Notfallseelsorger Rieske "Es gibt keine Antwort"

Der Flugzeugabsturz in Südfrankreich bedeutet für Angehörige der Opfer einen unfassbaren Schmerz. Notfallseelsorger Uwe Rieske erklärt, wie Helfer Trost spenden - und warum es manchmal gut ist, einfach zu schweigen.
Uwe Rieske: Leiter der Notfallseelsorge in der evangelischen Kirche im Rheinland

Uwe Rieske: Leiter der Notfallseelsorge in der evangelischen Kirche im Rheinland

Foto: Sergej Lepke/ Evangelische Kirche im Rheinland

Hamburg - Kurz nachdem die Nachricht vom Flugzeugunglück in Südfrankreich Deutschland erreicht hatte, waren sie am Flughafen in Düsseldorf zur Stelle: Notfallseelsorger kümmerten sich um die Angehörigen, die vergeblich auf die Passagiere warteten.

Die Seelsorger waren gemeinsam im Einsatz mit Helferteams von Airline, Flughafen und Feuerwehr. Zeitweise wurden 50 Angehörige gleichzeitig betreut. Sie wurden in VIP-Räumen abgeschirmt.

Zur Person

Der Pastor Uwe Rieske,53, ist Leiter der Notfallseelsorge in der evangelischen Kirche im Rheinland. Am Mittwoch war er am Flughafen, um sich ein Bild zu machen. Der promovierte Theologe ist verheiratet und hat sechs Kinder.

SPIEGEL ONLINE: Wie können Notfallseelsorger Angehörigen der Todesopfer helfen?

Rieske: Wir sind wie Lotsen, die Orientierung geben, die ersten Ansprechpartner nach der schockierenden Nachricht. Die Angehörigen wollen alle Informationen. Sie wollen wissen, was passiert ist. Wir versuchen, in Zusammenarbeit mit den Behörden, dem Flughafen und der Airline Antworten zu geben und die entsprechenden Informationen zu beschaffen. "Sind meine Angehörigen an Bord? Gibt es Überlebende?" - das sind dann häufige Fragen.

SPIEGEL ONLINE: Wollen die Menschen Ihre Hilfe überhaupt?

Rieske: Die Reaktionen sind verschieden. Manche wollen reden, andere nicht. Oft hilft es schon, einfach die Hand zu nehmen und nichts zu sagen. Wir fragen behutsam nach, ob wir helfen können - und reagieren auf das, was von den Angehörigen kommt.

SPIEGEL ONLINE: Beten Sie mit den Menschen?

Rieske: Wenn die Menschen das wollen, dann machen wir das. Es kommt immer auf die Situation an, dafür braucht man als Notfallseelsorger auch Lebenserfahrung. Wann ist es passend, ein Gebet zu sprechen, wann nicht?

SPIEGEL ONLINE: Was haben die Notfallseelsorger in Düsseldorf erlebt?

Rieske: In dem Bereich, in dem die Angehörigen betreut wurden, war es sehr still und gedrückt. Mehr mag ich nicht dazu sagen, weil Seelsorge ja nicht ohne Grund einen Schutzraum für die Menschen bietet.

SPIEGEL ONLINE: Realisieren die Menschen, dass ihre Verwandten tot sind?

Rieske: In der Regel nicht. Viele klammern sich in solch einer Situation zunächst an die Hoffnung, dass ihre Liebsten noch leben. Sie setzen darauf, dass die Leiche noch nicht zweifelsfrei identifiziert wurde. Das ist oft tragisch. Bei diesem Flugzeugunglück wissen wir, dass es keine Überlebenden gab.

SPIEGEL ONLINE: Wie lange bleiben Sie bei den Menschen?

Rieske: Wir sind in den ersten Stunden vor Ort. Aber auch danach bleiben wir Ansprechpartner - und arrangieren auf Wunsch etwa eine Aussegnung an der Unglücksstelle. Und wir werden gerufen, wenn zum Beispiel Familien nach Kleidungsstücken zur Identifizierung Ihrer Verwandten gefragt werden. Viele verkraften das nicht.

SPIEGEL ONLINE: Wie oft hören Sie die Frage "Warum"?

Rieske: Die hören wir sehr oft, aber es geht zunächst meist um den konkreten Hergang des Unglücks. Die tiefergehende Frage, etwa nach einem Gott, der das zulässt, kommt meist später.

SPIEGEL ONLINE: Was antworten Sie darauf?

Rieske: Wir können diese Frage nur aushalten. Es gibt darauf keine Antwort. Und das sagen wir auch.

SPIEGEL ONLINE: Wie viele Notfallseelsorger sind wegen des Flugzeugabsturzes in Nordrhein-Westfalen im Einsatz, was machen sie zurzeit?

Rieske: Nach dem Absturz hatten wir 15 Mitarbeiter der Airport-Seelsorge und der evangelischen und katholischen Notfallseelsorge Düsseldorf im Einsatz. In der westfälischen Nachbarkirche waren es auch rund 15, die sich um die Menschen am Halterner Gymnasium gekümmert haben. Heute sind es auf dem Flughafen noch fünf Kolleginnen und Kollegen. Dafür kümmern sich heute aber regionale Teams an den Wohnorten um die Angehörigen.

Im Video: Trauer um Absturzopfer

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