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Naturkatastrophe in Brasilien: Regen, Erdrutsche, Überschwemmungen

Foto: Jadson Marques/ dpa

Erdrutsche in Brasilien Auf Schlamm gebaut

Die Fluten rissen alles mit - Häuser, Autos, Bäume, Felsen, Tiere, Menschen: Im Bergland Rio de Janeiros sind mehr als 375 Anwohner durch Überschwemmungen und Erdrutsche ums Leben gekommen. Jahrelanger Raubbau an der Natur und Fehlplanungen führten zu dem Desaster.

Bis der große Regen kam, war Nova Friburgo ein idyllisches Städtchen. Schweizer Einwanderer hatten den Ort in den Bergen zwei Autostunden nördlich von Rio einst begründet, viele Einwohner der Millionenstadt haben dort ihre Wochenendhäuser. Sie verbringen in den kühlen Bergen zwischen Petrópolis, Teresópolis und Nova Friburgo die Sommermonate Dezember, Januar und Februar, wenn es in Rio heiß und stickig ist. Hunderte Hotels und Pensionen liegen versteckt in den grünen Tälern der Serra do Mar, dem Gebirge, das sich durch den Bundesstaat Rio de Janeiro zieht.

Nach einem heftigen Sommerregen haben sich nun weite Teile der Region in ein Katastrophengebiet verwandelt. Schlammlawinen rissen allein in Nova Friburgo mindestens 168 Menschen in den Tod, insgesamt kamen in der Region mehr als 375 Menschen um. Innerhalb von Minuten schwollen Bäche und Flüsse zu reißenden Gewässern an, bis zu fünf Meter hoch stiegen die Fluten. Sie rissen alles mit, was sich ihnen in den Weg stellte: Häuser, Autos, Bäume, Felsen, Tiere und Menschen.

In dem Dorf São José do Vale do Rio Preto spielten sich dramatische Szenen ab: Eine Frau saß auf einem Dach, das langsam unter den Fluten zusammenbrach, sie hielt ihren Hund umklammert. Von einem nahen Gebäude warfen Helfer ihr ein Seil zu und zogen sie in letzter Minute bis in den dritten Stock, das Tier starb. "Ich habe gesehen, wie zahlreiche Körper vorübertrieben", sagte der Rentner Juaci Rabelo, der die Nacht auf einem Hausdach verbrachte.

Gebäude fielen wie Kartenhäuser zusammen

Das Zentrum von Nova Friburgo gleicht einem Trümmerfeld: Bis in die Kirche am Hauptplatz wälzten sich die Schlammlawinen, achtstöckige Gebäude fielen zusammen. Auch Helfer wurden zu Opfern: Feuerwehrleute, die in der Nacht ausrückten, um Verschüttete zu bergen, wurden selbst unter Trümmern begraben.

Komplette Armenviertel, die wie Bienenwaben an den Bergrücken klebten, rutschten in die Tiefe. In Itaipava, einem Städtchen in der Nähe der alten Kaiserstadt Petrópolis, starben acht Menschen in dem Wochenendhaus des Präsidenten des Industrieverbands von Rio. Das luxuriöse Anwesen wurde innerhalb von Minuten überflutet. Der Hausmeister und seine Frau entkamen nur, weil sie die Decke aufbrachen und sich aufs Dach flüchteten.

Dabei kam die Katastrophe nicht überraschend: Praktisch jedes Jahr sterben in der Regenzeit von Dezember bis März Menschen in den Bergregionen des brasilianischen Südostens, der reichsten und am dichtesten besiedelten Region des Landes. Vor neun Monaten wurde eine Pension auf der Urlaubsinsel Ilha Grande von einem Erdrutsch begraben, vor drei Jahren verwüsteten die Schlammlawinen den Bundesstaat Santa Catarina.

Unkontrollierte Besiedelung

In diesem Jahr waren bislang vor allem die Bundesstaaten São Paulo und Minas Gerais betroffen: Nach heftigen Regenfällen traten die Flüsse Tiete und Pinheiros in der Millionenmetropole São Paulo über die Ufer, das Wasser überflutete ganze Stadtviertel. Die Stadt Franco da Rocha steht seit drei Tagen unter Wasser.

Jetzt rächt sich, dass die Behörden jahrzehntelang fast nichts gegen die unkontrollierte Besiedelung der Täler und Bergrücken unternommen haben. In Nova Friburgo, Petrópolis und Teresópolis gibt es bis heute keinen Bebauungsplan, der die Risikogegenden ausweist. Die meisten Häuser wurden ohne behördliche Genehmigung und geologische Gutachten des Terrains errichtet.

In São Paulo wurden die Flüsse Tiete und Pinheiros ohne Rücksicht auf das natürliche Flussbett begradigt und zubetoniert. An vielen Gewässern haben Siedler die Uferbepflanzung abgeholzt und Häuser gebaut, bei Regen erodiert die Erde.

Riesige Wohnungsnot

In den Favelas der Millionenstadt Rio leben mindestens 20.000 Menschen auf Hängen, die als Risikogebiet ausgewiesen sind. Der Versuch, sie umzusiedeln, scheitert oft an den Bewohnern selbst: Sie weigern sich, ihre Hütten aufzugeben, denn sie wissen nicht, wohin sie ziehen sollen, die Wohnungsnot ist riesig. Auch die Justiz blockiert: Viele Richter sind bestechlich.

Politiker sehen in den Favelas vor allem ein riesiges Wählerpotential: In vielen Städten Brasiliens profitieren sie davon. Der Abriss von Elendsvierteln ist dagegen politisch kaum noch durchzusetzen.

Aber nicht nur die Favela-Bewohner leben in der Illegalität: Auch viele schicke Pensionen und Wochenendhäuser der Reichen sind zu einem großen Teil ohne Genehmigung errichtet worden. Touristen, die sich in den Sommermonaten in scheinbar romantisch gelegenen Luxusherbergen in den Bergen einmieten, wissen oft nicht, dass sie ihr Leben riskieren: Der schöne grüne Hang hinter dem Chalet verwandelt sich bei starkem Regen plötzlich in eine Killerlawine.

Unglücke sind vorgezeichnet

Der Untergrund der Serra do Mar besteht weitgehend aus Granit, die Erdschicht ist nur wenige Meter dick. Bei starken Regenfällen, wie sie im Sommer üblich sind, saugt sich die Erde wie ein Schwamm voll, bis sie in einer Schlammlawine zu Tal donnert. Die meisten Städte und Dörfer liegen aber in den Tälern - so sind Unglücke vorgezeichnet.

Am Donnerstag verkündete Brasiliens Regierung, dass die neue Präsidentin Dilma Rousseff 780 Millionen Reais aus dem Bundeshaushalt als Hilfe für die Katastrophenopfer freigestellt hat, sie will noch heute das Katastrophengebiet im Hubschrauber überfliegen. Auch diese Geste wiederholt sich so regelmäßig wie die Flutkatastrophen: Vor neun Monaten hatte die Regierung eine Millionenhilfe für die Opfer eines Erdrutsches in der Favela Chatuba in Niterói bei Rio angekündigt, sie sollten in neue Sozialbauten umgesiedelt werden.

Bis heute ist das Geld nicht angekommen. Die Obdachlosen haben inzwischen zur Selbsthilfe gegriffen: Sie haben neue Hütten gezimmert und gemauert - auf demselben schwammigen Untergrund, ohne Genehmigung der Behörden, ohne geologische Gutachten. Die nächste Katastrophe kommt bestimmt.

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