Fährunglück vor Südkorea Die vermeidbare Katastrophe
Hamburg - Am Mittwoch ist die Fähre "Sewol" vor der Küste Südkoreas gesunken. Noch immer gelten rund 200 der ursprünglich 476 Menschen an Bord als vermisst. Hunderte Taucher und Unterwasserdrohnen sind im Einsatz, um das Innere des Wracks zu durchsuchen - vor allem die Kabinen des mehrstöckigen Schiffs, in denen viele Eingeschlossene vermutet werden.
Bei den bisherigen Tauchgängen in der gekenterten Fähre wurden keine Überlebenden entdeckt. In den ersten Stunden nach der Havarie konnten 174 Menschen vom Schiff gerettet werden, darunter der Kapitän und weitere Besatzungsmitglieder. Die meisten Passagiere an Bord waren Schüler auf einem Ausflug zur Urlaubsinsel Jeju.
Auch fast eine Woche nach dem Unglück sind viele Fragen ungeklärt. Ein Überblick.
Was ist die Unglücksursache?
Den Ermittlern zufolge kenterte die Auto- und Personenfähre genau zu dem Zeitpunkt, als das Schiff eine Richtungsänderung vorgenommen hatte. Experten untersuchen derzeit, ob eventuell Ladung verrutscht sein könnte, so dass die "Sewol" in Schieflage geriet. Südkoreas Staatspräsidentin Park Geun Hye forderte, mögliche Unregelmäßigkeiten beim Betrieb der 20 Jahre alten Fähre aufzudecken. Nach der Übernahme hatte die Reederei das Schiff umgebaut, um die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen. Im Unglücksgebiet herrscht zudem eine starke Gezeitenströmung. Anfänglich wurde spekuliert, dass die Fähre einen Felsen unter Wasser gerammt haben könnte. Das wird mittlerweile aber so gut wie ausgeschlossen.
Was passierte während der Havarie?

Bergungsaktion vor Südkorea: Zahl der Toten nach Fährunglück steigt
Die "Sewol" setzte am Unglückstag gegen 9 Uhr (Ortszeit) ein erstes Notsignal ab. Wie groß das Chaos anschließend war, zeigt ein Mitschnitt des Funkverkehrs zwischen Fähre und Schiffsüberwachungsstelle an Land. Beide Seiten agierten unentschlossen, selbst dann noch, als die Fähre in immer bedrohlichere Schräglage geriet. "Wir kentern. Wir sind kurz davor unterzugehen", funkte ein Besatzungsmitglied.
Nach 20-minütigem Hin und Her empfahl die Schiffsüberwachung, der Kapitän solle über die Evakuierung der Fähre bestimmen. "Wir kennen die Situation nicht gut genug, also sollte der Kapitän die endgültige Entscheidung über die Rettung der Passagiere treffen." Doch die "Sewol"-Besatzung wollte erst wissen, ob die Passagiere sofort gerettet werden könnten. Ein Patrouillenboot sei in zehn Minuten und ein Helikopter in einer Minute zur Stelle, lautete die Antwort. Die Crew wiederum entgegnete, ein Helikopter reiche nicht, es seien zu viele Passagiere. Offenbar wurde der Hinweis auf das nahende Boot überhört.
Ein Besatzungsmitglied funkte, dass die Sicherheitsanweisungen nicht an die Passagiere durchgegeben werden könnten, da das Lautsprechersystem nicht funktionierte. "Lassen Sie sie wenigstens einen Rettungsring tragen und lassen Sie sie schwimmen. Jetzt!", drängte die Schiffsüberwachung. Wenige Stunden nach dem Notruf war das Schiff fast komplett gesunken.
Wer wird für den Untergang verantwortlich gemacht?
Staatspräsidentin Park wirft der Besatzung verbrecherisches Verhalten vor. Kapitän Lee Jun Seok und weitere Crewmitglieder seien unter den Ersten gewesen, die sich gerettet hätten - zugleich hätten sie den Passagieren gesagt, sie sollten an Ort und Stelle bleiben: "Das kommt einem Mord gleich."
Lee, die dritte Offizierin und ein Steuermann sitzen seit Samstag in Untersuchungshaft. Ihnen werden unter anderem fahrlässiges Handeln und Verstöße gegen die Dienstpflichten vorgeworfen. Inzwischen wurden der leitende Ingenieur und vier weitere Offiziere verhaftet. Die Ermittler untersuchen, warum es unmittelbar nach der Havarie keinen Aufruf zur Evakuierung gab.
Der Kapitän war auf dem Rückweg von der Kabine zur Brücke, als die Fähre kenterte. Das Kommando soll die unerfahrene dritte Offizierin geführt haben. Lee selbst rechtfertigte sich: Er habe die Evakuierungsanordnung wegen der starken Strömung hinausgezögert. Ein Besatzungsmitglied gab an, man habe versucht, Rettungsboote zu Wasser zu lassen. Dies sei aber wegen der starken Neigung des Schiffs nicht mehr möglich gewesen.
Wie viele Opfer wurden bislang geborgen?
Bis zum späten Dienstagnachmittag wurden 121 Todesopfer bestätigt. Um die gesunkene Fähre liegen Trawler mit Fangnetzen, um zu verhindern, dass eventuell Leichen aus dem Schiff von der Strömung mitgerissen werden. Angehörige harren weiter nahe der Unglücksstelle auf der Insel Chindo aus - in der Hoffnung, dass doch noch Überlebende gefunden werden. Aber selbst wenn sich einzelne Passagiere in eine Luftblase gerettet haben sollten, gibt es angesichts des schwindenden Sauerstoffs kaum Überlebenschancen. Zumal schlechte Sicht und starke Strömung die Arbeit der Taucher extrem erschweren.