
Piraten vor Somalia: Seekrieg mit zunehmender Gewalt
Ermordete Segler "Die Piraten agieren immer brutaler"
Hamburg - Am Freitag hatten Seeräuber die 48-Fuß-Yacht "Quest" im Indischen Ozean gekapert. Die US-Marine schickte umgehend vier Kriegsschiffe, mit den Kidnappern wurde über Lösegeld verhandelt, erst über Funk, dann kamen den Militärs zufolge zwei der Piraten sogar zu Verhandlungen an Bord.
Doch am Dienstagmorgen eskalierte die Situation. Völlig unerwartet, mitten in den Verhandlungen, sei von der Yacht eine Granate abgefeuert worden, gefolgt von Schusssalven. So schildert es die US-Navy. Der BBC zufolge sprachen Piraten von einem ersten Angriff der amerikanischen Marine, wobei zwei Seeräuber getötet worden sein und die anderen erst dann auf die Geiseln geschossen hätten. Spezialeinheiten der US-Marine stürmten das Segelschiff, einige der Piraten kamen mit erhobenen Händen an Deck. Doch da waren die vier Geiseln schon schwer verletzt, sie starben wenig später.
Der Angriff auf die "Quest" ist ein weiterer Beleg für eine beängstigende Entwicklung der : Die Piraten gehen immer aggressiver vor. Seit langem verwenden sie Granatwerfer, Maschinengewehre und Messer bei ihren Angriffen - bislang aber achteten sie auf ihr teuerstes Pfand, die Geiseln.
"Die Piraten agieren immer brutaler, sie setzen verstärkt auf Gewalt", sagte der Sprecher der European Naval Force (EU Navfor), Paddy O'Kennedy, SPIEGEL ONLINE. Geiseln würden insgesamt schlechter behandelt und zunehmend systematisch gefoltert. "Damit wollen sie anscheinend den Druck auf die Reeder erhöhen, um schneller und mehr Lösegeld zu erhalten", so der EU-Experte.
Zahl der Geiseln seit 2007 vervierfacht
Im Indischen Ozean vor Somalia liegen die gefährlichsten Wasserwege der Welt: Dem Internationalen Schifffahrtsbüro (IMB) zufolge ereigneten sich dort im vergangenen Jahr rund 90 Prozent aller weltweit registrierten Piratenüberfälle. Demnach wurden 2010 vor der somalischen Küste 49 Schiffe gekapert und 1016 Seeleute verschleppt.
Entführungen sind zu einem lukrativen Geschäft geworden: Die Zahl der Geiselnahmen ist dem Verband der Deutschen Reeder zufolge seit 2007 dramatisch gestiegen. Während damals knapp 300 Seefahrer in der Gewalt von Piraten waren, waren es 2010 fast 1200. Das entspricht einer Zunahme um das Vierfache. Die Zahl der Geiselnahmen pro Jahr ist von 18 auf 53 gestiegen.

Übersicht über Überfalle und Geiselnahmen durch Piraten
Foto: SPIEGEL ONLINEDie "Quest" war zum Zeitpunkt der Entführung südlich des Oman unterwegs, in einem durchaus als gefährlich geltenden Gebiet. An Bord war ein Ehepaar aus Kalifornien, das seit Dezember 2004 rund um die Welt segelte. Scott und Jean A. waren Prediger, die Bibeln an Schulen und Kirchen in abgelegenen Orten auf den Fidschi-Inseln, in Alaska, Neuseeland, Mittelamerika und Französisch Polynesien verteilten. Bei den beiden anderen getöteten Geiseln handelte es sich um ein befreundetes Paar aus Seattle. Die Yacht-Eigner galten als erfahrene Segler - und Abenteurer.
Den Militärangaben zufolge waren insgesamt 19 Seeräuber an dem Überfall beteiligt. Zwei Piraten starben während der Feuergefechte, 15 wurden gefangen genommen. Zudem seien die Leichen zweier weiterer Piraten auf der Yacht entdeckt worden, die nach ersten Erkenntnissen bereits geraume Zeit tot waren. Die Todesursache der Männer war zunächst nicht bekannt.
Geiseln zu töten "ist nun Teil unserer Regeln"
Kam es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Piraten an Bord? Eskalierte die Situation? Oder wollten die Seeräuber mit der Ermordung der Geiseln ein Zeichen setzen?
Nach Informationen von AP wollen die Piraten künftig generell eine härtere Gangart einschlagen. Geiseln zu töten "ist nun Teil unserer Regeln", zitierte die Nachrichtenagentur einen Somalier, der sich Muse Abdi nennt. "Künftig wird jeder, der versucht, Geiseln aus unseren Händen zu befreien, nur noch Leichen einsammeln", so Abdi. Es werde nie wieder vorkommen, dass Geiseln gerettet und Piraten ins Gefängnis gesteckt würden.
Vor rund einer Woche war in New York ein somalischer Pirat zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann war an der Entführung der "Maersk Alabama" 2009 beteiligt gewesen. Damals hatten Scharfschützen drei weitere Piraten getötet, die mit dem entführten Kapitän des Frachters zu entkommen versuchten. Ein Pirat, der sich Bile Hussein nennt, sagte der AP, wenn die USA Lösungen und Sicherheit für ihre Bürger auf den Ozeanen wollten, müssten sie inhaftierte Somalier freilassen.
EU-Sprecher O'Kennedy sieht eine Ursache für die zunehmende Gewalt darin, dass die Angriffe nicht mehr von jungen, ungebildeten Fischern spontan durchgeführt würden: "Es scheint immer mehr organisierte kriminelle Banden im Hintergrund zu geben." Auf die zunehmende Gewalt müsse die Schifffahrtsindustrie mit probaten Mitteln zur Selbstverteidigung reagieren, wie Stacheldraht, besserem Ausguck, Schutzräumen und Manövern. Eine Bewaffnung sei jedoch keine Lösung.
Auch der Verband Deutscher Reeder (VDR) sieht eine neue Qualität der Bedrohung - spätestens seit der Entführung der "Beluga Nomination". Die Sicherheit, dass die Geiseln lebend freigelassen würden, gebe es nicht mehr. "Die Lebensbedrohung für die Seeleute hat zugenommen", sagte Hauptgeschäftsführer Ralf Nagel SPIEGEL ONLINE. Aber es werde sicher dabei bleiben, dass die Piraten weiter auf Geiseln als Einnahmequelle abzielten.
Die "Beluga Nomination" mit ihren zwölf Besatzungsmitgliedern aus der Ukraine, Russland, Polen und den Philippinen war Ende Januar von somalischen Piraten im Indischen Ozean gekapert worden. Das Schiff liegt nach Angaben der Bremer Reederei vor der Küste Somalias, man habe Kontakt zur Crew und den Entführern, so eine Sprecherin am Mittwoch. Bei der Attacke der Piraten waren mehrere Besatzungsmitglieder getötet worden.
Der Reederverband präsentierte am Mittwoch im Verkehrsausschuss des Bundestags Vorschläge für einen besseren Schutz der Schifffahrt. Zum einen müsse die Schutzzone ausgeweitet werden. Die Sicherung des Korridors am Golf von Aden durch Flottenverbände von Nato und EU sei erfolgreich, decke aber nur rund zehn Prozent des gefährdeten Gebiets ab, so Nagel. Zum anderen sollten auf besonders bedrohten Handelsschiffen bewaffnete Sicherheitskräfte eingesetzt werden - die aber unbedingt unter staatlicher Hoheit stehen müssten.