Stars Ewiger Lippi
Am Klavier ist er sicher: drischt die Tasten, pumpt sich auf zum Finale, reißt die Arme hoch und springt vor Kamera 1. »Guten Abend, meine Dam un Herrrrn« - Götz Alsmann jauchzt, reckt den Zeigefinger zum Objektiv und rückt mit seinem Kugelkopf immer dichter heran, als wollte er durch die Bildröhre ins Wohnzimmer kriechen.
Den Nacken hat er kurz vor der Sendung nachrasiert, die Tolle ist aufgeplustert, die kreisrunden Brillengläser sind geputzt, und jetzt turnt er wie der intellektuelle Bruder von Jerry Lewis durch die musikalische Nummernrevue der »NDR Spät Show": Kleinkunstkabarettisten, Akrobaten, A-cappella-Chöre und mittendrin die großen Stars der B-Kategorie, die Jürgen Drews', die Ilse Werners und Cindy & Berts.
Begleitet von seiner vierköpfigen Combo, wischt Alsmann den Gilb von den Liedern seiner Gäste, und die fühlen sich im Charmegewitter kulenkampffscher Prägung heimisch. Die Altstars merken gar nicht, wenn Alsmann seine clowneske Janusmaske aufsetzt: Eben noch liebedienerisch nickend, grient er plötzlich formatfüllend in die Kamera und witzelt über die schlichten Worte seiner Gäste. Wir wissen doch, verbrüdert er sich mit dem Zuschauer, das alles ist nur lauwarmes Nostalgiegeschwalle.
Viele Jahre lang hat Alsmann an dieser Kunstfigur - einer Mischung aus Paul Kuhn und dem MTV-Witzbold Ray Cokes - gearbeitet. »Der Klassenclown war ich zwar schon immer«, sagt der 39jährige, »doch den richtigen Umgang mit den eigenen Macken entwickelst du erst mit der Zeit.« Für den WDR moderierte er zunächst in den achtziger Jahren das Jugendmagazin »Roxy« und lernte dort »hospitalistisch durchs Bild zu schlängeln«. Dann engagierte ihn RTL als skrupellosen Gästeschinder für die »Gong-Show«, später wechselte er für das Zeitgeist-Magazin »Avanti« zu Vox.
»Ich werde als Kunstfigur eingekauft«, sagt Alsmann. Sogar für den ARD-Samstagabend war er im Gespräch, und als Thomas Gottschalk seine Late Night Show aufgeben wollte, wurde der »Anarchist im Zweireiher« (Stern) als Nachfolger gehandelt. Alsmann lehnte ab: »Da wäre ich der ewige Lippi gewesen.«
Außerdem hätte er dann sein geliebtes Münster, die beschauliche Welt der Kindheit verlassen müssen: Brav hat der Sohn einer Näherin und eines Maurerpoliers damals das Klavierspielen gelernt, die Tonleitern paukte er schon im Kindergarten auf dem Schoß einer Nonne.
»Ich war einer von den Jungs, die nie auf Partys eingeladen wurden«, erzählt Alsmann, »und wenn doch, dann nur mit dem Versprechen, keine Platten mitzubringen.« Der Junge hörte Nat King Cole und Fats Domino, Swing und Jazz. Als er mit 14 in Vaters alte Anzüge schlüpfte und die Drogerie eigens für ihn Haarpomade orderte, wurde er gefragt, ob er Streit habe mit seinen Eltern und die Haare nicht lang wachsen lassen dürfe. »Mir war das alles gleich«, murmelt er tapfer, »ich brauchte niemanden.«
Bald darauf tourte der Ragtime-Götz mit seinen Bands durch Nordwestdeutschland: »Alte Säcke machen Scheiß«, nennt er das heute, wenn er mit seiner Combo tingeln geht.
»Weiterhin bin ich vor allem Musiker«, sagt Alsmann, spielt Flöte, Banjo, Ukulele. Mit 27 schrieb er eine Doktorarbeit über die US-Schallplattenindustrie der Nachkriegszeit. Damals war er »Prof. Bop«, der fürs WDR-Radio seine Sammlung mit 10 000 Platten plünderte - heute macht er im »Musikalischen Quintett«, einer Streitrunde im Videokanal VH-1, auf Reich-Ranicki.
Und obwohl Alsmann bei vielen Fernsehmachern weiterhin nur als hoffnungsvolles Talent gilt: Mit seinem Ruf als Szenekobold gibt er sich nicht zufrieden.
Gleich dreimal pro Woche moderierte er das WDR-Prominentenspiel »Zimmer frei«, zusammen mit der Nachrichtenfrau Christine Westermann - und tatsächlich schaffte es das Gastgebergespann, sogar aus bislang talkshowresistenten Prominenten wie Rolf Zacher Komik herauszukitzeln. In dieser Woche wird Alsmann auf der Cebit-Home-Messe als Produktpräsentator in die Kamera staunen, im November ist er als Schauspieler für die ARD-Serie »Wilde Herzen« zu sehen. Er mimt den Supermarktkassierer Lothar in »Alles wegen Robert De Niro« - wie gewohnt mit Hornbrille und Teddy-Tolle.
Und doch wartet er weiter auf den ganz großen Durchbruch: »Ich bin halt nur ein Reaktionskomiker«, sagt Alsmann etwas mißmutig, »anders als Harald Schmidt denke ich auch an meine Nachbarn.« Seine Gong-Show-Vergangenheit scheint ihm immer noch in den Gliedern zu sitzen: Dort hatte er Kandidaten derart durch die Witzmangel gedreht, daß ihm danach ein paar Leute aus seiner Umgebung die Freundschaft kündigten.
Das soll nicht wieder passieren: »Ich will mit meinen Gästen nach der Show noch Spaß an der Hotelbar haben«, sagt Alsmann, »in der Hinsicht bin ich nur ein halbes Arschloch.«