Dieser Beitrag wurde am 03.05.2016 auf bento.de veröffentlicht.
"Das ist der Wal", sagt die Frau mit Pferdeschwanz und makellosem Teint und lächelt mir zu. "Denk dran, du bist hier zu nichts verpflichtet, alles nur zur Entspannung", sagt sie, zündet ein Räucherstäbchen an, rückt den Stapel Handtücher gerade. Dann lässt sie mich allein in dem Raum zurück.
Da steht er also, weiß, oval, glänzend. Der Wal – beziehungsweise der große Tank voller Wasser, der stark an das Tier erinnert. Das "Maul" ist weit aufgesperrt.
Als ich mit dem großen Zeh die Temperatur des Wassers teste, muss ich an den Film Pinocchio und den Wal Monstro denken, der Pinocchio und seinen Vater samt Fischerboot verschlingt. In diesem Walmaul werde ich nun also Zeit verbringen, in 40 Zentimeter hohem Wasser treibend, in völliger Dunkelheit.
Floating nennt man das Ganze – eine Entspannungsmethode, bei der man 20 Minuten allein in einem geschlossenen Wassertank liegt und nur dem eigenen Herzschlag lauscht.
Das Floating wurde 1954 von dem Neurologen und Arzt John C. Lilly erfunden. Der Verzicht auf alle audiovisuellen Reize soll dem Gehirn ganz neue Erkenntnisse entlocken. Lilly, der sich sonst der Sprache der Delfine widmete, ließ seine Probanden entweder unter dem Einfluss von LSD oder in der Präsenz der berüchtigten Delfine im Floatingtank treiben.
Ich versuche es erstmal ohne Drogen. Das Wasser wurde meiner Körpertemperatur angepasst, es ist angenehm und etwas schleimig – überteure Epsom-Salze aus Großbritannien sind beigefügt. Sie lassen meinen Kopf schwerelos knapp über der Wasseroberfläche treiben.
Wenn ich auf den Knopf an der Innenseite des polierten Walmauls drücke, erlischt das Licht. Gleichzeitig schließt sich der Deckel, kommt immer näher – bis sich mit schmatzendem Geräusch Gummi auf Gummi legt, und ich schließlich vollkommen versiegelt etwas hilflos daliege. Das ist ja wie im Sarg, fährt es mir durch den Kopf, ich ertaste die Innenseiten, um nicht in Panik zu verfallen.
Jetzt tönt seichte Spa-Musik aus den Unterwasserlautsprechern neben meinem Kopf. "In den ersten zwanzig Minuten spielen wir Musik, das erleichtert den Einstieg", sagte die Frau mit Pferdeschwanz, als wir noch draußen standen. Ich beruhige mich langsam wieder.
Interessant, wie vollkommen Dunkelheit sein kann. Es kostet Überwindung, sich völlig von der Schwerkraft zu verabschieden, weder Kiefermuskel aufeinanderzupressen, noch sich mit den Zehen an der Wand dieser Tonne entlangzutasten.
Irgendwann schaffe ich es – und denke auf einmal, zu rotieren, mich zu drehen. Ich verliere jede visuelle oder sensorische Perspektive, ich weiß nicht mehr, wo sich die verschiedenen Körperteile im Verhältnis zur Umgebung befinden. Mir wird schwindlig, ich bekomme das Gefühl, meilenweit zu treiben.
Sind meine Hände unter Wasser oder nicht? Wo fangen meine Hände an und wo hören sie auf?
Eigentlich sollte das Gehirn doch durch den Verlust aller Reize ruhig werden? Zur Zeit des verrückten Doktor Lilly jedenfalls hatte man angenommen, dass ein Gehirn ohne Stimuli einfach in einen schlafähnlichen Zustand verfallen müsse. Ich bin der gegenteilige Beweis: meine Gedanken rasen.
Was, wenn ich auf Toilette muss?
Ich denke an das Bild der Ophelia, ich denke an Wasserrosen und Wasserleichen, an meine weichen Haare, die meinen Kopf umspülen. Ich denke an Kate Winslet, wie sie auf ihrem Holzbrett auf dem schwarzen Wasser vor der Titanic umhertreibt. Ich denke: Wahrscheinlich hat es sich genauso angefühlt, als man noch im Fruchtwasser umherwaberte.
Atmen, ein und aus, ein und aus. Stille. Mein Herz schlägt, das Wasser gurgelt.
Die Musik ist inzwischen ausgegangen.
Das regelmäßige Atmen beruhigt mich langsam. Mein Kopf rutscht in den Nacken, meine Gliedmaßen spüre ich nicht mehr.
Durch das warme Wasser entspannt sich die Muskulatur. Die Gefäße erweitern sich, der Blutdruck sinkt, die Durchblutung jedoch steigt auf ein Maximum.
In diesem "Floating State" werden Endorphine freigesetzt, Muskelschmerzen können reduziert werden. Außerdem wird das Lymphsystem optimal durchblutet, es ist für unsere Immunabwehr verantworlich.
Und: Im "Floating State" vergeht die Zeit schneller, zumindest scheint das so. Die üblichen Alpha- und Beta-Gehirnwellen gehen über in Theta-Wellen, die normalerweise vor dem Einschlafen oder Aufwachen auftreten und begleitet werden von Wachträumen.
Auch in Hypnose und während einer Meditation lässt sich eine deutliche Aktivität von Theta-Hirnwellen feststellen. Im Floatingtank kann dieser Zustand optimalerweise über einen langen Zeitraum aufrechterhalten werden, ohne dass man in Schlaf verfällt.
Ich bin überrascht, als plötzlich das Licht im Walmaul angeht und der Deckel aufgeht.
Ich kann mich nicht erinnern, was ich in der letzten halben Stunde gedacht habe. Ich reibe mir die Augen und denke an Doktor Lillys anderen Einfall: Die sogenannte "Chamber Rest", bei der das Versuchsobjekt 24 Stunden in kompletter Dunkelheit in einem Raum verbringt. Ob ich das auch mal ausprobieren soll?
Geh auch mal zum Floating
- In Berlin: Float , Hausvogteiplatz 11, Tel.: 030 / 20143797
- In Hamburg: Float , Am Kaiserkai 42, Tel.: 040 /70383730
- In München: Float Spa Munich , Donnersbergerstraße 55, Tel.: 089 / 51566939
- In Köln: Reset Center , Zum Biotop 11, Tel.: 02271 / 4504207
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