
Fanatischer Fußballfan: "Mein Herz schlägt für den FC Bayern"
FC-Bayern-Fan vor dem Finale Buschmann sieht rot
Michael Zeman bekommt eine Gänsehaut, wenn er an Samstagabend denkt. Vor ihm auf dem Wohnzimmertisch liegt sein Ticket zum Glück, Wembley-Stadion, Champions-League-Finale, Block 537, Reihe 10, Sitz 315. Seine Mannschaft, der FC Bayern, wird gewinnen, das ist für Zeman klar. 4:0 dank Ribéry, Schweinsteiger, Robben und Müller.
Zeman, 48, will seinen Beitrag zum Sieg leisten. Er hat seine Tasche gepackt und nimmt mit: 41 Fanschals für seine Arme, einen Hut, die roten Turnschuhe mit dem Autogramm von Lothar Matthäus, den weißen Achtziger-Jahre-Mantel mit den 100 Aufnähern, etwa 80 sind es auf der roten Hose. Es ist das Outfit - und das Markenzeichen - von Zeman, unter Fans bekannt als "Buschmann". Sein Vater stammte vermutlich aus Afrika, sagt er. Und: Wenn er 15 Minuten in der Sonne liege, sei er braungebrannt.
Ebenso lange braucht er, um seine Fankluft anzuziehen, er trägt sie im Winter und im Sommer. In der zwölf Kilo schweren Montur wird er seine Mannschaft in London anfeuern, sich heiser schreien.
Seine Mannschaft. Zemans Liebe zum FC Bayern begann früh, es war seine erste, ist seine längste und soll seine letzte sein. Schon als Fünfjähriger wollte er auf dem Bolzplatz Gerd Müller sein. Wollte den Ball wie sein Vorbild "mit dem Arsch oder dem Knie ins Tor wurschteln". Mit Anfang 20 wurde er Mitglied beim FC Bayern, Nummer 4992. Heute reist er zu jedem Auswärtsspiel, 25 Stunden mit dem Bus nach Madrid, 22 nach Villareal oder 20 nach Neapel. Für die Liebe ist kein Weg zu weit.
Manchmal verhält er sich gegenüber dem FC Bayern wie ein verknallter Teenie. Das ganze rundliche Gesicht strahlt, wenn er von der Fahrt nach London spricht, vom Partybus, in dem es Schnitzel und Bier gibt. Sein Schnauzer, inzwischen mehr grau als schwarz, hüpft beim Lachen. Er kann sich auch köstlich über den Zufall mit seinem Nummernschild amüsieren: "BM" steht da, Bergheim. Oder eben Bayern München. Der Rest: "RM" für Rekordmeister, "136" der Geburtstag seiner Mutter.
Stundenlang kann Zeman über die Fotos reden, auf denen er mit Bayern-Stars posiert, er hat die Bilder in DIN-A-4-Größe ausgedruckt und laminiert. Zeman und Ribéry. Zeman und Robben. Zeman und Hoeneß. Er sagt Sätze wie: "Der FC Bayern ist mein Leben." Oder: "Mein Herz schlägt für den FC Bayern." Doch für die eine Liebe setzt er eine andere aufs Spiel.
Lieber im Stadion als daheim
Das mit ihm und Andrea hatte als Karneval-Knutscherei begonnen. 2007 zog er zu ihr, drei Jahre später heirateten sie. Ihr ist Fußball egal, sagt sie. Zweimal war sie im Stadion, zweimal hat sie sich furchtbar gelangweilt. Sie schimpft über die müffelnden Fanschals ihres Mannes. Und über ihn. Zu oft hat sie ihn gebeten, ein Spiel sausen zu lassen, daheim zu bleiben, bei ihr. Doch Zeman fuhr. Würde er daheim bleiben, wäre er todtraurig, sagt er. Davon hätte seine Frau schließlich auch nichts. Nur seine Hülle wäre dann bei ihr, sein Herz aber im Stadion. In den vergangenen zwei Monaten war er höchstens drei Tage am Stück zu Hause.
"Meine Frau würde sich freuen, wenn ich öfter daheim wäre", sagt er.
"Du bist lieber im Stadion, als daheim - das kannst du ruhig so sagen", sagt sie.
Früher sei er nicht so extrem gewesen, sagt Andrea. Und: "Wenn das so weitergeht, dann lache ich mir Einen an."
Wenn die beiden streiten, hat Zeman seiner Frau wenig entgegenzusetzen. Er weiß, dass sie recht hat. Dass er zu wenig Zeit mit ihr verbringt. Er hebt dann die Schultern und sieht so hilflos aus, wie er sich vermutlich fühlt. Was soll man tun, wenn man verliebt ist? Wenn das Herz zweigeteilt ist?
In guten und in schlechten Zeiten
Wenn man verstehen will, was der Fußball für Zeman bedeutet, muss man seinen Tiefpunkt begreifen. Vor sechs Jahren ist er zusammengebrochen. Er war auf dem Weg zur Arbeit in Köln, Autobahn, Mittelspur. Und plötzlich sah er nur noch rote Lichter. Der Lastwagen vor ihm bremste, Zeman reagierte zu spät, riss das Lenkrad panisch nach links. Wäre jemand auf der Spur gewesen, Zeman wäre heute nicht hier. An der Arbeit angekommen, bei der Telekom-Kunden-Hotline, hielt er es keine Stunde aus. Dann musste er auf die Toilette, übergab sich. Der Arzt schrieb ihn krank. Angstzustände. Panikattacken. Depressionen.
Es hatte sich angebahnt. An der neuen Arbeitsstelle fühlte er sich von Beginn an unwohl. Die Kollegen hätten sich kaum füreinander interessiert, kein nettes Wort, nie. Das kannte Zeman nicht. Und damit kam er nicht klar. Nach seinem Zusammenbruch ging er in eine Klinik, machte Therapien. Und lernte in dieser Zeit, dass seine Kumpels aus dem Fanclub auch abseits des Platzes für ihn da sind. Sie riefen an, bauten ihn auf, ließen ihn wissen: Wir vermissen dich, komm bald wieder. Das half in den Momenten, in denen er aufgeben, nicht mehr weiterkämpfen wollte.
Es stimme, dass der FC Bayern eine große Familie sei, sagt Zeman. Man sei füreinander da. In guten und in schlechten Zeiten.
Zeman nahm Medikamente und rappelte sich auf. Er ist nun Frühpensionär, er lebt von 1200 Euro netto. Aber die Liebe zum FCB ist teuer. Zeman schätzt, dass er für die rund 30 Spiele, die er pro Jahr im Stadion sieht, etwa 6000 Euro ausgibt: die Fahrten, die Verpflegung, die Fanschals. Manchmal steckt seine Mutter ihm ein paar Scheine zu, "ab und zu ein Hunderter", sagt Zeman.
Die Marke Buschmann
Er redet manchmal von sich in der dritten Person. Er macht es wohl nicht bewusst. Aber es passt. Denn Zeman hat mit Buschmann seine eigene Marke geschafften. Er tritt im Fernsehen auf, er hat sich eine eigene Homepage gebastelt, bayern-buschmann.de heißt sie. Es gibt Interviews mit ihm, Fotos an der Seite berühmter Bayern-Spieler. Selbst Autogrammkarten kann man auf der Seite bestellen: Auf ihnen ist ein strahlender Zeman in seiner Uniform vor der Münchner Allianz-Arena zu sehen. Auch über den Höhepunkt seiner Fankarriere wird ausführlich berichtet: Zeman wurde von der Telekom als Superfan ausgewählt und durfte die Bayern Anfang 2012 ins Trainingslager nach Doha, Katar begleiten.
Er genießt diese Aufmerksamkeit, die Liebe, die er zurückbekommt. Er lässt sich gerne mit anderen Fans fotografieren, er ist stolz, dass in seinem Schrank Dutzende Trikots mit Unterschriften der Bayern-Spieler hängen. Er nennt sie Helden. Auf die Idee, sie Schweini oder Manuel zu rufen, käme er nie. Zu groß ist der Respekt. Für ihn sind das Herr Schweinsteiger und Herr Neuer.
Nach dem Champions-League-Finale wartet er noch auf das DFB-Pokal-Finale am 1. Juni in Berlin. Danach sind zwei Monate Spielpause. Zeit, die Fanuniform zu waschen. Zeit für Andrea. "Da gehe ich auch öfter mit meiner Frau weg, damit sie sich freut", sagt Zeman. Er weiß, dass er ihr mehr Zeit widmen muss. Sie hat es ihm gesagt. Sein bester Freund hat es ihm gesagt. Vielleicht gehen sie mal wieder ins Musical, sagt Zeman. Oder machen was mit Wellness. Er weiß, dass er sie häufig verletzt. Aber er könne es nicht ändern. Könne sich nicht ändern. "Buschmann gibt es nur mit dem FC Bayern."
Er hofft, dass er nie vor eine Entscheidung gestellt wird.