreme Erschütterungen: Nur zehn Kilometer Gestein lag zwischen dem Bebenherd und der Erdoberfläche. So konnten die Bebenwellen nahezu ungebremst die Hauptstadt erreichen. Die meisten Erdbeben entstehen in weitaus größerer Tiefe, viele ereignen sich Hunderte Kilometer tief im Untergrund.
In der benachbarten Dominikanischen Republik, die sich mit Haiti die Insel Hispaniola teilt, wankten zwar Häuser, Berichte über Schäden in der auch bei Deutschen beliebten Urlaubsregion gab es aber nicht. Touristen waren nicht betroffen. Auch im Osten Kubas bebte die Erde.