Flugzeugabsturz in Kasan Russlands gefährliche Mini-Airlines

Russland ist für Fluggäste eines der gefährlichsten Länder der Welt. Auch der Absturz in Kasan mit 50 Toten passt in das traurige Schema, das Experten seit Jahren kritisieren: kleine Airlines, unsichere Maschinen, mangelnde Kontrolle.
Flugzeugabsturz in Kasan: Russlands gefährliche Mini-Airlines

Flugzeugabsturz in Kasan: Russlands gefährliche Mini-Airlines

Foto: DPA/ Russian Emergency Ministry

Der Mann, der auf den Passagierlisten mal als Fluggast Nummer eins auftaucht, mal als Nummer 44, flog allein zurück in seine Heimatstadt Kasan, die regiert wird von seinem Vater. Irek Minnichanow, 25 Jahre alt und Sohn des Präsidenten der russischen Teilrepublik Tatarstan, wollte seiner Ehefrau Antonia die Strapazen der Reise ersparen. Im Dezember erwartet sie ein Kind. Es wird ohne Vater aufwachsen müssen.

Russlands Behörden ermitteln nach dem Absturz in alle Richtungen. Das Ermittlungskomitee prüft fünf mögliche Unglücksursachen: Wettereinfluss, Versagen der Technik, Fehler der Piloten, Probleme mit dem Treibstoff und sogar einen Terroranschlag.

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Flugzeugunglück in Russland: Explosion beim Landeversuch

Foto: DPA/ Russian Emergency Ministry

Flug 363 der lokalen Fluglinie Tatarstan Airlines war bei der Landung in Kasan am Boden zerschellt. Rund 300 Retter rückten zur Unglücksstelle aus, für alle 50 Menschen an Bord der Boeing 737 aber kam jede Hilfe zu spät. Beim Aufprall der Maschine auf die Landebahn war mindestens ein Treibstofftank explodiert.

Kasan ist eine Millionenstadt an der Wolga, die Hauptstadt der muslimisch geprägten Teilrepublik Tatarstan. Im Sommer war sie Austragungsort der Universiade, der Weltsportspiele der Studenten.

Viel Prominenz war an Bord des Unglücksflugs. Neben dem Präsidentensohn kamen auch der Regionalchef des mächtigen Inlandsgeheimdiensts FSB und die Familie des bekannten TV-Kommentators Roman Skworzow ums Leben. Das Massenblatt "Komsomolskaja Prawda" zitiert eine nächtliche Twitternachricht von Skworzow. "Ich habe nur eine Frage", schrieb er: "Warum soll ich weiterleben?"

Die Weitergabe kompletter Passagierlisten ist trauriger Alltag

Russland trauert, und der Boulevard zeichnet die Dramen am Tag der Katastrophe schmerzhaft detailliert nach. Die Toten waren in der Nacht auf Montag noch nicht einmal geborgen, da fanden sich die Namen der Opfer schon auf Webseiten und in den Zeitungen, die gerade in Druck gingen. Die Weitergabe kompletter Passagierlisten an die Medien ist in Russland nach Unglücken trauriger Alltag.

Auch die Suche nach den Schuldigen für die Tragödie ist bittere Routine. Russland zählt seit Jahren zu den gefährlichsten Ländern für Flugpassagiere. Auf das Riesenreich entfallen zwar nur rund fünf Prozent des weltweiten Flugverkehrs, bei den Opferzahlen aber liegt das Land seit langem auf den vorderen Plätzen.

Erst am 26. Oktober starben zwei Passagiere einer Antonow-2, einer Propellermaschine. Im September brach bei der Landung auf dem Flughafen Wnukowo-Moskau eine Canadair-Maschine auseinander, wie durch ein Wunder gab es keine Toten.

Bei der Untersuchung werde "in alle Richtungen" ermittelt

2011 war in Jaroslawl die Maschine des russischen Eishockey-Teams Lokomotive Jaroslawl nach dem Start zerschellt, 43 Menschen waren auf der Stelle tot. Mit mehr als hundert Toten war 2011 ein schwarzes Jahr für Russlands Luftfahrt. Fliegen galt damals in Russland als gefährlicher als im Kongo.

Die Lage hat sich seitdem kaum verbessert. Laut einer Analyse des Aviation Safety Network war Fliegen 2012 weltweit zwar so sicher wie noch nie, Russland aber nannten die Experten ausdrücklich als negative Ausnahme. 2012 starben bei zwölf Flugzeugunglücken in Russland 62 Menschen.

Weil es sich bei der Unglücksmaschine um eine Boeing handelt, werden Experten aus den USA in Kasan erwartet. Russische Medien spekulieren, dass die Maschine schlecht gewartet war. Sie sei seit mehr als zwei Jahrzehnten im Dienst gewesen - unter anderem in Uganda.

Die Moskauer Tageszeitung "Iswestija" spekuliert über eine andere Ursache: menschliches Versagen. Der Pilot der Maschine sei erst vor kurzem zum ersten Kapitän befördert worden. Womöglich habe ein Fehler der Cockpit-Crew das Unglück verursacht. Das Wetter dagegen fällt als Grund aus, es war zwar dunkel, die Sicht aber gut. Genaueres soll die Auswertung des Flugschreibers zeigen.

Die Boeing 737 war die einzige dieses Typs der Airline Tatarstan. Die Fluglinie ist winzig, sie betreibt daneben nur noch vier Airbus A319, zwei Tupolew-Maschinen und eine Jak.

Die meisten Flugzeugabstürze in Russland gehen auf das Konto von kleinen Luftfahrtunternehmen. So war es im Juni 2011, als eine Tupolew von RusAir (13 mittelgroße Passagier-Jets) in Russlands Norden 47 Menschen in den Tod riss. So war es auch im September desselben Jahres beim Absturz des russischen Eishockey-Teams in Jaroslawl, dessen Flieger von einer Firma namens Jak-Services (vier Passagierjets) gechartert wurde.

Die Jak-42 gilt als unfallträchtig. Knapp 200 Maschinen wurden seit 1979 produziert, neun davon sind bislang verunglückt, dabei starben 569 Menschen. Jak-Services, die kleine Fluggesellschaft, stand sogar auf der schwarzen Liste der EU-Luftfahrtbehörden, wegen Mängeln im Sicherheits- und Dokumentationsbereich.

In Russland dagegen verloren Jak-Services und RusAir die Lizenz erst, nachdem ihre Maschinen abgestürzt waren.

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