SPIEGEL-GESPRÄCH »Falten sind doch schön«
Givenchy, 72, leitete von 1952 bis 1995 sein Modehaus in Paris und arbeitet nun als Präsident der französischen Dependance des britischen Auktionshauses Christie''''s.
SPIEGEL: Monsieur de Givenchy, Sie sind eine Modelegende. Ein neues Buch über Ihre überaus erfolgreiche Karriere zieht das Fazit: »Ein Leben für die Schönheit"**. Haben Sie die Welt tatsächlich schöner gemacht?
Givenchy: Ich habe es nach Kräften versucht und mich immer bemüht, Kleider zu entwerfen, in denen die Frauen vorteilhaft aussehen. Diese Arbeit hat mich über Jahrzehnte glücklich gemacht. Ich habe Mode entworfen, die man tragen kann.
SPIEGEL: Deshalb werden Sie als der große Klassiker in die Modegeschichte eingehen. Gefällt Ihnen das?
Givenchy: Nicht unbedingt. Die Basis muß klassisch sein, aber das schließt ja Phantasie nicht aus. Wissen Sie, das schwerste ist immer noch das kleine Schwarze. Man darf nie, nie tricksen in seinem Beruf, gerade bei den einfachen Sachen sieht man das sofort. Ein Kleid muß gut geschnitten sein, damit es richtig fällt und der Frau auch schmeichelt. Cristóbal Balenciaga, mein großes Vorbild und mein Lehrmeister ...
SPIEGEL: ... der Architekt der Mode ...
Givenchy: ... der noch wußte, wie man ein Kleid konstruiert, Balenciaga hat mal den köstlichen Satz gesagt: »Man muß den Stoff respektieren, er lebt. Wenn man den Stoff respektiert, ist er glücklich.« Wie viele Kundinnen schreiben mir, daß sie meine alten Kleider aufbewahren, weil sie in ihnen so glücklich waren. Ich glaube nicht, daß die jungen Kollegen solche Briefe bekommen.
SPIEGEL: Was mißfällt Ihnen denn an den Schnittmustern der jungen Wilden?
Givenchy: Diese Kreationen kann man doch nicht anziehen, die sind lächerlich und das Make-up der Mannequins - einfach scheußlich. Die führen doch nur noch Kleider vor, die ausschließlich für die Presse entworfen werden. Nicht für Frauen aus dem wirklichen Leben. Man will und muß wohl auffallen. Das Geld verdient man heute mit den Lizenzen, vor allem mit Parfüms und Kosmetik. Ob man Kleider verkauft, ist heute vollkommen egal.
SPIEGEL: Aber Mode, das behaupten jedenfalls die Modemacher, reflektiert eben nur den Zeitgeist.
Givenchy: Sicher ist das so. Die Frauen haben keine Zeit und Lust mehr, sich anzu-
ziehen, obwohl sie, wie ich hoffe, immer
* In der Pariser Christie''s-Niederlassung vor einem Porträt des Firmengründers James Christie; das Gespäch führte Redakteur Joachim Kronsbein.
** Françoise Mohrt: »Givenchy - Ein Leben für die Schönheit«. Knesebeck Verlag, München; 208 Seiten; 128 Mark.
noch hübsch aussehen wollen. Jedenfalls habe ich keine Mode gemacht für verhungerte Frauen mit orthopädischen Schuhen und angemalten Gesichtern wie bei einer Sioux-Indianerin. Das ist doch das Gegenteil von Schönheit und Eleganz.
SPIEGEL: Sie spielen auf Ihre Nachfolger im Hause Givenchy an, auf die Engländer John Galliano und Alexander McQueen. Was denken Sie, wenn Sie die Mode sehen, die nun unter Ihrem Namen verkauft wird?
Givenchy: Ich leide oft genug daran. Aber ich versuche, nicht hinzugucken.
SPIEGEL: Warum haben Sie überhaupt Ihr Couture-Haus an den Luxus-Konzern Louis Vuitton Moët Hennessy verkauft?
Givenchy: 1980 hatte ich ja schon den Parfüm-Zweig meines Unternehmens veräußert, weil ich Kapital brauchte, um die Firma weiterzubringen. Schließlich hatte ich ja keinen Financier im Hintergrund. Also, um es kurz zu machen: Über Umwege landete mein Duft-Business schließlich bei der Champagner-Firma Veuve Cliquot. Dann kaufte plötzlich der Konzern Louis Vuitton Moët Hennessy die Firma Veuve Cliquot auf, und ich fand mich also bei LVMH wieder.
SPIEGEL: Und fühlten sich ausgebootet.
Givenchy: Gar nicht, es lief wunderbar. Da gab es einen reizenden Manager, mit dem ich vorzüglich auskam, ein starker verläßlicher Partner, kultiviert und großzügig. Da dachte ich mir: Mit dem kann ich auch in der Mode zusammenarbeiten. Und dann haben wir auch für diesen Bereich 1988 einen Vertrag gemacht. Und eines schönen Tages war auf einmal Bernard Arnault Chef von LVMH.
SPIEGEL: Und die Harmonie perdu.
Givenchy: Na ja, ich hatte einen Siebenjahresvertrag mit einer Option auf eine Verlängerung. Als der Vertrag auslief, hatte ich dann keine Lust mehr. Ich wollte endlich reisen und die Welt sehen.
SPIEGEL: Das war doch nicht der einzige Grund.
Givenchy: Vielleicht nicht. Am Ende hat man mir nahegelegt, doch die Kleider etwas schneller fertigzustellen. Ich war schockiert. Die Arbeiterinnen lernen ja gerade, gut und sorgfältig zu nähen. Das dauert eben. Die Haute Couture ist so kostspielig, weil es Handarbeit ist. Das alles kann man nicht mit der 35-Stunden- Woche hinbekommen. Es gibt Kundinnen, die wollen ihre zehn oder zwölf Kleider innerhalb von acht Tagen. Oder sie bestellen gar nichts. Ich kann nicht sagen: Pardon, Madame, das geht nicht. Ich hatte eine Kundin, die allein hat ein Atelier, also 30 Mädchen, über Monate beschäftigt.
SPIEGEL: Viele Ihrer Kollegen halten die Haute Couture, die teure Maßschneiderei für eine exklusive Klientel, ohnehin für tot.
Givenchy: Sie haben ja recht, aber es ist eine Tragödie. Es geht soviel alte Handwerkskunst verloren. Paris ist immer noch das Zentrum der Mode, weil hier beispielsweise Leute sitzen, die Federn verarbeiten können, oder die Knopfhersteller, Bordürenmacher, die Werkstätten für feine Stickereien, all diese hochspezialisierten Zulieferbetriebe, die ihr Handwerk meist seit Generationen betreiben. Ein Anruf - und die kommen vorbei.
SPIEGEL: Ist das nicht Nadel-Nostalgie?
Givenchy: Glaube ich nicht. Wenn die Couture stirbt, sterben auch diese Betriebe. Früher hatten wir Bänder aus Seide. Heute sind sie aus Nylon, wenn man einen Knoten bindet, löst der sich - pfff - gleich wieder auf. Schrecklich, keine Qualität.
SPIEGEL: Sie haben mit 25 Ihr eigenes Modehaus eröffnet. Waren Sie da nicht auch so ein junger Wilder, der die Alten beerben wollte?
Givenchy: Nein, ich hatte Respekt vor ihrem Können. Sehen Sie, ich habe bei den Großen gelernt, bei Jacques Fath, Robert Piguet, Lucien Lelong oder bei der legendären Madame Schiaparelli ...
SPIEGEL: ... die die Welt mit der Farbe Shocking Pink beglückt hat.
Givenchy: Genau. Damals, nach dem Krieg, zogen wir noch ägyptische Prinzessinnen an oder europäische Marquisen und Gräfinnen. Überhaupt war es die goldene Zeit der Mode. Die Frauen gingen nie ohne Hut und Handschuhe aus, und sie hatten ein Raffinement, das es heute nicht mehr gibt.
SPIEGEL: Und diese Beautés des Boulevards wollten Sie dann nach eigenem Gusto ausstaffieren.
Givenchy: Ich wollte was Eigenes machen. Verwandte haben mir finanziell geholfen, und ich habe ein Haus am Parc Monceau bezogen, in einer Gegend, in der man kein Modehaus erwartet hätte. Das war eine Villa im neogotischen Stil, ziemlich scheußlich. Die hätte König Ludwig II. von Bayern gut gefallen. Wir hatten einen großen Salon, der so riesig war, daß wir ihn »la cathédrale« nannten. Und da habe ich etwas Neues kreiert, Sachen, die man kombinieren konnte, einen Rock oder eine Hose mit einer Bluse oder einem anderen Oberteil. Ich engagierte die hübschesten Mannequins. Und schon die erste Kollektion war ein Erfolg.
SPIEGEL: Und dann trat zu allem Designer-Glück irgendwann auch noch Ihre Muse in die Schneider-Kathedrale.
Givenchy: Ja, man hatte mir eine Miss Hepburn angekündigt, und ich dachte natürlich, es handele sich um Katharine Hepburn, die ich sehr verehrte. Ich freute mich darauf, diese herrliche Schauspielerin anzuziehen. Und dann kam eine ganz andere zur Tür herein. Ein junges Ding namens Audrey, schlank, voller Charme und mit diesen großen Rehaugen. Angezogen mit einem kleinen Baumwollmantel, in T-Shirt, Sandalen und einem Gondoliere-Hut, auf dessen Band tatsächlich »Venezia« stand. Sie wollte für ihren neuen Film »Sabrina« eingekleidet werden. Ich sagte ihr: »Das kann ich nicht machen, ich habe doch nur acht Näherinnen.« »Darf ich denn mal was anprobieren?« fragte sie schüchtern. Und sie zog ein paar Sachen an, und ich muß sagen: Es saß alles perfekt.
SPIEGEL: Und dann wurden Sie ihr Haus-Couturier.
Givenchy: Für den Film und im Leben. Und sie wurde eine sehr enge Freundin. Ja, ich reiste viel mit ihr und nahm auch Anteil an ihrem Privatleben.
SPIEGEL: Was war so besonders an dem knabenhaften Kino-Reh?
Givenchy: Nun, sie hatte erstens die Figur eines Mannequins, dann hatte sie früher Ballettunterricht, sie wußte also, wie man sich bewegt, wie man geht. Sie hatte Klasse.
SPIEGEL: Bei welchen Hollywood-Kräften sehen Sie heute dieses Klasse-Bewußtsein?
Givenchy: Bei niemandem. Schauen Sie sich doch nur mal heute die Schauspielerinnen bei den Filmfestspielen in Cannes an, wie die da rumlaufen - eine Katastrophe. Halb nackt und halb verkleidet. Früher gab es Stars wie Ava Gardner, Marlene Dietrich oder Joan Crawford. Das waren Frauen, von denen man träumte, die einen inspirierten. Sie hatten Stil. Da gab es nicht nur eine einzige dieser Leinwand-Göttinnen, da gab es 25 zur gleichen Zeit. Heute sehen die alle gleich aus, ob Sharon Stone oder Kim Basinger, von denen hat keine die Aura eines großen Stars. Wohlgemerkt: Das sind hervorragende Schauspielerinnen.
SPIEGEL: Für ein zurückgezogenes Leben im Schmollwinkel haben Sie neuerdings keine Zeit mehr.
Givenchy: Ich hatte gerade mal ein Jahr meine Ruhe, als ich gefragt wurde, ob ich nicht für das britische Auktionshaus Christie''s als Präsident in Frankreich arbeiten wolle. Menschen, die sich anzuziehen wissen, so war wohl die Idee, haben ja auch oft ein schönes Zuhause und sammeln wertvolle Kunstgegenstände. Sie kaufen und verkaufen. Und viele dieser Menschen waren ja seit Jahrzehnten meine Kunden. Besonders Amerikaner.
SPIEGEL: Im Moment streiten sich die Marktführer Sotheby''s und Christie''s mit dem französischen Staat herum, weil die Grande Nation immer noch nicht offen ist für ausländische Auktionshäuser.
Givenchy: Ja, die Gesetzesänderung verzögert sich leider. Wir bauen aber in der Avenue Matignon an den Champs-Elysées neue Räumlichkeiten aus, mit rund 4500 Quadratmetern, in denen man herrliche Auktionen abhalten könnte. Wenn wir in Paris auktionieren könnten, kämen viel mehr Sammler hierher. Das würde den gesamten französischen Kunstmarkt beleben.
SPIEGEL: Immerhin gehört Christie''s ja seit einiger Zeit einem Franzosen.
Givenchy: Ja, François Pinault ist selbst ein großer Sammler und ein Ästhet, er wollte, daß unsere Pariser Niederlassung besonders prächtig wird. Übrigens handelt es sich um ein ehemaliges Modehaus, in dessen Räume wir umziehen. Anfang des Jahrhunderts residierte dort das Haus Callot Soeurs. Ich freue mich sehr auf diesen neuen Abschnitt meines Lebens.
SPIEGEL: Können Sie den Frauen von heute trotzdem einen Rat geben, wie sie sich anziehen sollen?
Givenchy: Hören Sie, heute ist es für Frauen sehr viel schwerer, sich anzuziehen als früher. Das Angebot ist riesig. Sie müssen heutzutage viel länger suchen, um das zu finden, was sie brauchen. Deshalb gibt es so viele Boutiquen.
SPIEGEL: Und was soll sich die geplagte Werktätige da aussuchen?
Givenchy: Ich finde, eine Frau, die arbeitet, sieht immer gut aus in einem grauen Flanellrock, einem Pulli oder in einer hübschen Bluse, mit einem dezenten Gürtel und einigen schönen Accessoires. Man sollte auf keinen Fall overdressed sein, weil man glaubt, das wirke erfolgreich. Das ist wie mit Schönheitsoperationen. Falten sind schön. Gut, ein paar Retuschen hier und da, das kann manchmal nützlich sein. Aber man soll alles nicht übertreiben.
SPIEGEL: Monsieur de Givenchy, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
* In der Pariser Christie''s-Niederlassung vor einem Porträt desFirmengründers James Christie; das Gespäch führte Redakteur JoachimKronsbein.** Françoise Mohrt: »Givenchy - Ein Leben für die Schönheit«.Knesebeck Verlag, München; 208 Seiten; 128 Mark.